Süddeutsche Zeitung

Tipps von Ebersberger Expertin:Wichtigste Kulturtechnik überhaupt

Lesefähigkeit ist von zentraler Bedeutung - wie man Kinder und Jugendliche für das geschriebene Wort begeistert.

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Im April haben viele Menschen auf der Welt Grund zur Freude. Nicht nur, weil man dann häufig Ostern feiert, sondern weil am 23. April in mehr als hundert Ländern "Welttag des Buches" ist. Nun erhalten ja bekanntlich kleine Gaben die Freundschaft - was gerade zwischen Kindern und dem Lesen höchst wünschenswert ist. Darum gibt es seit 1995 in Deutschland die Aktion "Ich schenk dir eine Geschichte". 19 Millionen extra dafür produzierte Bücher haben seitdem ihren Weg in erwartungsvoll ausgestreckte Mädchen- und Bubenhände gefunden; auch 2021 werden rund eine Million Viert- und Fünftklässler beschenkt: mit dem Comicroman "Biber undercover".

Alle Projektpartner der Initiative engagieren sich ganzjährig in Sachen Leseförderung, denn die Fähigkeit, mit der Bedeutung von schriftlichen Informationen umgehen zu können, ist eine der wichtigsten Kulturtechniken überhaupt. Egal, ob Kochrezept, Bedienungsanleitung oder Arbeitsvertrag - immer kommt es auf das sinnerfassende Lesen an. Auch in der Schule ist das Lesen längst nicht mehr nur in Deutsch ein zentrales Thema. Im Schulamtsbezirk Ebersberg sind deswegen Sandra Hiebl und Judith Mathä als "Lesebeauftragte" Ansprechpartnerinnen für sämtliche Grund- und Mittelschulen. Die beiden haben ein Lesestrategie-Konzept entwickelt, das 2018 und 2019 nicht nur erfolgreich im Landkreis durchgeführt wurde, sondern mittlerweile bereits bayernweit bekannt ist.

Momentan jedoch sind die Kinder und Jugendlichen ja kaum in der Schule, und im Homeschooling bleibt vieles an den Eltern hängen. Da werden sich wohl viele Mütter und Väter fragen, wie beim Nachwuchs die Lese-Leidenschaft wohl am besten zu entfachen ist. Die Methoden seien im Prinzip stets dieselben, meint Mathä, als man sie nach konkreten Tipps zur Leseförderung fragt. Am Anfang stehe immer die Leseflüssigkeit. "Vorlesen, selber lesen, laut lesen, regelmäßig lesen", zählt die Konrektorin der Grund- und Mittelschule Glonn die dafür benötigten Bausteine auf und erzählt, wie sehr ihre eigene Klasse sogar während des digitalen Unterrichts die Vorlesezeit genossen habe. "In so unsicheren Zeiten wie jetzt sehnt man sich nach Bekanntem."

Noch viel mehr ist das freilich beim haptischen Erlebnis während einer gemeinsamen Lesestunde der Fall. Auch jenseits des Kindergartenalters zu empfehlen - als wiederentdecktes oder neues Ritual. Mit Eltern, Großeltern, Freunden oder sogar einem Haustier. Man brauche dazu ein gutes Buch, sagt Mathä, ("bitte nicht 30 Jahre lang dasselbe!"), am besten von den Kindern selbst ausgesucht (wie "Anton und Marlene", das der Glonner Elternbeirat zum Nikolaus spendiert hat) und Permanenz ("jeden Tag oder jeden zweiten"). Außerdem ganz wichtig: Die Wortschatzarbeit, also das Klären unbekannter Begriffe.

"Es ist ein Teufelskreis: Gerade schwache Schüler haben keinen Spaß am Lesen, weil sie die Inhalte nicht verstehen", beklagt Mathä, bevor sie auf die Auswirkung einer mangelnden Lesefähigkeit auf den Umgang mit Informationen hinweist: Wer sich schwer tue mit der Wahrnehmung und Verarbeitung von Inhalten, sei viel anfälliger für "Click Baiting" im Internet, wobei plakative Überschriften zu oft stark verkürzten Texten mit teilweise zweifelhaftem Wahrheitsgehalt führen. "Darum ist das Lesen auch für die eigene Meinungsbildung ungeheuer wichtig. Jemand, der plötzlich wissen will, was da steht, und darum etwas nachschlägt, wird gebildeter und kann besser mitsprechen", sagt die Lehrerin, die auch einen Abschluss als Literaturwissenschaftlerin besitzt.

