Integration im Landkreis:Sie lernen nicht fürs Klassenziel

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Dürfen im Integrationskurs nicht fehlen: Schulbücher und Federmäppchen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wer Bürger von Deutschland werden will, muss einen Integrationskurs absolvieren und Tests bestehen. Wie funktioniert das, welchen Herausforderungen begegnen Lehrer und Immigranten? Ein Unterrichtsbesuch in Grafing.

Von Merlin Wassermann, Ebersberg

Mareile Göller verteilt braune Umschläge. Darin enthalten sind Bilder von Leuten bei der Arbeit. Die Deutschlehrerin erklärt ihren Schülerinnen und Schülern, was sie machen müssen: Die Arbeit beschreiben, ohne die Berufsbezeichnung zu nennen.

Der Unterricht in einem Klassenzimmer des Max-Mannheimer-Gymnasiums in Grafing erinnert an eine typische Schulklasse. Grüppchen haben sich gebildet, manche setzen sich gezielt nach hinten, es wird getuschelt. Auch der Humor darf nicht fehlen. Eine Frau ringt ein wenig mit den Worten und beschreibt den abgebildeten Beruf so: „Sie macht Frisuren“. Ein Mitschüler ruft „Elektriker“.

Anders als in einer typischen Schulklasse sind die gut 20 Schülerinnen und Schüler jedoch keine Kinder oder Jugendlichen, sondern Erwachsene. Göller leitet vielmehr einen der Integrationskurse, die von der Volkshochschule (VHS) Ebersberg-Grafing angeboten werden. Sie bereitet ihre Klasse derzeit darauf vor, das Deutsch B1 Zertifikat zu erwerben. An diesem hängt viel für die Kursteilnehmer: ihre Arbeitsstellen, ihre dauerhafte Bleibeperspektive.

Deutsch-Dozentin Mareile Göller gibt seit neun Jahren Integrationskurse für die VHS. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Obwohl die Themen irreguläre Migration und Asyl den öffentlichen Diskurs dominieren, spielen diese in den Integrationskursen im Landkreis Ebersberg eine eher untergeordnete Rolle. „Wenn man die Ukrainerinnen und Ukrainer herausrechnet, sind die meisten unserer Kursteilnehmer keine Geflüchteten“, erklärt Stefanie Horten. Sie ist Dolmetscherin und die Fachbereichsleitung Deutsch an der VHS. Eine Zeit lang hätten zwar die Ukrainer etwa 90 Prozent der Kursteilnehmer ausgemacht. Normalerweise sei das Verhältnis jedoch 70 Prozent Arbeitsmigranten zu 30 Prozent Geflüchteten.

Ein Integrationskurs muss am Ort der Erstaufnahme absolviert werden

Diese geringe Zahl an Geflüchteten hat einen einfachen Grund: Der Landkreis Ebersberg hat keine Erstaufnahmestelle. Es sei allerdings rechtlich vorgesehen, sagt Horten, dass Personen dort einen Integrationskurs absolvieren, wo sie zuerst aufgenommen werden. „Für die Geflüchteten bei uns im Landkreis ist das meist München.“ Dort sammelten sich außerdem ihre Freunde und Familien, dort würden sie mit der Zeit Wurzeln schlagen und eben auch die Integrationskurse besuchen.

Hinzu kommen besondere Anforderungen an den Umgang mit Geflüchteten, wie Mareile Göller erläutert. „Es gibt in Ebersberg keine Alphabetisierungskurse mehr“, sagt sie. Viele Geflüchtete – etwa aus Syrien oder Afghanistan – müssten jedoch zunächst einmal das lateinische Alphabet lernen. „Wir hatten nicht genügend Nachfrage, um diese Kurse aufrechtzuerhalten“, so Göller. Wolle man diese wieder einführen – etwa in Markt Schwaben, wo es zuletzt viel Diskussion um neue Flüchtlingsunterkünfte gegeben hatte – müsste die jeweilige Gemeinde diese neu gestalten.

Mit im Integrationskurs sind auch Constantina (Zentrum, grauer Pullover) und Dejan (ganz rechts). Sie hoffen, durch bessere Deutschkenntnisse auch eine bessere Arbeit finden zu können. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

In Göllers Klassen gibt es insgesamt nur sehr wenig Geflüchtete, an diesem Dienstagabend keinen einzigen. Trotzdem ziehen Geflüchtete die meiste Aufmerksamkeit auf sich. Dabei seien vor allem die Arbeitsmigranten ein „wichtiger Teil unserer Gesellschaft“, so Stefanie Horten. Viele von ihnen arbeiteten auf Baustellen, als Lageristen oder in der Gastronomie. Auch Mareile Göller traf vor Kurzem, als ihre Mutter krank wurde, auf einige ihrer Schüler: Viele von ihnen arbeiten in der Pflege, in Heimen oder im Krankenhaus. Und das meistens, obwohl sie in ihren Heimatländern andere Berufe ausgeübt haben.

So zum Beispiel Constantina. Die Rumänin ist eigentlich gelernte Kunstmalerin, seit sie vor einigen Jahren nach Deutschland kam, musste sie jedoch verschiedene Jobs annehmen, etwa in der Reinigung oder als Küchenhilfe. „Ich liebe das nicht“, sagt sie. Aber sie habe keine andere Wahl. Auch für den Bosnier Dejan ist die Arbeitssituation frustrierend. Er hat zehn Jahre lang als Maschinentechniker gearbeitet, vor drei Jahren kam er für seine Freundin nach Deutschland. Ein Jahr arbeitete er im Restaurant, jetzt ist er Monteur. Zufrieden sei er nicht mit der Arbeit, „aber es ist in Ordnung“, sagt er. Sobald er besser Deutsch könne, würde er auch bessere Arbeit finden. Viele Kursteilnehmer eint diese Hoffnung.

