Süddeutsche Zeitung

Gesundheit im Landkreis:Pflegefall Pflege

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Die CSU Ebersberg hat zu einem ersten Pflegegipfel eingeladen. Fachkräfte, Angehörige und Interessierte haben sich dabei mit Landrat Robert Niedergesäß und dem Landtagsabgeordneten Thomas Huber ausgetauscht. Fazit: Die Probleme der Branche sind vielfältig.

Von Merlin Wassermann, Kirchseeon

Nur wenige Themen schaffen es, einen Konsens von Politik und Gesellschaft auf sich zu vereinen. Der Klimawandel hat sich über die vergangenen Jahre und Jahrzehnte zu einem solchen gemausert. Die teils katastrophale Situation im Bereich der Pflege ist ein weiteres. Für den Wahlkampf ist das praktisch, weil Politikerinnen und Politiker den Wählerinnen und Wählern gegenübertreten können, um ihnen zu sagen: "Wir sind uns des Problems bewusst, es ist schlimm, wir stimmen euch zu, wir wollen handeln."

So geschehen beim "Ersten Pflegegipfel", der am Montag vom CSU-Kreisverband Ebersberg und der Seniorenunion im Berufsbildungswerk St. Zeno ausgerichtet worden ist. Zwei Parteivertreter aus dem Landkreis, Landrat Robert Niedergesäß und Landtagsabgeordneter Thomas Huber, waren zugegen, um "mit Trägern, Fachkräften, Kommunen, Betroffenen und Angehörigen" in einen "offenen Austausch" zu treten.

Zunächst ließen es sich Huber und Niedergesäß jedoch nicht nehmen, selbst einen Überblick über die Situation der Pflege sowohl in Bayern, als auch im Landkreis zu geben. Huber sprach dabei von "großen Herausforderungen", die aufgrund des Fachkräftemangels sowie des demographischen Wandels auf den Freistaat zukämen. "In Bayern könnten wir bis 2050 eine Million Pflegebedürftige haben", sagte er. Das wäre beinahe eine Verdopplung der Zahlen von heute.

Es bräuchte deshalb eine Strukturreform auf Bundesebene, die mit dem jüngsten Gesetzesentwurf von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nicht eingeleitet würde. Die CSU setze sich für vielfältige Verbesserungen in der Pflege ein, zum Beispiel die Übernahme aller medizinischer Kosten bei lang andauernden Pflegefällen sowie für "innovative Springerkonzepte".

Landrat Niedergesäß ergänzte diese Perspektive um einen "kleinen Werbeblock des Landkreises": Die demographische Entwicklung sei auch hier herausfordernd. Der Landkreis wachse und altere gleichzeitig, "in 20 Jahren werden hier 40 000 Menschen über 65 Jahren leben".

Derzeit biete der Landkreis bereits "Mosaiksteinchen" zur Lösung dieses Problems, wie etwa den Pflegestützpunkt oder die Hospizinsel. Auch plane man, weitere hinzuzufügen, wie den Pflegekrisendienst, der im Nachbarlandkreis Erding bereits für Entlastung sorge, oder eine Form der Quartierpflege, in der nach dem Modell der Stadt Leipzig die Nachbarschaft in einer "sorgenden Gemeinschaft" mobilisiert werden könnte. Im Gegensatz zur geforderten Strukturreform müsse man im Landkreis "nach jedem Strohhalm greifen", so Thomas Huber.

Peter Haile vom Pflegestern befürchtet ein "Massenaussterben an Pflegeeinrichtungen"

Von Mosaiksteinchen und Strohhalmen wollten die geladenen Gäste aber nichts hören. Mehrere Leiter von Pflegeeinrichtungen aus dem Landkreis machten höflich, aber unmissverständlich klar, wie dramatisch ihre Situation ist.

