Süddeutsche Zeitung

Brauereien im Landkreis:"Corona hat die Regionalität beflügelt"

Weil sie kaum auf Export und Gastronomie setzen, müssen die Brauereien im Landkreis Ebersberg mitnichten fässerweise Bier wegschütten.

Von Korbinian Eisenberger

In Venedig lebt ein Gastronom, der vier italienische Lokale in der Stadt betreibt. Dieser Umstand sei erwähnt, weil der Wirt aus Venedig in seinen Wirtschaften ein Bier aus Grafing ausschenkt. In der italienischen Lagunenstadt wird ein oberbayerisches Bier namens Wildbräu serviert. Für alle jene, die mit einem Pinot Grigio delle Venezie wenig bis gar nichts anfangen können. Sie trifft es nun hart. In diesen Wochen und Monaten müssen die Venezianer ihren Durst wohl oder übel mit trockenen Grauburgunder stillen. Die Grafinger Brauerei hat den Bier-Export nach Italien eingestellt. Und so bleibt Venedig in vielerlei Hinsicht die Stadt der Sehnsucht.

Der Exkurs nach Norditalien hilft zu verstehen, warum die Grafinger Brauerei Wildbräu derzeit nicht wie hunderte andere Brauereien im Freistaat vor der Pleite stehen. Italien ist nämlich das einzige Exportland der Grafinger Brauerei, und der Wirt aus Venedig der einzige Kunde. "Die Einbußen durch den Export halten sich bei uns sehr in Grenzen", resümiert Bräu Gregor Schlederer. Die Auswirkungen der Coronakrise bekommt seine Brauerei dennoch zu spüren. 23 Prozent des verkauften Biers macht normalerweise Fassbier aus. Bereits vergangenes Jahr fielen jedoch sämtliche Volksfeste in der Region aus. Ob 2021 mit dem Impfstoff besser laufen wird, ist mehr als ungewiss. Die Situation seiner Brauerei fasst Schlederer so zusammen: "Rosig is' ned, aber wegschütten mussten wir nichts."

Wildbräu, das Ebersberger Schlossbräu und auch das Poinger Bergfeldbräu sind verglichen mit den größeren Brauerein in Bayern derzeit im Vorteil. Bergfeldbräu und Schlossbräu etwa ist aktuell ausschließlich als Flaschenabfüllung im Einzelverkauf zu erhalten, die Grafinger liegen mit 77 Prozent auch bei einer vergleichsweise hohen Quote im Einzelverkauf. Sprich: Diese Brauereien sind weniger bis gar nicht abhängig vom Ausschank in der Gastronomie - oder vom Export ins Ausland.

Bei Schweiger Bräu ist die Lage schon etwas schwieriger. Die Privatbrauerei aus Markt Schwaben generiert mit Schwankungen knapp ein Drittel ihres Umsatzes durch Gastronomie und Exportbier. "Wir haben mittlerweile auch Fässer, die wir wegkippen müssen", sagt Geschäftsführer Erich Schweiger. Anders als etwa bei der Großbrauerei Ayinger, wo hektoliterweise Bier verkommen ist, "halten sich die Mengen bei uns in Grenzen". Wobei auf die Brauerei noch Rückläufe an Fassbier zukommen. Auch Schweiger exportiert nach Italien und hat dort mehrere Kunden an verschiedenen Standorten. Derzeit liefert Schweiger nur noch 20 Prozent der normalen Menge nach Italien.

Wie dramatisch die wirtschaftliche Lage teilweise ist, äußerte sich unlängst in einem offenen Brief des Deutschen Brauerbunds, den auch Schweiger unterzeichnet hat. Mehr als 300 Brauereien weisen darin auf ihre prekäre Situation hin, wobei die Firmen nicht zum maßlosen Konsum ihrer Produkte aufrufen ("Bier bewusst genießen"). "Von Woche zu Woche geraten immer mehr Brauereien, Brauereigaststätten und Fachgroßhändler unverschuldet in existenzielle Not und sind von Insolvenz bedroht", heißt es in dem Brief. Während für die Gastronomie Hilfsmaßnahmen entwickelt wurden, seien die 1500 deutschen Brauereien bis auf wenige Ausnahmen leer ausgegangen, beklagen die Unternehmen.

Die Beispiele der Brauereien aus dem Kreis Ebersberg zeigen die Vorzüge von regionalen Produkten auf einem regionalen Markt. Wildbräu in Grafing etwa, mit 18 Angestellten, eine Kleinstbrauerei, verkaufte sein Bier auch in vorpandemischen Zeiten in einem Radius von 20 Kilometer um Grafing, wie Bräu Schlederer erklärt. Ähnliches ist aus Markt Schwaben zu erfahren, wo der Absatz der beiden hellen Flaschenbiere "1516" und "Export" sowie Spezi im Getränkehandel im Lockdown stark angestiegen sei, wie Erich Schweiger erklärt. "Der Wirtshausbesuch wird nach Hause verlegt", so Schweiger. Das gleiche die Gastroverluste zwar nicht aus, "es hilft uns aber sehr". Eine Großbrauerei macht in normalen Zeiten höhere Gewinne - wenn der Gastro-Anteil hoch ist. Schweiger: "In der Coronakrise ist genau das ein Nachteil."

Das nach dem Festbier benannte "Grandauer Volksfest" wird in Grafing wie 2020 auch dieses Jahr sehr wahrscheinlich ausfallen. Unter der Webseite grandauer-volksfest.de läuft bereits der Countdown zum Volksfest 2022. Weil Bräu und Festwirt "heuer wieder kein Einkommen auf der Festwiese erzielen werden", ruft der Grafinger Ortsverband der Bayernpartei nun zu einer Aktion auf, bei der Freiwillige Wildbräu-Produkte an Senioren ausliefern. Was die Stadträte von dem Vorschlag halten, wird sich auf der Sitzung des Grafinger Sozialausschusses am 9. März zeigen.

Wann Schlederers Brauerei wieder Fässer und Exportgüter liefern darf, ist derzeit nicht abzusehen. Wildbräu, so Schlederer, sehe er dennoch nicht auf dem Weg in den Ruin. "Wir haben relativ viel Glück weil unsere Fans wirklich regional kaufen", sagt er. Das gleiche zwar die Verluste bei weitem nicht aus aber immerhin. Sein Eindruck: Seit Beginn der Pandemie greifen die Menschen mehr zu heimischen Bieren. "Corona hat die Regionalität beflügelt."

Der Gastronomen in Venedig muss indes das Ende des Lockdown abwarten. "Für den machen wir um die Zeit immer ein Bockbier, die Italiener trinken ziemlich viel davon." Gregor Schlederers Vater hatte den Venezianer zu Lebzeiten als Kunden gewonnen. "Der ist schon immer mit uns verbandelt", sagt Schlederer. Ausbauen wolle seine Brauerei den Exporthandel trotz guter Erfahrungen in der italienischen Angelegenheit nicht. "Wir wollen einfach eine bärige Brauerei für die Region sein."

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SZ vom 01.03.2021
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