Süddeutsche Zeitung

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 49:Reha beginnt im Intensivbett

Seit kurzem arbeitet auf der Intensivstation von Pola Gülberg neben Fachkräften für Physiotherapie und Logopädie auch eine Ergotherapeutin. Für die Patienten ist das Gold wert.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Seit kurzem haben wir auf unserer Intensivstation eine neue Errungenschaft: eine Ergotherapeutin. Die Kollegin ist für sogenannte ATLs zuständig - Aktivitäten des alltäglichen Lebens. Sie übt mit unseren Patienten zum Beispiel das selbständige Essen oder die Fähigkeit, sich selbst zu waschen. Das ist Gold wert für unsere Patienten. Denn durch die Ergotherapie werden verloren gegangene oder geschwächte Fähigkeiten trainiert und wiederhergestellt. Reha also, denn eine Reha mit den besten Erfolgsaussichten beginnt bereits im Intensivbett.

Bislang gab es auf unserer Intensivstation Physiotherapie und Logopädie. Während die Physio Patienten oft von ihrem ersten Tag an, den sie bei uns verbringen, mit Bewegungs- und Atemtherapien behandeln, sind Logopäden für Schluck- und Sprachtherapien etwa nach einer langen Intubationszeit zuständig. Die Therapeuten stoßen punktuell hinzu, wenn es ärztlich angeordnet wurde, und arbeiten für einen bestimmten Zeitraum am Tag mit den betroffenen Patienten intensiv und differenziert. Davor und danach werden die Patienten aber nicht einfach in ihren Betten liegen gelassen. Dann gehören solch rehabilitierenden Maßnahmen zur Verantwortung von uns Pflegekräften - die gezielte Arbeit der Therapeuten ruht auf unseren Schultern.

Frühmobilisation lautet eines der Schlagworte: Während eines Aufenthalts auf der Intensivstation bauen Patienten an Muskulatur ab, die Gelenke werden steif, denn hauptsächlich wird die Zeit im Bett verbracht. Würde die Arbeit an Muskulatur und Gelenken erst nach dem Krankenhausaufenthalt auf der eigentlichen Reha beginnen, wäre der Weg hin zur vollständigen Rehabilitation des Körpers extrem lang und anstrengend; so manch eine Fähigkeit bliebe womöglich verloren. Wenn wir hingegen bereits auf der Intensivstation einige Reha-Aspekte einbauen, halten wir den passiven Zustand im Bett so kurz wie möglich. Dadurch kann der Abbauprozess von Muskeln und Gelenken nicht so weit fortschreiten.

Im Idealfall lautet das Ziel eine aktive Bewegung des Patienten, zum Beispiel frei an der Bettkante sitzen. Das klappt auch mit manch einem Patienten, der noch intubiert ist - wir müssen das bei jedem Fall individuell ausloten. In kleinen Schritten versuchen wir uns dem freien Sitzen zu nähern: Wir beginnen mit einem sogenannten aktiven Herzbett. Hier wird der Patient im Bett aufgesetzt, sodass er für eine Weile seinen Kopf selbst halten muss. Das zwingt das Gehirn zum Arbeiten, der Orientierungssinn wird aktiviert - das ist wichtig, denn der leidet während einer Sedierung sehr.

Während einer Sedierung wird das Nervensystem des Patienten durch die Gabe von Beruhigungsmitteln gedämpft. Das ist beispielsweise bei einer Intubation der Fall. Oft haben Patienten dann Probleme, sich im Raum zu orientieren. Oben, unten, links, rechts - was ist wo? Sie verlieren ihre Wahrnehmungsfähigkeit. Vor allem ein Kontakt der Füße mit dem Boden ist hier unglaublich effektiv, er erdet die Patienten. Ich habe schon mehrmals erlebt, dass Patienten ihre Augen vorsichtig öffnen und beginnen, ihre Umgebung wieder wahrzunehmen, sobald sie den Boden unter ihren Füßen spüren. Daran sieht man: Selbst schwer kranke Menschen sind bereits fähig zu einzelnen Schritten der Rehabilitation.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 37-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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