Landkreis Ebersberg:Ahnungslos bei Alarm

Sirene Firma Hörmann Kirchseeon

In den meisten Gemeinden gibt es noch Sirenen wie diese zur Alarmierung. Aber das reicht nicht.

(Foto: oh)

Zwar ist der Landkreis technisch ganz gut für den Katastrophenfall ausgerüstet. Verantwortliche fordern aber eine bessere Aufklärung der Bevölkerung - und mehr Eigenvorsorge.

Von Alexandra Leuthner

Keine einzige öffentliche Sirene gibt es in Poing. Doch damit steht die Gemeinde nicht alleine da: Im ganzen Münchner Stadtgebiet seien keine Sirenen mehr installiert, berichtet Matthias Müllner, Geschäftsführer der international operierenden Firma Hörmann Warnsysteme mit Sitz in Kirchseeon. Zur Entwarnung sei gesagt: Für alle anderen Landkreisgemeinden gilt das nicht. Wer in Ebersberg oder Grafing, Vaterstetten oder Hohenlinden wohnt, hat den markerschütternden Sirenenton im Ohr, der losbricht, wenn die Feuerwehr gerufen wird, und der zudem regelmäßig am ersten Samstag im Monat getestet wird. Per Sirene und zusätzlich per Funk würden die Feuerwehren in den Landkreiskommunen alarmiert, berichtet Kreisbrandrat Andreas Heiß. Einige Gemeinden hätten sogar mehrere Sirenen, wie etwa Baiern, wo es zusätzlich in Antholing und Berganger, oder Egmating, wo es im weitab gelegenen Ortsteil Münster eigene Sirenen gibt. "Was die Alarmbereitschaft angeht, glaube ich, dass der Landkreis ganz gut aufgestellt ist", sagt Heiß.

Nachholbedarf gibt es dennoch, und zwar im Hinblick auf die Alarmierung der Bevölkerung, erklärt Ebersbergs Bürgermeister Uli Proske (SPD), selbst langjähriger Feuerwehrkommandant. Nicht nur, weil überall im Land nach 1993, nach dem Ende des Kalten Kriegs, Sirenen abgebaut worden sind - etwa 40 000 von 80 000 deutschlandweit -, sondern auch, weil sich viele Gemeinden seither verändert hätten und zum Teil stark gewachsen seien. Es gebe Gemeindeteile, in denen der Alarmton einfach nicht zu hören sei. "In Ebersberg haben wir eine Sirene auf dem Rathaus, von der hört man hinten im Ebrachtal nichts mehr. Aber auch da muss ja irgendeiner wach werden." Im Katastrophenfall.

Der auch im Landkreis Ebersberg eintreten kann, wie etwa das Hochwasser bei Glonn und Moosach im Jahr 2002 bewiesen hat. Kreisbrandrat Heiß beschreibt, als wäre es gestern gewesen, wie eine lokale Gewitterzelle in jenem August innerhalb von 40 Minuten das Wasser in den Kellern in den betroffenen Gemeinden brusthoch steigen ließ, während beim Ebersberger Volksfest die Leute im strahlenden Sonnenschein beim Bier saßen. Als er am Einsatzort angekommen sei, habe er kaum mehr aus dem Auto aussteigen können und neben ihm sei "auf einmal der Gullydeckel hochgekommen vor lauter Wasser. Das sind Erlebnisse, die man nicht vergisst."

Die aber auch kaum vorstellbar sind - und genau da liege, da sind sich Proske, Heiß und Müllner einig, eines der Probleme. "Meine Einschätzung ist, dass nicht mehr jeder weiß, was er zu tun hat in so einem Fall", erklärt Heiß. Wenn also nicht der dreimal auf- und abschwellende Feuerwehrrufton erschallt, sondern der anhaltende konstante Heulton, den die Kriegsgeneration noch als Fliegeralarm erlebt hat. Eigentlich fordert dieser Ton unmissverständlich dazu auf, das Radio anzustellen, um sich über den Grund der Warnung zu informieren, ob Hochwasser, eine Giftgaswolke oder ein außergewöhnlich heftiger Sturm. "Die Bedeutung des Sirenenalarms ist aber nicht mehr im Bewusstsein", stellt Proske fest - was aber, wie er hinzufügt, in den vergangenen Jahrzehnten niemanden interessiert habe. Obwohl diese akustische Warnung weitaus effizienter sei als jede Mobilfunkapp. "Das haben wir ja jetzt erlebt, dass Mobilfunknetze zusammenbrechen." Während die Funkanlagen für die Feuerwehren "gepuffert" seien, also mit einem Akku weiterfunktionierten, auch wenn der Strom ausfalle, treffe das auf die zivilen Anlagen nicht zu. Nach zwei Stunden gehe zwar auch die Funkanlage der Feuerwehr "in die Knie, aber da sind die Einsatzkräfte längst vor Ort."

