Süddeutsche Zeitung

Bahnverkehr im Landkreis Ebersberg:Gefährliche Anziehungskraft

Immer wieder bringen sich Kinder und Jugendlichen an Gleisanlagen und Bahnhöfen unabsichtlich in Lebensgefahr - wie jene Zehnjährigen, die am Mittwochabend zwischen Zorneding und Baldham aufgegriffen wurden. Die Bahn hat deshalb eine groß angelegte Informationskampagne gestartet.

Von Barbara Mooser

Für die zwei Buben war es wahrscheinlich nur ein großes Sommerferien-Abenteuer - allerdings eines, das tödlich hätte enden können. Die Zehnjährigen waren am Mittwochabend auf den Gleisen zwischen Zorneding und Baldham unterwegs, hatten zuvor einen Starkstrommasten erklommen - und konnten dann glücklicherweise wohlbehalten von der Bundespolizei von der durchaus vielbefahrenen Bahnstrecke geholt werden. Ein Einzelfall ist das nicht, so eine Bahn-Sprecherin: "Leider kommt es trotz klarer Regeln und Hinweisschilder an unseren Anlagen immer noch dazu, dass Menschen verschiedenster Altersgruppen ihr eigenes und das Leben anderer durch leichtfertiges Verhalten und Unachtsamkeit gefährden."

Gerade im Landkreis Ebersberg werden sich viele noch an einige besonders tragische Fälle erinnern: Im April 2019 kam ein 17-Jähriger aus dem Landkreis ums Leben, als er in Haar auf das Dach eines Güterwaggons kletterte und einen Stromschlag erlitt. Ein paar Jahre zuvor wurde ein ebenfalls 17-Jähriger schwer verletzt, als er in Ebersberg auf ein Waggondach kletterte und durch einen Lichtbogen ebenfalls einen Stromschlag erlitt. Ähnliche Vorfälle gab es aber auch in anderen Landkreisen, in fast allen Fällen waren Jugendliche betroffen.

Oft verirren sich Betrunkene ins Gleis

Geht es um das, was Bahnnutzer als die Mitteilung "Personen im Gleis" kennen und fürchten, ist das meist ein Fall für die Bundespolizei. Häufiger als um Kinder und Jugendliche geht es dann allerdings um - oft alkoholisierte - Erwachsene, wie Sprecher Wolfgang Hauner erläutert. Immer wieder gab es in der Vergangenheit Meldungen, dass die Menschen es in diesem Zustand für eine gute Idee hielten, eine Abkürzung über die Schienen zu nehmen oder sogar am Gleis entlang heimzugehen.

Bei den Kindern und Jugendlichen hingegen ist nach Erfahrungen Hauners der Grund für die gefährliche Annäherung an die Gleise die nach wie vor "hohe Anziehungskraft, die der Bahnbetrieb an sich hat". Auch der Klassiker, dass Kinder Geldstücke auf Gleise legen, um sie platt fahren zu lassen, kommt laut dem Fachmann von der Bundespolizei noch vor. Noch häufiger seien es aber Steine oder andere Gegenstände. Ein anderer Trend, der nicht nur die Polizei über viele Jahre hinweg beunruhigt hatte, scheint hingegen rückläufig zu sein: dass Jugendliche im Gleisbereich Selfies oder Filme für die sozialen Netzwerke machen. So werde im Zuständigkeitsbereich der Münchner Bundespolizeiinspektion nur noch selten gemeldet, so Hauner.

Neue Zäune entlang der Schienen können helfen

Halten sich Personen unbefugt im Gleis oder an Bahnanlagen auf, wirkt sich das gerade auf viel befahrenen Strecken auch auf den Bahnverkehr aus. Bevor die Züge in dem betreffenden Bereich in gewohnter Weise weiterfahren können, müsse der Abschnitt zunächst eingehend überprüft werden, so die Bahnsprecherin. Bei Unfällen sperren die ermittelnden Behörden die Strecken für ihre Untersuchungen - je nach Dauer ist dies mit den entsprechenden Auswirkungen auf den Bahnverkehr verbunden. Im aktuellen Fall musste die Bahnstrecke für 45 Minuten für alle Züge gesperrt werden, auch der Strom auf den Oberleitungen wurde abgeschaltet.

Die Bundespolizei hat festgestellt, dass es Kinder und Jugendliche besonders häufig an Strecken mit neuer Bebauung zu den Gleisen zieht. Beispielsweise im Bereich der nördlichen Einfahrt des Münchner Hauptbahnhofes zwischen Laim und Hauptbahnhof. "Hier hat die DB und die Stadt München jedoch schnell reagiert und seit Aufstellung von Zäunen, kommt es so gut wie nicht mehr vor. Außer zu Oktoberfestzeiten, wenn stark Alkoholisierte sich auf dem Heimweg verirren oder über die Gleise abkürzen wollen", so der Sprecher der Bundespolizei. Das Beispiel zeige, dass eine optische Abgrenzung durchaus wirke.

Die Suche nach Gleisgängern ist aufwändig

Kommt es aber doch zum Einsatz, hat die Bundespolizei theoretisch die Möglichkeit, den Betreffenden oder im Fall von Kindern und Jugendlichen deren Eltern die Kosten für den Einsatz in Rechnung zu stellen. Die Kosten ließen sich pauschal kaum nennen, so Hauner: "Das hängt stets vom Einzelfall ab." Also unter anderem davon, wie viele Polizisten im Einsatz sind, ob Diensthunde benötigt werden oder sogar Helikopter - wie im aktuellen Zornedinger Fall, hier suchte man sicherheitshalber die Umgebung nach weiteren Kindern ab. Allerdings kommt es, falls überhaupt, wohl sehr selten vor, dass ein Einsatz in Rechnung gestellt wird. "Für den Bereich München ist mir kein Fall bekannt, in dem in den letzten beiden Jahren Kosten für Einsätze wegen Kindern im Gleis erhoben wurden", sagt Hauner.

Die Bahn reagiert auf die Tatsache, dass sich immer wieder junge Leute in Gefahr bringen, mit einer groß angelegten Informationskampagne. Laut der Bahn-Sprecherin informieren sechs DB-Präventionsteams bundesweit im persönlichen Kontakt am Bahnhof, an Bahnanlagen, im Unterricht oder in Kitas. Darüber hinaus können Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher, Eltern und andere Interessierte kostenlos Medienpakete für verschiedene Altersgruppen bestellen und für den Unterricht oder Informationseinheiten nutzen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5642542
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/wkb
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.