Süddeutsche Zeitung

Allerheiligen:In der Krone liegt die Kraft

Die einen kennen sie als Faschingsprinzessin, die anderen vom Friedhof: Annabelle Imhoff aus Grafing ist die jüngste Bestattermeisterin im Landkreis Ebersberg. Über das Leben einer 29-Jährigen zwischen Trauer und Trubel.

Von Korbinian Eisenberger, Grafing

Sie hatte gerade ihre letzte Prüfung absolviert, die Anspannung wich der Erleichterung. Nichts ahnend, dass die größte Prüfung erst noch kommen sollte: Für ihr Zertifikat zur ausgebildeten Bestatterin war Annabelle Imhoff von Grafing nach Düsseldorf gereist. Nun stand sie mit ihrem Koffer mit wohligem Gefühl am Bahnsteig, als ihr Telefon klingelte. Die Nachricht: Ihre Oma ist gestorben. So wurde der Moment des sicheren Triumphs zum Moment der Todesnachricht eines geliebten Menschen. Wenige Tage später führte Imhoff ihr erstes Begräbnis als Bestatterin durch. Auf dem Grafinger Pfarrfriedhof trug sie ihre eigene Großmutter zu Grabe.

Glück und Trauer können nahe beinander liegen, diese Erkenntnis ist Teil von Annabelle Imhoffs Alltag geworden. Im Februar sah man die Grafingerin als Faschingsprinzessin mit Glitzerkrone durch die Region ziehen, im selben Jahr wurde die 29-Jährige zu einer der jüngsten Bestattermeisterinnen Bayerns und zur jüngsten im Landkreis Ebersberg. Ihr Beruf zählt nicht gerade zu den beliebtesten bei Azubis. Dennoch gab sie dafür ihr Stelle als Betriebsmanagerin in einem Golfklub auf und lernte um. Mittlerweile führt sie pro Jahr bis zu 150 Begräbnisse durch, "manchmal sind es drei am Tag", sagt sie. Fasching und Friedhof: Wie passt das zusammen?

Eine Woche vor dem Allerheiligen-Feiertag lässt die Sonne über Grafing das Laub erstrahlen. Annabelle Imhoff hat ihr Arbeitsgewand an, schwarzer Mantel schwarze Hose, wie es sich gehört, wenn der Gang auf den Grafinger Pfarrfriedhof ansteht. Nur die blonden Haare erinnern jetzt an die Faschingsprinzessin vom Frühjahr, die mit Prinz und Garde 32 Auftritte zwischen Ebersberg und Rosenheim hinlegte. Imhoff erzählt, wie sie zum ersten Mal einen Verstorbenen berührt hat, um ihn fürs Leichenschauhaus anzuziehen. "Die Kälte des Körpers war so ungewohnt", sagt sie. "So sind Menschen sonst nicht."

Imhoff kniet jetzt vor dem Familiengrab, wo sie ihre Großmutter vor zweieinhalb Jahren beerdigt hat. Der Entschluss für den Beruf war auch eine Entscheidung für den Fortbestand des Familienbetriebs. "Ich hatte den Eindruck, dass meine Mutter Unterstützung braucht", sagt sie. Also kündigte sie und begann die Ausbildung: Grabsteine statt Golfschläger. Fortan lernte sie an Verstorbenen, wie man sie wäscht, frisiert und einbettet. Dass man einen Toten nach der Starre an Schulter und Po zur Seite dreht, um ihm Hemd und Hose so überzustreifen, als hätte er sich noch selbst angekleidet. 2017 wurde sie Gesellin, 2019 Meisterin. Und Prinzessin.

"Die meisten sagen dann: Das könnte ich nicht."

