Süddeutsche Zeitung

Alte Brennerei Ebersberg:Kunst im Delirium

20 Studierende der Münchner Akademie setzen sich mit Ebersbergs Galerie auseinander, die als ehemalige Brennerei allerhand Anknüpfungspunkte zu bieten hat.

Von Anja Blum

Die meisten Werke, die derzeit in der Galerie des Ebersberger Kunstvereins zu sehen sind, wurden mit einem Preis "auf Anfrage" gekennzeichnet. Vermutlich deshalb, weil die jungen Aussteller, allesamt Studierende der Münchner Akademie, mit den Mechanismen des Marktes noch nicht allzu vertraut sind. Nena Čermák aber hebt sich davon ab: Ihre multimateriale Arbeit "Trancing Euphorier", ein Gedärm aus Stoff, Holz, Fiberglas, Pappmache, Spachtelmasse und Acryl, kostet stolze 1900 Euro, ihr "Choker" hingegen ist in Naturalien zu bezahlen: Gefordert werden sechs Helle, eine Flasche Jack Daniels, eine Flasche Frangelico und eine Flasche Jägermeister. Tränke man das alles an einem Abend, sähe das Ergebnis wohl aus wie Čermáks Werk: wie ein ekliger Fleck Erbrochenes auf dem Boden. Technik: "das Leben - und Silikon".

Ja, es ist eine Menge Humor im Spiel, bei dieser Ausstellung. Sie ist jung, wild, überraschend und vor allem eines: multimedial. "So viele unterschiedliche Medien hatten wir wahrscheinlich noch nie hier", sagt Projektleiterin Luci Ott, selbst das jüngste Gesicht des Ebersberger Kunstvereins. Überall Bildschirme, Leinwände, Lautsprecher, Kopfhörer. Das sei freilich sehr spannend, so Ott - in der Vorbereitung aber ziemlich aufwendig gewesen. "Da muss man sehr aufpassen, dass sich die Sounds und bewegten Bilder nicht in die Quere kommen, das schon was anderes als bei einer reinen Gemäldeausstellung."

Bemerkenswert ist aber auch, dass sich hier 20 Künstlerinnen und Künstler einem einzigen Thema widmen: Die Klasse von Professor Sandra Schäfer an der Akademie der Bildenden Künste macht die Alte Brennerei, also den Ausstellungsort selbst, zum Subjekt ihrer künstlerischen Auseinandersetzung. Wie der Name der Galerie bereits sagt, wurden die weiß getünchten Räume ursprünglich zur Gewinnung von Alkohol genutzt. Und daran erinnern heute noch viele Details wie Haken an der Decke, Ausbuchtungen in den Wänden oder eine außergewöhnliche Raumaufteilung. Denn der Ebersberg Kunstverein hat sein Refugium ganz bewusst nicht bis zur Sterilität renoviert, weswegen sich die Galerie besonders großer Beliebtheit erfreut. Und die Studierenden greifen nun eben diese räumlichen Gegebenheiten und diverse Bezüge zum damaligen Produktionsprozess mit ihren Werken auf. In Installationen, Videos, Skulpturen, Sound oder Fotografie, experimentell und kollaborativ, geht es natürlich um Alkohol und den Rausch, um den Prozess des Destillierens, und immer wieder um den Rohstoff, die gemeine Kartoffel. Aber auch die Ebersberger Umgebung, etwa die Pfarrkirche oder der Forst, hat Eingang gefunden in die sehenswerte Schau.