So etwa Peter Haile, Geschäftsführer des Pflegesterns mit Einrichtungen unter anderem in Anzing, Grafing und Poing. Er verwies zum einen auf die Schwierigkeiten, die Pflegekräfte hätten, bezahlbare Wohnungen zu finden. Mit Blick auf die von der Wohnbaugesellschaft Ebersberg (WBE) errichteten Wohnungen für Klinikpersonal, die Landrat Niedergesäß angeführt hatte, richtete er an diesen die Bitte, auch an anderen Stellen für mehr Wohnraum zu sorgen. Niedergesäß verwies darauf, dass die WBE und deren teilnehmenden Gemeinden stets ein Grundstück bräuchten - und die seien eben Mangelware.

Von Thomas Huber wiederum erbat Haile, gegenüber dem bayerischen Staatsminister für Gesundheit und Pflege, Klaus Holetschek (CSU), die "riesigen finanziellen Probleme" klar zu machen, mit denen die Träger aufgrund von Inflation, erhöhten Energiepreisen und Personalkosten sowie vielem mehr zu kämpfen hätten. Ohne Entlastung drohe ein "Massensterben an Pflegeeinrichtungen". Im benachbarten Landkreis Rosenheim seien nach Hailes Informationen zehn Prozent der Pflegeeinrichtungen bereits in Auflösung begriffen.

Die Krankenpflegeschule soll mit dem Ausbau der zentralen Notaufnahme 2024 neue Räume in der Kreisklinik erhalten

Elvira Weißmann-Polte von der Frauenunion Ebersberg forderte wiederum, dass mehr Fokus auf die Ausbildung von Pflegekräften im Landkreis gelegt werde, da die Kommunikation mit ausländischen Fachkräften häufig "nicht gut" sei. Sie verwies auf die Pflegeschule des Landkreises, die ausgebaut werden könnte.

Hieran entzündete sich eine kleine Diskussion. Jochen Specht, Leiter des Sachgebiets Sozialplanung und Demografie im Landratsamt, erwiderte, dass dies geprüft worden sei, es jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt nicht genügend Bewerber für die Schule gebe. Peter Haile konterte, dass er häufig nicht so viel Pflegepersonal ausbilden könne, wie er wollen würde, da Plätze in der Schule fehlten. Anstatt 15 bis 20 könne er nur acht oder neun Interessierten einen Ausbildungsplatz anbieten. In jedem Fall bekomme die Pflegeschule, so Landrat Niedergesäß, mit dem Ausbau der zentralen Notaufnahme nächstes Jahr auch neue Räume in der Kreisklinik.

Die Liste der Probleme ist lang

Dagmar Kiefert, zuständig für die Spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) in den Landkreisen München und Ebersberg, äußerte sich über die Probleme in der ambulanten Pflege. So erhalte etwa ein gut ausgebildeter Pflegedienst für eine Spritze 5,04 Euro - "viele fahren dafür nicht mehr raus, wenn die Entfernungen zu weit sind". Gleichzeitig seien viele Familien im Begriff, weniger Pflege in Anspruch zu nehmen, da sie Angst vor der Energiekostennachzahlung hätten.

Im Laufe des Abends gab es noch viele weitere Wortmeldungen, so etwa von Stefan Schmidt, Einrichtungsleiter des Hauses Bartholomäus in Zorneding. Er wünschte sich mehr Offenheit von den Politikern, wenn es um die Zukunft des Pflegeversicherungsbeitrags gehe, der um mindestens sechs Prozent erhöht werden müsse.

CSU-Kreisrätin Marina Matjanovski wiederum schlug vor, die Pflegeausbildungszweige in das Berufsorientierungskonzept an Schulen aufzunehmen, so dass auch Schülerinnen und Schüler der Mittelschule vermehrt an den Beruf herangeführt würden. Es sei "unabdingbar", Ausbildungsplätze aufzustocken.

Am Ende des Abends war schließlich allen klar, was sie vermutlich davor schon wussten: Die Situation der Pflege ist kritisch. Inwiefern dieser Gipfel einen Beitrag leisten kann, die Situation zu verbessern - etwa durch Netzwerkausbau - blieb indes offen. Thomas Huber jedoch schien vom Konzept jetzt schon überzeugt: Der Name "Erster Pflegegipfel" sei bewusst gewählt, es solle nicht bei diesem einen bleiben.

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