Interesse für Bücher lässt sich beim Nachwuchs vor allem dadurch erzeugen, indem man dafür sorgt, dass sie immer präsent sind - in der Schule und daheim. Man kann im Wechsel lesen und vorlesen, Bilder zu den Inhalten einer Geschichte malen lassen, ein neues Buchcover entwerfen, sich ein Quiz ausdenken, Charaktere weiterentwickeln, Gesprächsanlässe schaffen - nach dem Motto: "was würdest du tun?". Das geht auch zu Hause. Hörbücher und Podcasts könnten ebenfalls förderlich sein, führt Mathä an. Und ganz, ganz wichtig: Gedichte. "Die Textmenge ist überschaubar, der Fokus liegt auf Sprache, Wörtern und Gefühlen." Man könne sie auswendig lernen oder zeilenweise neu zusammensetzen lassen. Laut Mathä auch nicht zu unterschätzen: Die Zuwendung, die man dem Sohn oder der Tochter zukommen lasse, wenn man sie in einer Eins-zu-Eins-Situation beim Lesen begleitet - gerade bei mehreren Geschwistern sei eine exklusiv für ein einziges Kind reservierte Zeit höchst wertvoll.

Tipps zum Thema im Netz

Mit diesen Links holen sich Leseratten, Eltern und Lehrkräfte den "Welttag des Buches" direkt nach Hause und erhalten viele nützliche Hinweise rund um das Thema:

https://www.welttag-des-buches.de/videos: Zu sehen sind die Macher von "Biber undercover", es gibt eine Lesung und einen Comicworkshop. Außerdem wird die Entstehung eines Buches von der Idee bis zum fertigen Exemplar gezeigt, man lernt, wie eine Buchhandlung funktioniert und verfolgt einen Brief vom Einwurf in den Kasten bis zur Zustellung.

https://www.lesen.bayern.de/eltern: Enthält neben zahlreichen konkreten Tipps zur Leseförderung Verlinkungen auf Videos, Broschüren und sonstige Experten-Angebote.

https://www.lesen.bayern.de/filby2: Training zur Steigerung der Leseflüssigkeit mit Hilfe eines Programms, entwickelt von der Universität Regensburg in Kooperation mit dem Kultusministerium, dem Arbeitskreis Leseförderung des ISB und dem Bayerischen Rundfunk.

https://www.stiftunglesen.de: Mit Lese- und Medienempfehlungen, Lehrerclub und unter anderem der Rubrik "Forschung".

https://www.stiftunglesen.de/programme/jugend-und-freizeit/lesen-in-bewegung: Originelle Ansätze, wie sich Lesen und Bewegung verbinden lässt - auch für Gruppen sehr gut geeignet.

https://www.ajum.de: Bewertung von Büchern und Medien durch die Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien der GEW.

https://www.deutschepost.de/de/p/post-und-schule.html: Liefert Material für jedes Alter rund ums Briefeschreiben plus Muster-Vorlagen von Kündigung bis Kondolenzschreiben. mip

Alle Eltern wissen, dass man für die Entdeckung jener Welt, die zwischen zwei Buchdeckeln wohnt, anfangs einen langen Atem braucht. Zumal heute die Verlockung immer größer wird, sich Klassiker und Bestseller per Verfilmung zu erschließen. Doch geht auf diese Weise immer ein wenig vom ursprünglichen Zauber verloren, der auch darin besteht, das geschriebene Wort durch eigene Bilder im Kopf zu ergänzen. Ein guter Kompromiss ist da der Einsatz von Comics, die idealerweise Action, Emotionen und unbedingt Humor kombinieren. So wie bei "Biber undercover" (Text: Rüdiger Bertram, Illustrationen: Timo Grubing), dem diesjährigen Geschenk zum Welttag. In der witzigen und turbulenten Geschichte stellen Tobi und Selma nicht nur allerlei Unsinn an und tricksen ihre Eltern aus, sondern helfen auch einem ausgestopften Biber, der infolge eines missglückten Experiments zum Leben erwacht ist. "Die dem Text gleichgestellten Comics unterstützen den Einstieg ins Lesen. So eröffnet sich ein niedrigschwelliger Zugang zu Geschichten und der tollen Welt des Lesens. Nicht zu vergessen die Stärkung von Entdeckergeist und Kreativität," sagt Julia Decker, Pressesprecherin des Cbj-Verlags. Sie hat sogar eine Anekdote über die langfristigen Auswirkungen der Aktion "Ich schenk dir eine Geschichte" parat: Eine der Auszubildenden habe den Verlagsnamen deswegen in Erinnerung gehabt, weil das Geschenk zum Welttag eines ihrer ersten Bücher gewesen sei. "Und nun ist Anna bei uns im Haus und begleitet die Aktion für den Azubi-Blog und den Instagram-Kanal Buchentdecker."

Doch auch wenn bestimmt nicht alle Viert- und Fünftklässler aufgrund ihrer Lektüre von "Biber Undercover" später einmal beruflich in den Buchhandel gehen, sondern vielleicht einfach nur ihre Liebe zu Geschichten und Sprache entdecken, wäre das definitiv ein Gewinn und ein Grund zur Freude.

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Quelle:
SZ vom 23.04.2021
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