Süddeutsche Zeitung

Neubaugebiete in Grafing:Wer verdient, muss auch was abgeben

Lesezeit: 3 min

Der Eigentümer steckt Gewinne ein, die Allgemeinheit zahlt Folgekosten wie neue Kita-Plätze. Dieses Prinzip will Grafing bei zwei aktuellen Neubaugebieten aussetzen - und so fast vier Millionen Euro einnehmen. Fließen sollen sie unmittelbar in die Finanzierung des Kindertageszentrums an der Forellenstraße.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Bebauungspläne für zwei große Neubaugebiete stellt Grafing gerade auf. Einmal fürs Areal "Am Schönblick II" mit seinen rund 10 000 Quadratmetern. Ein andermal die "Aiblinger Straße II", wo auf gut 7000 Quadratmetern Geschosswohnungsbau entstehen soll. Soweit so normal. Doch diesmal schwingt eine Drohung mit: "Die Stadt führt die Baulandausweisungen für die beiden Baugebiete nur zu Ende, wenn die dadurch ausgelösten Folgekosten für Kindertageseinrichtungen anteilig von den jeweiligen Grundstückseigentümern getragen werden." In der jüngsten Sitzung des Stadtrats ist der Passus mit deutlicher Mehrheit angenommen worden.

Bedeutet: Beteiligen sich die Eigentümer nicht an den sogenannten Folgekosten für das Kindertageszentrum (Kitz) zwischen Stadionstraße und Forellenstraße, bleiben ihre Grundstücke billige Wiesen.

Aktuell ist Bedarf an Kitaplätzen gedeckt, das ändert sich durch die neuen Wohngebiete

Die Rechnung, welche die Stadt aufmacht, sieht so aus: Neue Baugebiete bedeuten steigende Bevölkerungszahlen - was zusätzliche Kindertagesstätten notwendig macht. Gedeckt werden soll der von den beiden Baugebieten ausgelöste zusätzliche Bedarf über das Kitz. Da sei es aus Sicht der Stadt nur folgerichtig, einen Teil der Eigentümer-Gewinne abzugreifen - und in die Finanzierung des Kitz-Baus zu stecken. Kitz-Inbetriebnahme und Wohngebiete-Bezugsfertigkeit fallen zusammen, nämlich auf das Jahr 2024.

Die Angelegenheit sei keine einfache, wie Bauamtsleiter Josef Niedermaier bereits eine Woche vor dem Stadtrat im Bauausschuss betonte. "Die Gemeinde muss durch ein Gesamtkonzept belegen, dass die städtebauliche Maßnahme des Kinderzentrums die Folge der Neuausweisungsgebiete ist." Ein Nachholbedarf oder die Vorsorge für spätere Planungen reichten nicht aus. Vielmehr müsse die Stadt transparent, nachvollziehbar und damit kontrollierbar einen zeitlicher Zusammenhang von Bebauungsplänen und Kita belegen.

Wichtig ist deshalb die Feststellung der Stadt, dass der Bedarf an Kita-Plätzen aktuell gedeckt ist, also im Wesentlichen auf jeden nachgefragten auch ein vorhandener Platz kommt. Dadurch sei belegt, dass mit dem Kitz kein fehlender Bedarf etwa aus zurückliegenden Baulandausweisungen gedeckt werde.

Die neue Einrichtung kostet 8,4 Millionen Euro, 2,8 Millionen kommen aus Fördermitteln

Im nächsten Schritt berechnet die Stadt die anteilig anfallenden Kosten. Etwa 8,4 Millionen Euro kostet der Bau. Rund 2,8 Millionen Euro erhält die Stadt aus Fördertöpfen. Bleiben also noch 5,6 Millionen, die Grafing aus eigener Tasche für je zwei Gruppen in Krippe, Kindergarten und Hort zu bezahlen hat.

Beim Kindergarten legt sie einen Bedarfsfaktor von 100 Prozent fest. Schlichtweg darum, weil erfahrungsgemäß jedes Grafinger Kind auch in einen Kindergarten geht. Beim Hort sind es 75 Prozent, in der Krippe 39 Prozent. Bei 50 Plätzen in Kindergarten sowie Hort und 24 Plätzen in den Kinderkrippen errechnete der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum Kosten je Betreuungsplatz in der Kinderkrippe von knapp 65 000 Euro, im Kindergarten und Kinderhort von jeweils rund 40 500 Euro.

Nun musste der Planungsverband noch ein paar Parzellen herausrechnen, weil sie schon in einem älteren Bebauungsplan standen. Andernfalls wären sie nachträglich berechnet worden, was die Sache rechtlich angreifbar gemacht hätte.

Die Stadt hat gute Karten: Stimmen die Eigentümer nicht zu, machen sie kein Geschäft

Unterm Strich kommen die Planer "Am Schönblick II" zu anteilig anfallenden Kita-Folgekosten von etwas über 1,5 Millionen und an der "Aiblinger Straße II" auf knapp 2,3 Millionen Euro. 8,4 Millionen Euro minus 2,8 Millionen Euro Zuschüsse minus 3,8 Millionen Euro aus der Folgekostenbeteiligung. Damit kostet der Kitz-Bau den Stadtetat noch rund 1,8 Millionen Euro.

"Eine Folgekostenbeteiligung ist dann in Ordnung, wenn sie die Verhältnismäßigkeit wahrt - und die sehe ich in diesem Fall schon gegeben", ordnet Elli Huber auf SZ-Nachfrage ein. Die CSU-Stadträtin ist hauptberuflich als Geschäftsführerin eines Bauunternehmens tätig und gilt im Stadtrat als Bauexpertin ohne ideologische Schlagseite. "Wichtig ist, dass sowohl die neuen Bewohner, als auch die Grundstückseigentümer Vorteile haben." Nur wenn Eigentümer auch weiterhin Grund verkauften und bebauten, könne die Stadt über den Kriterienkatalog vergünstigen Wohnraum anbieten.

Natürlich: 3,8 Millionen Euro seien eine Menge Geld. "Aber wenn man das im Kontext der Projektvolumina von zusammen 17 000 Quadratmetern sieht, dann relativiert sich das wieder." Huber verweist auf die enorme Wertsteigerung, die Eigentümern bei der Ausweisung von Bauland zuteil wird. Grob gerechnet im Grafinger Fall: Ein Quadratmeter Wiese kostet um die 20 Euro - der Bodenrichtwert beim Bauland liegt bei rund 1400 Euro.

Zumal die Baulandentwicklung eine freiwillige Angelegenheit der Eigentümer ist. Stimmen sie der Folgekostenregelung nicht zu, steht ihnen der Rückzug aus den Planungen frei. Dann bleibt die Wiese einfach Wiese.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5718419
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.