Gleich im erste Raum hängt ein "Darmhirn", eine große Installation aus Drahtgeflecht von Léonna Wex, neuronales Netzwerk, Verdauungsorgan, Flugobjekt? Auch als überdimensionierter, durchsichtiger Helm kann das Ganze fungieren, zusätzlich verstört künstliches Vogelgezwitscher aus einem Kopfhörer. Daneben ist es laut, Benjamin Mathias hat eine Soundinstallation auf drei Stelen kreiert: Eine Kartoffel hüpft da auf einer Lautsprechermembran, ein Dialog gibt erschreckende Einblicke in das robuste Trinkverhalten eines Bayern und zum Duft von Selbstgebranntem ertönt undefinierbares Gestöhne. In die Kategorie "verstörende Audiofiles" fällt auch "Die Konsolidierung des Nichts" von Simona De Fabritiis, ein Text voller Bandwurmsätzen, Nominalisierungen und Fremdwörtern, der die Gehirnwindungen in kürzester Zeit aufs Schlimmste verknotet. Bei den "Dichten Dichtern" hingegen, einer poetisch-skurrilen Kombination aus Sound und sprachlichen Skizzen von Magdalena Kratzer, ist nicht alles unverständlich. Ob der Rausch sich hier tatsächlich als Zustand erweiterter Erkenntnis erweist, bleibt indes offen.

Optisch umgesetzt hat das Delirium, den Zustand zwischen Sein und Schein, Matthias Josef Miller mit seiner Videoinstallation "Obstler": surreale Szenerien aus Wiesen, Bäumen, Wasser, die wie im Zeitraffer verschwimmen. Das Auge und das Gehirn wollen erkennen, suchen nach Fixpunkten - vergebens! Ähnlich bei Nina Alverdes: Sie hat in Ebersberg und München Architektur gefilmt, etwa den Klosterbauhof oder die Akademie, und dabei einen Spiegel an die Kamera gehalten. So entstehen verrückte Perspektiven, Doppelungen, Überblendungen, Luftschlössern gleich. "Der Brand in der Felsung" von Pauline Stroux hingegen setzt die Differenz von Anspruch und Realität in Szene: ein ungemachtes Bett, Kopfwehtablette, dazu unzählige To-Do-Listen. Den Moment, wenn das 1000-Teile-Puzzel plötzlich ein Eigenleben entwickelt, hat Tatjana Vall festgehalten - dank verformtem Plexiglas. Sprechender Titel der Arbeit: "Dusty mouth swallowing". Anna Rosa Lea Dietze hat das Thema "Brennerei" als etwas sterile digitale Assoziationscollage umgesetzt, dazu gibt es Sticker für einen Euro zu erwerben.

Auch dem Weg zum Alkohol spüren die jungen Künstler nach. Manuel Neboisa hat sich selbst beim Cocktailmixen gefilmt, Jan Plausteiner kaut dem Publikum tatsächlich etwas vor, Kartoffeln nämlich. Denn angeblich kommt in gewissen Breitengraden alleine dadurch ein Gärungsprozess in Gang. Das Experiment ist in Bild, Ton und Geruch festgehalten - vermutlich nicht jedermanns Sache. Ebenfalls grenzwertig ist "Papas Apotheke" der Vietnamesin Vy Pham: Seepferdchen und diverses Undefinierbares in Gläsern.

Mit der Geschichte der Brennerei und Ebersbergs setzt sich Sonja Wahler auseinander, eine zauberhafte Arbeit: Mittels Cyanotypie hat sie diverse Gegenstände auf Baumwollstoff gebannt und diesen auf drei runde Rahmen gespannt. Man kann eine Flasche erkennen, einen Kronkorken, einen Rosenkranz, alles in blau-weiß gehalten. Die Figur des Heiligen Sebastian hat auch Moritz Steinhauser inspiriert, zu einer dreiteiligen Objektinstallation aus einer comicartigen Zeichnung, einem Stilglas mit Loch und einem Pfeil in der Wand.

Der thematische Bezug zum Ausstellungsort ist also tatsächlich groß. Manche der Werke seien sogar erst in der Alten Brennerei entstanden, erzählt Luci Ott, auch insofern sei es eine tolle Erfahrung gewesen, dieses Projekt zu begleiten. Lucia-Charlotte Ott etwa hat vor Ort Leinen in Wachs getränkt, als wohlriechende Projektionsfläche. "Schön war aber auch zu sehen, wie glücklich und motiviert alle waren, weil sie endlich mal wieder zusammen arbeiten und sich zeigen durften." Nun ist die Ebersberger Galerie zwar erst einmal geschlossen, doch sobald es die Pandemie zulässt, möchte der Kunstverein seine Tür wieder weit aufmachen.

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Quelle:
SZ vom 24.04.2021
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