"Hidden Champion" aus Grafing:Umgezogen, um zu bleiben

"Hidden Champion" aus Grafing: Offizielle Eröffnung des neuen Standorts von Cadfem im Grafinger Gewerbegebiet mit Architekt Jan Bohnert, Grafings Bürgermeister Christian Bauer, Cadfem-Geschäftsführer Christoph Müller und Landrat Robert Niedergesäß.

Offizielle Eröffnung des neuen Standorts von Cadfem im Grafinger Gewerbegebiet mit Architekt Jan Bohnert, Grafings Bürgermeister Christian Bauer, Cadfem-Geschäftsführer Christoph Müller und Landrat Robert Niedergesäß.

(Foto: Christian Endt)

Der Grafinger Simulationsspezialist Cadfem weiht im Schammacher Gewerbegebiet seine neue Firmenzentrale ein. Am Sonntag kreist dort erstmals das für die Stadt geplante selbstfahrende elektrische Shuttle. Das Testprogramm läuft größtenteils über digitale Zwillinge - von Shuttle und Stadt gleichermaßen.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Allein, dass sie im Stadtrat wussten, Cadfem würde der bisherige Sitz am Marktplatz zu klein, trieb den Lokalpolitikern Sorgenfalten in die Gesichter. Ein Grafinger Vorzeigeunternehmen, mit seinen 130, 140 Arbeitsplätzen abgewandert nach Ebersberg, Vaterstetten oder Haar? Umso größer die Erleichterung, als der Simulationsspezialist schließlich seinen Umzug ins Schammacher Gewerbegebiet bekanntgab. Die neue Zentrale dort wurde nun am Donnerstagnachmittag feierlich eingeweiht.

"Wir wollten hier einen Raum mit einer einladenden und abwechslungsreichen Atmosphäre schaffen, wo man gerne hingeht, wo sich unsere Mitarbeiter und unsere Gäste wohlfühlen", umriss der geschäftsführende Gesellschafter Christoph Müller den Auftrag an die Planer.

"Hidden Champion" aus Grafing: Der neue Firmensitz von Cadfem in Schammach von außen ...

Der neue Firmensitz von Cadfem in Schammach von außen ...

(Foto: Christian Endt)
"Hidden Champion" aus Grafing: ... und von innen.

... und von innen.

(Foto: Christian Endt)

Neben modernen Büro-, Seminar-, Konferenz- und Gemeinschaftsräumen gehören Filmstudio, Optiklabor und IT-Infrastruktur nach neuesten technischen Standards zum Gebäude. Obendrein: Fitnessraum, Eltern-Kind-Zimmer, Sonnenterrasse, Massivholzbauweise, natürliche Dämmmaterialien, eine Photovoltaikanlage auf dem Dach sowie auch daraus gespeiste Elektroladesäulen.

Gerade der Fokus auf eine nachhaltige Bauweise ist für Müller eine solche Selbstverständlichkeit, dass er die Punkte aus dieser Ecke erst auf Nachfrage mit aufzählt. "Und wie es sich für ein Ingenieurunternehmen gehört, das Simulation liebt und lebt, haben wir bei der Planung - etwa bei Klimatisierung, Akustik oder Beleuchtung - natürlich auch auf Simulationstechnologien zurückgegriffen."

Ob Crashtest oder Chipdesign - alles lässt sich mittlerweile per Computer simulieren

Simulationstechnologie - das ist das Feld, auf dem sich die Firma zum "Hidden Champion" mit fast 500 Mitarbeitern rund um den Globus hochgearbeitet hat. Ein von außen unscheinbares Unternehmen, das sich mit seiner spezifischen Expertise an der Weltspitze tummelt. Angefangen hatte alles vor etwa 40 Jahren mit dem Ingenieurbüro von Müllers Vater Günter. Das "Cad" im Namen steht für die Abkürzung des damals noch neuen Computer-aided Design. Das "Fem" für die Finite Elemente Methode. Dahinter steckt ein Verfahren zum numerischen Lösen komplexer Systeme aus Differentialgleichungen.

Gewusst, wie kombiniert, lassen sich zum Beispiel Crashtests von Autos am Computer simulieren, die Hitzeverteilung im Bügeleisen, die Massagefunktion am Sparduschkopf oder die Signalintegrität von kleinsten Leitern auf Computerplatinen. "Ich dachte lange, wir kommen bei solchen klassischen Anwendungen bald an eine gewisse Sättigung", sagte Müller im Gespräch mit der SZ . "Aber von der sind wir doch noch ein ganzes Stück entfernt."

"Hidden Champion" aus Grafing: Komplexe Simulationen, hier etwa eine Autofahrt, sind die Spezialität von Cadfem, hier Firmengründer Günter Müller bei einer Tour durchs virtuelle Grafing.