Es fehle vielen Behörden, stellt Müllner fest, schlicht das Know-how. Spätestens angesichts der aktuellen Ereignisse müsse viel getan werden - mit einem Investitionsprogramm der Bundesregierung in Höhe von 90 Millionen Euro fördert das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe nun den Neubau von Sirenen. Zuvor aber müssten von Experten erst einmal Gebäudepläne erstellt und akustische Untersuchungen gemacht werden, "und dann müssen die Sirenen noch rauf aufs Dach", sagt Müllner. Was zeitaufwendig sei und heute nicht mehr so einfach. Da werde von Hausbesitzern gern auf den Lärm verwiesen, den eine Sirene mache, auf die Mieter, die man schützen müsse.

Ein wenig bissig spricht Bürgermeister Proske von der "Wohlfühlgesellschaft". Er fordert unter anderem Notfallpläne für jeden Ort und jede Gemeinde, "man müsste im Voraus einen Treffpunkt bestimmen", an dem Bürger in Notlagen sich versammeln könnten. Für die Kommunen gelte es nun auch - und für Ebersberg sei das geplant - mittels Computersimulationen Gefährdungspunkte zu bestimmen. "Wo haben wir Hanglagen? Wo haben wir Wasserläufe, die man so nicht sieht? Was kann man dagegen tun?" Mit seiner Einschätzung steht Proske keinesfalls alleine da, so war der Katastrophenschutz in dieser Woche auch Thema im Vaterstettener Gemeinderat. Bürgermeister Leonhard Spitzauer (CSU) wies in der Sitzung darauf hin, das der Katastrophenschutzplan des Landkreises gerade aktualisiert werde.

Was nicht heißt, dass nicht schon einiges passiert ist. So sei jedes Feuerwehrauto im Landkreis nach dem Glonner Hochwasser mit zwei Spezialpumpen ausgerüstet worden, die auch verschmutztes Wasser beseitigen können, berichtet Proske. Auch in den vorbeugenden Schutz sei investiert worden, mehr als 20 Millionen allein in Ebersberg, berichtet Proske. In Pliening, wo bei Starkregen das Wasser von der Endmoräne herunterschießt und beim Pfingsthochwasser 1999 enorme Schäden anrichtete, ist man seit Jahren dabei, die Bürger mit Wällen oder ertüchtigten Rohren zu schützen. In Grafing konnten Polderflächen am Wieshamer Bach im vergangenen August Schlimmeres für die Anwohner verhindern. Dagegen ist der für den Hochwasserschutz notwendige Dammbau in Glonn immer noch nicht umgesetzt worden, weil der Naturschutz dem entgegen steht. Im öffentlichen Bereich, so Proske, müsse man das Augenmerk aber auch auf einfache Schutzmaßnahmen richten, Wasserführungen etwa, die verhindern, dass Straßen bei zu viel Regen zu Wasserläufen werden.

Die besten Technologien aber reichten nicht aus, wenn die Menschen im Katastrophenfall nicht wüssten, was sie tun müssen, sagt ausgerechnet der Vertreter der Kirchseeoner Alarmanlagenfirma. "Es ist lebenswichtig, dass man die richtige Entscheidung trifft, wenn man den Weckruf hört." Jeder müsse sich dann fragen, was er in seinem Umfeld tun müsse, zum Beispiel beim älteren Nachbarn klingeln und Bescheid geben. Man müsse den Menschen auch klar machen, dass sie den Anweisungen der Rettungskräfte folgen müssten - und dass es nicht so wichtig sei, das eigene Auto zu retten. "Wenn in dem Moment die Dämme brechen, ersäuft derjenige in der Tiefgarage, der noch schnell sein Auto holt", kommentiert Proske, der ebenfalls für flächendeckende Aufklärung wirbt, aber auch auf die Notwendigkeit zur Eigenvorsorge hinweist. Hochwassersichere Kellerschächte, wasserdichte Kellerfenster - vor einem Hochwasser bis zu 60, 70 Zentimetern könnten Hausbesitzer sich schützen. In die Bauherrenberatung flössen solche Ratschläge längst mit ein, würden aber allzu oft nicht befolgt. "Es ist halt viel bequemer, nichts zu tun. Und dann holt man lieber schnell die Feuerwehr."

Die übrigens in Poing schon auf die Straße muss, bevor eine Katastrophe da ist. Wenn die Rettungsleitstelle in Erding den Sirenenalarm auslöst, schickt sie zugleich per Funk in Poing die Feuerwehr los, die dort dann mittels Lautsprecher die Bevölkerung zum Einschalten der Radiogeräte auffordert.

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