In der Hand eine Kreissäge steht ein Mann vor einer Holzleiste. Späne wirbeln durch die Luft, die Säge kreischt. Inmitten dieses Trubels steht Peter Buchheit. Er lässt sich nicht aus dem Konzept bringen von dem was um ihn herum geschieht. Arbeiten wie diese sind ganz normal, hier in der Schreinerei der Werkstätten der Bayerischen Staatsoper.
Um zu der Schreinerei zu kommen muss man allerdings erst einen weißen Lastwagen umrunden. Er steht vor dem Eingang der Werkstätten in Poing, seitlich ziert ihn die Schrift Bayerische Staatsoper. An dem Lastwagen vorbei und durch ein Rolltor hindurch geht es in die Montagehalle. Hier wird man von einem steten Lärmpegel empfangen. Ursache dafür ist eine Vielzahl von Geräuschen: Sägen durch Holz, Schleifen von Metall, das Rattern von Wagen, die mit Materialien beladen durch die Hallen gezogen werden. Zu sehen bekommt man in der Montagehalle allerdings noch nicht, was oder wer für den Lärm verantwortlich ist. Hier stapelt sich lediglich eine Ansammlung würfelförmiger Stahlkonstruktionen. Sie sind Teil eines neuen Bühnenbildes. Zu was genau die Stahlwürfel mal zusammengeschraubt werden sollen, ist für das untrainierte Auge allerdings nicht zu erkennen.
Von der Montagehalle führt eine Wendeltreppe aus Stahl in einen kleinen Raum. Hier ist es ruhiger. Auf Tischen in der Mitte des Raumes stehen Computerbildschirme. Es handelt sich um das Büro von insgesamt vier Konstrukteuren und dem Werkstättenleiter Peter Buchheit. Er ist verantwortlich für 76 Mitarbeiter, die aufgeteilt in fünf Gewerke die Bühnenbilder der bayerischen Staatsoper bauen. Schlosser, Schreiner, Raumausstatter, Theatermaler und Bühnenplastiker finden sich in Hallen mit hohen Decken, die sich rund um Buchheits Büro nach allen Seiten ausdehnen. Aber dennoch: wirklich groß genug ist das Gelände nicht. "Wir haben hier sehr viel Platz und trotzdem schaffen wir es aufgrund der Massen, die wir herstellen, an unsere Grenzen zu stoßen", sagt Buchheit.
Bei den Werkstätten der Bayerischen Staatsoper handelt es sich um eine der größten in ganz Deutschland, die nur für ein einziges Opernhaus produzieren. In Poing werden jedes Jahr Bühnenbilder für etwa 15 Premieren hergestellt. Da wird auch mal an fünf Produktionen gleichzeitig gearbeitet. Organisation steht also ganz oben auf der Prioritätenliste. Wenn nicht alles ganz genau geplant ist, geht die Zeiteinteilung nicht auf und die Projekte werden nicht fertig. Wenn irgendetwas doch mal zu viel wird, muss ein Teil der Arbeit fremdvergeben werden.
"Das ist unser Modell. Unser grober Fahrplan", erklärt Buchheit und deutet auf ein Papierplakat, das an einer der Wände in seinem Büro hängt. Als erstes findet die Modellabgabe statt, dann entsteht ein Volumenmodell der Konstruktion. In der Bauprobe wird das geplante Bühnenbild mit billigen Materialien ausprobiert und es wird überprüft, ob es der Vorstellung des Bühnenbildners entspricht. Es folgen die Planabgabe, die Werkstattabgabe und dann wird gebaut. "Und irgendwann in der Probenphase gibt es dann die Technische Einrichtung, da wird das gesamte Bühnenbild in zwei Tagen auf der Bühne aufgebaut." Was Buchheit in nur wenigen Sätzen zusammenfasst, bedeutet für die Werkstätten etwa ein Jahr Arbeit. So lange ist der Vorlauf, der nötig ist, um aus einer Idee ein fertiges Bühnenbild zu schaffen.