Komplexe Simulationen, hier etwa eine Autofahrt, sind die Spezialität von Cadfem, hier Firmengründer Günter Müller bei einer Tour durchs virtuelle Grafing.

(Foto: Christian Endt)

Müller aber wäre kein richtiger Unternehmer, hätte seine Firma nicht trotzdem schon die Zeit jenseits der klassischen Anwendungen in der Planung. "Der Mobilitätssektor wird immer wichtiger", erzählt er. "Das ganze Thema rund ums autonome Fahren wäre ohne Simulationsentwicklungen unmöglich."

Es wundert also wenig, dass in dem neuen Gebäude auch die Fäden des selbstfahrenden Elektroshuttleprojekts für Grafing zusammenlaufen. Neben Cadfem gehören einige Töchter und Partner des Unternehmens zur Entwicklermannschaft, spezialisiert zum Beispiel auf 3D-Mapping sowie Fahrzeug- und Straßenraumsimulationen. Die Lehrstühle für Verkehrstechnik und Geoinformatik der Technischen Universität München (TUM) sind eingebunden sowie die DB Regio Bus als möglicher späterer Betreiber der Shuttles. "Plimos" lautet der Name des vom Bayrischen Wirtschaftsministerium geförderten Verbundforschungsprogramms: Planung intermodaler Mobilitätsangebote basierend auf 3D-Stadtmodellen.

Der selbstfahrende Bus "lernt" seine künftige Tour in einem virtuellen Grafing

Die Mannschaft baut gerade einen zentimetergenauen digitalen Zwilling einer sechs Kilometer langen Strecke durch die Stadt. Vom Busparkplatz in Grafing Bahnhof führt sie zum Schammacher Gewerbegebiet. Dann durch die Glonner Straße zum Grafinger Marktplatz. Und von dort in einer Schleife über die Bahnhofstraße zurück nach Grafing Bahnhof. Alle Ampeln, Verkehrsschildern oder Zebrastreifen sind Teil des riesigen Softwarepakets. Dazu das gesamte Verkehrsregelwerk und Shuttle-Charakteristika wie Beschleunigungs- und Bremsvermögen.

Einmal unterwegs, detektiert eine sekundenbruchteilschnelle Objekterkennung der Kamera- und Lasersensorik auf dem Fahrzeug Umgebung und Verhaltensmuster der anderen Verkehrsteilnehmer. Erst wenn das Shuttle in der Simulationsumgebung stabil genug durch Tag wie Nacht und Sommer wie Winter fährt, kann die Entwicklung, zunächst noch mit Begleitpersonal, im realen Grafing weitergehen.

"Hidden Champion" aus Grafing: Seit 2017 ist in Bad Birnbach in Niederbayern der selbstfahrende Bus unterwegs, am Sonntag kann man mit einem solchen auch in Grafing eine Probefahrt unternehmen.

Seit 2017 ist in Bad Birnbach in Niederbayern der selbstfahrende Bus unterwegs, am Sonntag kann man mit einem solchen auch in Grafing eine Probefahrt unternehmen.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Müller selbst ist dort großgeworden. Als "hochattraktives Umfeld" bezeichnet er die Stadt, geschäftlich wie privat. "Die Bildungsmöglichkeiten in der Umgebung sind zahlreich, die Optionen für die Freizeit sowieso." Wer in die Berge wolle, der komme ohne auch nur einen Kilometer "A8" dorthin. Klassische weiche Standortfaktoren also. Wobei Müller das ein bisschen anders sieht: "Für uns sind das eigentlich sehr harte Faktoren." Dafür werden die vermeintlich harten Faktoren im Cadfem-Kontext eher weich. Cadfem ist eigentümergeführt. "Da haben wir schon einen gewissen Luxus, dass die schnelle Rendite nicht an erster Stelle steht." Sondern die Langfristigkeit.

Warum das Unternehmen nicht anderswo neu baute? Gemeinden mit niedrigeren Gewerbesteuer-Hebesätzen sind schließlich nicht weit. "Darauf haben wir bei der Entscheidung für den Standort überhaupt nicht geschaut", versichert Müller. Entscheidend sei vielmehr gewesen, dass die meisten Mitarbeiter in unmittelbarer Grafing-Umgebung wohnten. "Wir alle sind hier sehr verwurzelt."

Fast fällt die Einweihung des neuen Cadfem-Sitzes mit dem "Tag der Innovation & Tradition" der Stadt Grafing am Sonntag, 23. Oktober, zusammen. Dann präsentieren sich zwischen 11 Uhr und 15.30 Uhr zahlreiche im Gewerbegebiet ansässige Firmen, darunter auch Cadfem. Als Highlight wird dort erstmals das selbstfahrende elektrischen Shuttle Runden drehen. Ein detaillierteres Programm der Veranstaltung gibt es auf der Website der Stadt Grafing.

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