Fachkräftemangel:Der lange Arm der Pandemie

Fachkräftemangel: Wenn der Kindergarten plötzlich ausfällt, müssen Eltern improvisieren - und das passiert zur Zeit sehr häufig.

Wenn der Kindergarten plötzlich ausfällt, müssen Eltern improvisieren - und das passiert zur Zeit sehr häufig.

(Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Geschlossene Gruppen, überarbeitete Mitarbeiterinnen und Personalnot: Viele Kindertagesstätten im Landkreis Ebersberg haben derzeit mit einigen Problemen zu kämpfen - und befinden sich seit Corona in einem Teufelskreis.

Von Franziska Langhammer, Ebersberg

Das Kind ist angezogen, der Rucksack für die Brotzeit ist gepackt, die Checkliste für den Morgen abgehakt - und dann heißt es an der Tür der Kindertagesstätte: "Heute müssen Sie Ihre Tochter leider wieder mit nach Hause nehmen, wir haben nicht genügend Personal." Im ganzen Landkreis ist diese Szene für Eltern nicht zuletzt seit Corona etwas Neues, manche haben sie auch in den vergangenen Monaten mehrmals erleben müssen. Man muss nicht lange herumfragen, dann bekommt man Geschichten erzählt von Praktikantinnen, die ganze Gruppen leiten müssen, oder von ausgebrannten Mitarbeiterinnen, die langfristig krankgeschrieben sind. Einige Geschichten sollen nicht den Weg in die Zeitung finden, aber es gibt auch Kita-Leitungen, die mit der SZ offen über die Problematik sprechen.

"Es bewerben sich einfach zu wenig Leute", sagt beispielsweise Francine Schechner, stellvertretende Leiterin der Ebersberger Arche. Und unter den Bewerbern seien oftmals welche, die nicht ausreichend qualifiziert seien. Schechner erzählt, dass in der Arche in den letzten Monaten immer wieder Gruppen schließen mussten, mal für ein paar Tage, mal für eine Woche. "Es gibt viele Eltern, die verständnisvoll sind", sagt Francine Schechner, "andere sind es nicht."

Wenn die Kranken zurück sind, fallen die anderen aus - ein Teufelskreis

Eigentlich sind für eine Gruppe von 25 Kindern in der Arche Ebersberg drei Erzieherinnen verantwortlich. Oft springen im Krankheitsfall Kollegen und Kolleginnen aus anderen Gruppen ein; immer klappt das aber nicht. Eine Notgruppe etwa könne nur aufgemacht werden, wenn auch das Personal dazu bereitstehe, so die stellvertretende Leiterin - und das hat die Kita momentan einfach nicht. Als problematisch sieht Schechner auch die Frage: Welches Kind darf dann in die Notgruppe, und welches nicht?

Ein anderes Problem ist der Krankenstand unter den Kolleginnen, der um diese Jahreszeit gewöhnlich noch höher ist als sonst. "Wenn zwei oder drei Leute krank sind, müssen die anderen mehr arbeiten - und die fallen dann aus, wenn die anderen wieder zurück sind", beschreibt Francine Schechner, "es ist ein Teufelskreis."

Was den Druck auf das Personal verstärke, seien die erhöhten Anforderungen, mit denen Eltern an die Kitas heranträten. Viele Mütter und Väter würden von den Betreuungseinrichtungen immer mehr Dinge erwarten, die sie eigentlich mit ihren Kindern auch zu Hause tun könnten, so Schechner. Etwa, dass Kinder jeden Tag draußen spielen, etwas basteln oder in Fremdsprachen geschult würden. Das jedoch, sagt Francine Schechner, sei nicht das Hauptaugenmerk der Arche: "Wir wollen, dass die Kinder einen schönen Tag haben, und dass sie sozial und emotional gefördert werden." Derzeit sucht die Arche eine Erzieherin. Mit Riesenglück, wie es die Leiterin erzählt, habe man nun zwei Kandidatinnen gefunden, die demnächst ihre Arbeit in der Einrichtung aufnehmen.

Die Ausbildung zur Erzieherin dauert lange und ist schlecht vergütet

Auch große Träger, die mehrere Einrichtungen im Landkreis betreiben, spüren die Personalnot deutlich. So berichtet etwa Christian Althoff, Bereichsleiter für Soziale Dienste im Kreisverband Ebersberg des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK), dass es in den 18 Einrichtungen im Landkreis immer wieder offene Stellen gibt. "Wenn eine Mitarbeiterin krank wird oder schwanger, klafft sofort eine große Lücke auf", sagt er. Auf Stellenausschreibungen kämen oftmals keine Rückmeldungen. Auch sei der derzeitige Krankenstand auf Grund der Grippewelle massiv. "Wir merken alle die Spuren der letzten zwei Jahre", so Althoff. Für alle Mitarbeiter sei die Pandemie sehr anstrengend gewesen.