Denn viele von ihnen wollen lange in Deutschland bleiben. Zwar gibt es auch Berufe, in denen kaum Deutsch gefragt ist, etwa auf der Baustelle. Für diese Klientel sei die Pflicht, für eine Arbeitserlaubnis einen Integrationskurs besuchen zu müssen, ein „notwendiges Übel“, wie Stefanie Horten sagt. Doch zumindest in Göllers Klasse haben die meisten den Anspruch, in Deutschland zu bleiben und die Sprache sowie etwas über die Kultur zu lernen.

Stefanie Horten von der VHS ist stets auf der Suche nach Räumen und neuem Lehrpersonal. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Unterrichten aber ist nicht immer leicht. „Die Klassen sind sehr heterogen“, sagt Göller. Geschlecht, Herkunft, Religion, Sprache, Alter – in jedem Bereich unterscheiden sich ihre Schüler. Für die Lehrerin bedeutet das, dass sie viel Fingerspitzengefühl und Geduld braucht. Es sei aber immer noch leichter, als eine Grundschulklasse zu unterrichten: „Erwachsene bleiben auf ihren Stühlen sitzen.“

Hinzu kommen logistische Herausforderungen. „Das Thema Raummangel ist ein Dauerbrenner“, sagt Stefanie Horten. Man sei den Schulen, die Räume zur Verfügung stellten, daher sehr dankbar. Und natürlich leide die VHS unter Lehrermangel, ungefähr 30 stünden derzeit zur Verfügung. Ob das reicht? „Nein.“ Es sei aber schwierig, neue Leute zu finden, da die VHS keine festen Anstellungen bieten könne.

Die Teilnehmer müssen teils weite Strecken auf sich nehmen, um zum Kurs zu gelangen

Doch nicht nur für die VHS stellen die Integrationskurse eine Herausforderung dar. Die Kursteilnehmer wohnen in unterschiedlichen Gemeinden, Zorneding, Grafing, Aßling, Ebersberg, die Arbeitsstellen sind allerdings oft noch weiter weg. Sie haben am Abend also häufig eine weite Anreise und müssen sich dreimal die Woche dann noch einmal vier Schulstunden lang konzentrieren. Das ist nicht nur sehr anstrengend, auch das Familienleben leidet darunter. Teuta etwa arbeitet in einem Hotel und berichtet von ihrem Sohn, der gerade in die erste Klasse gekommen ist. „Ich kann kaum noch Zeit mit ihm verbringen.“

Ein weiteres Problem ist das Angewiesensein auf die S-Bahn. Darko arbeitet im Flughafen, er hat Nachtschicht, jeden Tag, und kommt davor immer in den Kurs. „Im Sommer geht es noch“, sagt er. Aber der Winter sei hart. Mit der S-Bahn brauche er für eine einfache Fahrt eine Stunde – wenn sie denn überhaupt fahre. Einmal habe er eine komplette Nacht im Zug verbracht.

Den Integrationskurs zu bestehen, ist ein wichtiger Schritt für die Kursteilnehmer. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Und dann ist da noch die deutsche Sprache selbst. Ein kollektives Stöhnen ertönt, als über „der, die, das“ geredet wird. Göller findet ohnehin, dass B1 eine zu hohe Anforderung für die Einbürgerung ist. So müssten die Kursteilnehmer in den Tests etwa künstlich Passivkonstruktionen einbauen oder die Zeitebene wechseln. „A2 reicht für die meisten Jobs auch“, sagt sie.

Zusätzlich zu dem B1-Zertifikat müssen die Kursteilnehmer außerdem den Test „Leben in Deutschland“ bestehen. Aus 300 Fragen werden etwa 33 ausgewählt, von denen 17 richtig beantwortet werden müssen. Gefragt wird zum Beispiel: „Welches Recht gehört zu den Grundrechten in Deutschland?“ Antwortmöglichkeiten: „Waffenbesitz, Faustrecht, Meinungsfreiheit, Selbstjustiz“. Die meisten bestehen diesen Test.

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Nach 600 Schulstunden Deutsch, 100 Stunden Politik, Gesellschaft und Landeskunde, was laut Horten insgesamt in der Regel mehr als ein Jahr in Anspruch nimmt, kann die Mehrzahl der Kursteilnehmer ein B1-Zertifikat sowie den bestandenen Test „Leben in Deutschland“ vorweisen. Damit ist der Integrationskurs dann abgeschlossen.

Wie Integration besser gelingen kann, dazu gibt es viele Diskussionen und Ideen. Stefanie Horten weiß jedoch, wie es nicht gelingt: „Die Besteh-Quoten für den B1-Test bei den Ukrainern liegt bei 50 Prozent, anstatt wie sonst üblich bei 75 Prozent.“ Das liege daran, dass die Ukrainer sich schnell und viel solidarisiert hätten, mit eigenen Chatgruppen und Angeboten für sie, inklusive ukrainischer Websites. Etwas mehr Fordern wäre hier womöglich angebracht gewesen, so Horten.

In Grafing fühlen sich die Kursteilnehmer auf jeden Fall gefordert. In Gruppen üben sie weiter, um sich auf den B1-Test im Januar vorzubereiten. Ob sie nervös sind? „Ach was“, sagt Dejan. Wie bei jedem Test komme das erst einen Tag vorher.

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