Seit die Bahn Ende vergangenen Jahres bekanntgegeben hat, wo die neuen Gleise von und zum Brenner durch den Landkreis verlaufen könnten, ist die Aufregung groß. Keine der ursprünglich vier Grobtrassen fand besonders viel Anklang, ganz im Gegenteil. Sämtliche neuen Gleise stellten einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Landschaft dar und beeinträchtigten die Landwirtschaft, so die Kritik. Weshalb schon bald Forderungen laut wurden, die Bahn solle doch - wenn überhaupt gebaut werden müsse - die zusätzlichen Gleise entlang der bereits bestehenden verlegen. Doch auch dieses Vorgehen ist nicht unumstritten, wie die Reaktion zahlreicher Anwohner der Bestandsstrecke nun zeigt.
Diese haben mehr als 50 Unterschriften gesammelt, die Personen auf der Liste wenden sich explizit gegen einen Ausbau der Bestandsstrecke. Dies ist insofern bedeutend, weil die Bahn erst kürzlich auf Druck vieler Bürger und Bürgerinnen aus dem südlichen Landkreis eine fünfte Trasse in ihre Planungen aufgenommen hatte. Diese ist ein Amalgam aus den beiden Entwürfen, die der Brucker Bürgermeister Josef Schwäbl (CSU) und der Aßlinger Projektcontroller Andreas Brandmaier im Februar vorgestellt hatten. Zwar ist diese fünfte Variante kein kompletter Ausbau der Bestandsstrecke auf vier Gleise, orientiert sich in ihrem Verlauf aber an dieser.
Die Anwohner seien nicht gehört worden
Diese Aussicht gefällt indes nicht allen. Derzeit werde "von politischen Mandatsträgern und bestimmten Interessengruppen (...) sehr einseitig darauf hingearbeitet, eine Streckenführung entlang der Bestandsstrecke durch Gebiete mit sehr hohem Raumwiderstand (Wohnbebauung in Aßling und Oberelkofen, FFH Attelleite) durchzusetzen", schreiben die Initiatoren der Unterschriftensammlung. Bisher sei so der Eindruck erweckt worden, "dieses Vorgehen entspreche sozusagen unisono dem Wunsch und Willen der gesamten von der Trasse betroffenen Bevölkerung. Dieser Eindruck entspricht nicht den Tatsachen." Um die Belange der Trassenanwohner zu vertreten, habe man eine Stellungnahme aufgesetzt und zusammen mit der Unterschriftenliste verschickt. Empfänger sind unter anderem Christian Tradler und Dieter Müller als Vertreter der Bahn, Aßlings Bürgermeister Hans Fent und der dortige Gemeinderat, Landrat Robert Niedergesäß, die Landtagsabgeordneten Thomas Huber (CSU) und Doris Rauscher (SPD), der bayerische Verkehrsminister Christian Bernreiter, Bundestagsabgeordneter Andreas Lenz (CSU), Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU).
In der Stellungnahme verweisen die Initiatoren darauf, dass "die Belange der Menschen, die entlang der Bahnstrecke leben, insbesondere der Einwohner des von den Gleisen direkt durchschnittenen Ortes Aßling" weder im Dialogforum mit der Bahn, noch in der Berichterstattung ausreichend berücksichtigt worden seien. " Wir, als Bestandsstreckenanrainer, dürfen nicht länger ignoriert werden. Wir widersprechen dem von wortführenden Vertretern und Mitgliedern der Anrainergemeinden in der Berichterstattung erweckten Eindruck, es bestehe allgemeiner Konsens in den betroffenen Gemeinden, dass ein Trassenverlauf entlang der Bestandsstrecke zu favorisieren sei."
Bereits heute sei es an der Bahn zu laut
Stattdessen wird gefordert, das "Aßlinger Nadelöhr" außerhalb der Wohnbebauung zu umgehen. Bereits die Steigerung der Zugfrequenzen in den kommenden Jahren durch die Zunahme des Verkehrs auf der Brenner-Strecke werde entlang der Bestandsstrecke "negative Auswirkungen für den gesamten Ort" haben. "Der Bau der Hochgeschwindigkeitstrasse entlang der Bestandsstrecke in Aßling jedoch würde zu zusätzlichen extremen Beeinträchtigungen führen: außer stärkerer Lärmbelastung später auch deutlich verminderte Lebensqualität durch eine jahrelange Megabaustelle und Störung des ÖPNV."
So würde die bestandsnahe Trasse die Aßlinger "Ortsteile Hochreit und Niederreit in unmittelbarer Nähe von Wohngebäuden teils mit nur wenigen Metern Abstand tangieren". Auch, wie die Bevölkerung in Aßling vor Lärm und Erschütterungen geschützt werden soll, sei "trotz gesetzlicher Vorgaben ungeklärt". Eine Einhausung sei auch keine Lösung, dadurch "würde die naturbelassene Ausgleichsfläche der Bahn mit ihren uralten, schützenswerten Eichen am Bahnhof durch eine bestenfalls steril begrünte Betonkonstruktion ersetzt. Das Ortsbild würde unwiderruflich zerstört." Die Anlieger verweisen hier auf den Straßenverkehr, dafür würden Ortsumgehungen gebaut und Geschwindigkeitsbegrenzungen eingeführt. Der Bestandsausbau der Bahnlinie sei nun das genaue Gegenteil, man würde "eine Hauptverkehrsachse und Hochgeschwindigkeitsstrecke in den Ort hineinleiten".
Am besten für alle sei ein Tunnel
"Oberste Priorität, weit vor reinen Kosten-Nutzen-Überlegungen, muss fraglos der Schutz von Mensch und Natur haben", heißt es in der Stellungnahme weiter. "Es ist uns klar, dass eine Trassenführung abseits von Siedlungen und Einzelanwesen zwangsläufig eine Durchschneidung von Landschaft und landwirtschaftlich genutzten Flächen bedeutet." Dies sei "nur durch weitestgehende Untertunnelung (...) begrenzbar." Auch müssten Renaturierung der Landschaft und Entschädigung der Landwirte selbstverständlich sein. Verwiesen wird auf das Beispiel Ostermünchen bis Kufstein, in Österreich und in Italien, wo Tunnelanteile von 60 Prozent und mehr geplant seien. "Dies muss auch im Landkreis Ebersberg möglich sein."
Dass dies mit höheren Kosten verbunden wäre, sei den Verfassern klar, "wir sind aber auch der Überzeugung, dass dieses hochambitionierte europäische Jahrhundertprojekt, das nicht zuletzt dem Klimaschutz dienen soll, in jeder Hinsicht höchsten Anforderungen genügen muss. Dieses Ziel darf nicht der Kostendämpfung geopfert werden."
Stattdessen sollten sich die Empfänger des Schreibens für die Umgehung der Siedlungsgebiete und die maximale Untertunnelung einsetzen, "damit der Brenner-Nordzulauf ein zukunftsweisendes Vorbild an Verträglichkeit von moderner Verkehrstechnik mit den Bedürfnissen von Anwohnern, Bauern, Landschaft sowie Flora und Fauna darstellt".