Auf Nachfrage heißt es vom Rathaus Ebersberg, dass grundsätzlich jede der vier Krippen und sieben Kindergärten in der Kreisstadt mit Personalproblemen zu kämpfen habe - schlicht, weil kein Personal zu finden ist. Einerseits dauere die Ausbildung sehr lange, und diese sei noch dazu schlecht vergütet.

"Wir haben seit September zwei Krippengruppen leerstehen", erzählt Ingrid Kastner mit Bedauern in der Stimme. Die Geschäftsleiterin der Kindertagesstätte des Familienzentrums Poing erzählt von vier offenen Stellen und den Schwierigkeiten, überhaupt jemanden zu finden. "Der Arbeitsmarkt ist wie leergefegt", sagt sie. Die Maßnahmen, etwa dass Erzieherinnen sich auch auf alternativem Bildungsweg qualifizieren könnten, würden erst in ein paar Jahren greifen.

Nach Corona-Regelung werden schwangere Mitarbeiterinnen sofort in den Krankenstand geschickt

Außerdem beeinflusst die Pandemie nach wie vor die Personalpolitik in den Kitas: Wenn eine Mitarbeiterin schwanger ist, so die Corona-Regelung, wird sie meist ab sofort aus dem laufenden Betrieb genommen. Auch seien viele Mitarbeiterinnen überarbeitet und krankheitsanfällig. Seit keine Masken mehr getragen werden müssen, hätten Streptokokken oder Noroviren wieder leichtes Spiel.

Bis Gabriele Pfanzelt nachgezählt hat, wie viele offene Stellen die 19 Kindertagesstätten des Ebersbergers Kreisverbands der Arbeiterwohlfahrt (Awo) derzeit hat, dauert es ein Weilchen. "Ungefähr siebzehn", sagt sie schließlich. Pfanzelt ist für den Bereich Kinder und Jugend zuständig und berichtet, dass auch einige Gruppen in den Awo-Einrichtungen gar nicht erst eröffnet wurden. "Wir haben schon in allen Häusern die Öffnungszeiten auf 16 Uhr reduziert", erzählt sie. Damit wolle man die Mitarbeiterinnen, die noch da seien, bündeln und vor dem Schichtdienst bewahren - "damit das Personal nicht wegbricht vor Erschöpfung".

Nach Corona sei es noch eine Weile gut gegangen, jetzt bekomme man die Rechnung für diese Zeit. Gabriele Pfanzelt findet deutliche Worte im Hinblick auf die Eltern: "Die Sicherheit eines Kindergartenplatzes, wie sie es noch vor der Pandemie gab, existiert heute nicht mehr." Heute seien die Familien verpflichtet, mit reinzugehen in die Betreuung. Man müsse immer einen Plan B haben: Was mache ich, wenn die Kita heute nicht auf mein Kind aufpassen kann? "Die Konsequenzen", so Gabriele Pfanzelt, "müssen wir alle tragen."

Die Teams seien alle an der Belastungsgrenze, sagt eine Awo-Verantwortliche Gabriele Pfanzelt

Die Teams in den Kitas seien alle an der Belastungsgrenze. An der Leitung einer Kita liege es zu prüfen, ob die drei wichtigsten Punkte gewährleistet seien - der Kinderschutz, die Aufsichtspflicht und ein gutes Arbeiten im Team. Bei der Awo habe man versucht, die Eltern von Anfang an mit an Bord zu holen, um etwa verkürzte Öffnungszeiten für alle verträglich zu gestalten. Die meisten würden dies mittragen, doch manchmal höre man auch Sätze wie "Aber ich habe ein Recht darauf!"

Dass die Personalnot noch viel schlimmer wird, befürchtet Gabriele Pfanzelt mit Blick auf den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter, der ab August 2026 stufenweise eingeführt werden soll. "Es ist ein Wahnsinn", kommentiert sie. Doch ganz so düster will sie nun auch nicht in die Zukunft schauen: Dank Corona hatten die meisten Kindertagesstätten kleinere Gruppen und mehr Zeit für Teambesprechungen. "Diesen Schwung haben wir mit über die Coronazeit gerettet."

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