Auf dem Friedhof ist an diesem Vormittag kaum Betrieb, doch die wenigen am Grab kommen vorbei und grüßen sie. Hier ist sie nicht die Prinzessin, sondern die Totengräberin. "Wenn ich wohin komme, ist das Thema Tod mit dabei", sagt sie. Auch jenseits der Friedhofsmauern. Im Restaurant, an der Bar, auf Feiern, beim Kennenlernen, wo ja der Beruf schnell erfragt ist. "Die meisten sagen dann: Das könnte ich nicht", sagt Imhoff. Andere überlegen und wissen gar nicht so recht, was sie dazu sagen sollen. Bestatterin? "Viele Leute in meinem Alter beschäftigen sich nicht mit dem Tod", das sei ihr Eindruck, sagt sie. Und manchmal kommen Sprüche vom "krisensicheren Job" und vom "todsicheren Business".

Über den Tod darf man Scherze machen, und mit ihm Geschäfte. Beides wird in Bayern durch den Boandlkramer personifiziert, der mit seinen Opfern nicht ohne Humor über lebensverlängernde Maßnahmen verhandelt. Die Geschichte des Boandlkramers gewährt einen unverkrampften Zugang zum Sterben, ist aber fern von dem, was die Hinterbliebenen eines Verstorbenen durchmachen. Deswegen gibt es den Beruf von Annabelle Imhoff. Es ist noch nicht lange her, da wurde sie mit der Bestattung eines jungen Mannes beauftragt, der bei einem Motorradunfall ums Leben kam. Imhoff erzählt von den Momenten vor dem Gespräch mit seinen Eltern. Von ihrer Nervosität. Die meisten Verstorbenen schlafen friedlich in hohem Alter ein. Nun aber saß Imhoff vor zwei Menschen, die völlig unerwartet ihr Kind verloren haben. "Ihr Sohn war ungefähr in meinem Alter."

Wie gelingt es, das Sterben mit dem eigenen Leben zu vereinen? Nachfrage bei einer, die Annabelle Imhoff seit der ersten Klasse Grundschule kennt. Steffi Maier aus Grafing hat ihre Freundin auf dem Friedhof und auf Maskenbällen erlebt, auch sie gehörte zur Faschingsgarde von Prinzessin Annabelle. Maier beschreibt sie als eine Frau, die das Grübeln nicht verlernt hat. "Im Beruf erlebe ich sie sehr ruhig", sagt Maier. "Im Fasching ist es das Gegenteil." Die 28-Jährige erzählt vom Tanz des Prinzenpaars in diesem Jahr, eine alljährliche Tradition bei den Grafinger Faschingsbären. Imhoff suchte das Lied aus: Sie wählte ein Medley aus dem melancholischen Stück "Frozen" zum Film "Die Eisprinzessin" und dem wilden Titelsong der "Flintstones". Im ruhigen Teil bewegte sich Imhoff im langen Kleid zum Takt. Beim Wechsel in den flotten Song trennte sie das Kleid ab und heizte dem Publikum im fetzigen kurzen Rock ein.

Zurück am Grab. Noch immer taucht die Sonne den Friedhof in ein lebendiges Licht. Annabelle Imhoff öffnet den Weihwasserkessel am Grabstein ihrer Oma. "Erst seit ihrem Tod kann ich mich so richtig in die Angehörigen reinversetzen", sagt sie. In der Trauer ist man nicht ganz bei Sinnen. Die Welt zieht an einem vorbei, sagt sie. "Man nimmt viele Sachen gar nicht mehr wahr." Dieses Gespür hilft ihr - und es half auch den Eltern, die ihren Sohn betrauerten. "Am Ende kamen sie zu mir und haben sich bedankt."

Die größte Last müssen die Hinterbliebenen selbst tragen. Alles andere ist die Aufgabe von Annabelle Imhoff. Manchmal sind es scheinbar banale Wünsche, die für die Angehörigen umso wichtiger sind. Imhoff erzählt von einer Verstorbenen mit einer Leidenschaft fürs Stricken. "Bei der Aufbahrung haben wir dann einen selbstgestrickten Pulli und Wolle zum Foto dazu gelegt." Oder der verstorbene Mann, der Zeit seines Lebens an den Füßen gefroren hatte. Auch hier kam ein Wunsch der Angehörigen auf. So zog Imhoff dem zur Kälte erstarrten Mensch vor dem Begräbnis dicke Socken an. Auf dass er nie wieder frieren muss.

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Quelle:
SZ vom 31.10.2019/koei
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