Auch wenn es zu der Beschriftung der einzelnen Bauteile kommt, ist die richtige Planung entscheidend. Um ein Bühnenbild von den Werkstätten in Poing zur Maximilianstraße in München zu bringen, muss es nämlich zerlegt und einzeln in Lastwagen verfrachtet werden. Alles, was auf die Bühne transportiert werden soll, muss in eine 9,5 Meter lange, 2,5 Meter hohe und 2,5 Meter tiefe containerähnliche Gitterbox passen. "Sonst", so Buchheit, "bringen wir es nicht zur Tür raus und nicht in unser Lager rein." Beschriftungen auf den einzelnen Teilen sorgen dafür, dass alles an den richtigen Platz kommt, wenn das fertige Projekt auf der Bühne wieder aufgebaut wird.
Aus dem Büro hinaus geht es in eine der Arbeitshallen. Auf dem Boden ausgebreitet liegt ein enormes Stück Stoff, auf dem nach und nach ein Gemälde entsteht. Vorbei daran in einer weiteren Halle findet sich die Schreinerei.
An einer Werkbank bleibt der Werkstättenleiter stehen und zeigt auf ein stahlblau bemaltes Stück Holz mit länglichen Aussparungen. "Hier hat sich der Bühnenbildner Fensterläden gewünscht. Das ist eher aufwendig für uns. Der Bühnenbildner will natürlich, dass Licht durchfällt und dass es einen schönen Schatten auf den Boden wirft. Plus: Auf die Distanz muss dem Zuschauer klar sein, dass das ein Lamellenfenster ist", erklärt er. Der Aufwand richtige Lamellenfenster zu bauen wäre zu groß gewesen, so wurden die Lamellen mit der CNC-Fräse aus dem Holz gefräst. Und noch etwas fällt auf, als er den Fensterrahmen umdreht: "Es ist nur wichtig, dass es von vorne schön aussieht, von hinten ist es egal."
Nicht nur Fensterläden finden sich in den Weiten der Poinger Werkstätten. Da liegen Teile eines Felsfußbodens, einzelne Möbelstücke und Kacheln aus Plastik. Ganz unten in einem Regal finden sich sogar Beine. Keine echten natürlich, Beine aus Kunststoff. Auch die waren mal bei einer Produktion gefragt. "Da durfte jeder mal Probe stehen und modellieren", erzählt Buchheit. Klingt einfacher als es ist, das Ganze war mit sehr viel Handarbeit verbunden und soll ziemlich aufwendig gewesen sein. "Das denkt man immer nicht, aber in so einem Bein stecken locker drei Wochen Arbeit für einen Menschen drin, das darf man nicht unterschätzen."
Ein paar Beine aus Kunststoff sind aber noch lange nicht die größte Herausforderung, der sich die Werkstättler der bayerischen Staatsoper schon stellen mussten. Ein Nachbau der Kutsche des König Ludwigs II im Rosenkavalier ist dem Werkstättenleiter besonders im Gedächtnis geblieben. "Da stecken 10.000 Handwerkerstunden allein in dieser Kutsche", berichtet er. Beim Erscheinen der Kutsche während der Aufführung gibt es dafür schon mal einen extra Applaus. Auch das Bühnenbild für das Ballett Alice im Wunderland hat jede Menge Arbeit gekostet. Aber der Aufwand hat sich gelohnt: "Also Alice im Wunderland war wirklich besonders. Das ist ein Bühnenbild, wenn man das im Ballett sieht, vergisst man es nicht mehr", sagt Buchheit. So ein fertiges Produkt nach monatelanger Arbeit bei der Generalprobe endlich vor sich zu sehen, erfüllt die Werkstättler mit Stolz. "Es ist schon etwas ganz besonderes, hier arbeiten zu dürfen", sagt Buchheit.