Im Meta Theater Moosach:Gedanken und Melodien zum Mitnehmen

Der "Kultursommer" und das "Arkadien"-Festival bringen den Geist in Bewegung und machen Musik zum Türöffner ins Leben - zwei Abende in vier Akten.

Von Ulrich Pfaffenberger

Das Rauschen des Verkehrs im Hintergrund ist nicht weg zu bekommen. Ist das ein zivilisatorischer Nebeneffekt oder schon ein Merkmal? Die nächste Frage schließt sich an: Stört uns das, oder wollen wir damit leben? Und gleich danach: Kommt das eigentlich nur mir so vor, oder fällt das anderen auch auf?

Es ist Freitagabend, vor dem Meta Theater in Moosach hat der Intendant einen schützenden Bühnenhimmel über seinen Gästen errichtet. Dank des "Kultursommers im Landkreis" ereignet sich dort allerlei, das Brücken schlägt nach "Arkadien", denn das Ebersberger Festival feiert in Moosach sein Finale.

Fragen zum Verweilen

Jetzt, zum Feierabend, ist Zeit zum Philosophieren. Zwei Männer teilen ihre Gedanken mit dem Publikum. Über die Zeit, das Leben und das Stellen von Fragen. Beide lesen aus Büchern, die sie unlängst geschrieben haben: Martin Liebmann ist der Autor von "Faul zu sein ist eine harte Arbeit". Franz J. Schweifer hat "Time 2 stay - 111 verrückte Fragen zum Verweilen" aufgeschrieben und zu beantworten versucht. Vorlesen gilt also jetzt schon als "Philosophieren", könnten kritische Geister einwerfen. Im Publikum auf den Bänken regte sich indes kein Widerspruch, im digitalen Raum des Streams, der die kleine Stichstraße in Moosach zur Weltbühne macht, ebenfalls nicht. Im Gegenteil: Gelegentliches beherztes Auflachen und spontaner Applaus signalisieren ungeteilte Zustimmung.

In der Tat darf man die Auszüge der beiden Autoren aus ihren Büchern als das verstehen, was Philosophie zur lebenslangen Begleiterin macht, egal, ob man das will oder nicht: Man schnappt einen Gedanken auf und macht sich seine eigenen Gedanken dazu. Bleibt man lange genug offen für diesen Prozess und steckt ihn nicht per Vorurteil oder Irrglauben in die Erledigt-Schublade, kommt man davon nicht mehr los und entdeckt immer neue Seiten und Folgen. Liebmann etwa, deutscher Repräsentant des "Vereins zur Verzögerung der Zeit" - allein dies ist ein längeres Hirnen auf mehreren Ebenen wert - hat mit dem Zitieren aus seiner hypergescheite Handreichung für den Müßiggang vor allem die Erkenntnis geschürt, dass man sie besser selbst liest, als sie sich vorlesen zu lassen.

Dennoch gibt das, was im Vorüberhören aufzuschnappen war, reichlich Anregungen für Nachdenkenszeit. Der Lobpreis von Bertrand Russels Zweifel, ob Arbeit per se eine Tugend sei, taugt genauso dazu wie eine Attacke auf die alte Weisheit, man lerne nicht für die Schule, sondern fürs Leben. Die sei nämlich eigentlich eine Dummheit, weil das Leben nicht wie die Schule zu nachtschlafender Zeit beginne und auch nicht in 45-Minuten-Einheiten getaktet sei, befand Liebmann als Verfechter einer "persönlichen Not-to-do-Liste". Derlei sind kleine Pralinen für die persönliche Zitaten-Vorratskammer, für deren Erwerb man gern ein paar weiterführende philosophische Erwägungen investiert. Was man auch dem "Zeitflaneur" Schweifer zugutehalten darf, der mit ausgeprägtem Sprachgefühl Sinn und Nutzen manches Kalenderspruchs in Frage stellt, dabei Sokrates als "Meister des Fragens" in die "Wissen-to-go-Tüte" des Publikums packt und einen schönen Aphorismus obendrauf: "Vor dem Tod habe ich so viel Angst, dass ich ihn mir bis zuletzt aufhebe." Nicht ohne die schwierige Frage anzuknüpfen: "Was machen Sie davor?" Sein Hinweis, dass in diesem Zusammenhang "wichtig" wichtiger ist als "wesentlich" - oder wesentlicher? - ließ manchen Gesprächsgast den Irrwitz in den Schlussworten von Moderator Peter Kees überhören, man habe jetzt "keine Zeit mehr, das Gespräch fortzusetzen, weil im Terminkalender der nächste Programmpunkt ansteht". Ach!

Visionäre Weltmelodie

Später am Abend tritt auf der gleichen Bühne im Rahmen des Kultursommers das Trio Hil De Gard auf. Das Ensemble, bestehend aus Cornelia Melián mit Gesang, Shrutibox, Bassblockflöte, Ardhi Engl mit traditionellen und experimentellen Instrumenten, sowie Marika Falk mit Rahmentrommeln und Percussion hat sich "Lieder und Improvisationen über Himmel und Hölle" zum Thema genommen. Die Anteile sind dabei nicht gleich verteilt. Dem allgemeinen Verständnis nach bewegen sich die Titel eher in den oberen Regionen. Gleichwohl öffnen sich auch ein paar Abgründe. Aber was weiß man schon, wo man Himmel und Hölle zutreffend verorten soll?

Im Meta Theater Moosach: Florian Tuerke wandelt Straßenlärm in Töne.

Florian Tuerke wandelt Straßenlärm in Töne.

(Foto: Christian Endt)

Sicher ist: Die Hommage des Trios an die Kräuter- und Heilkundige Hildegard von Bingen spielt vor allem mit deren "Symphoniae", also der Musik, die sie während ihrer Visionen vernahm und dann notierte. Die Musik hört sich zunächst mal ein bisschen so an wie der typische Soundtrack zu einem Mittelaltermarkt, wandelt sich jedoch im Lauf des einstündigen Auftritts zu einer verblüffend eigenartigen, manchmal heiligen, manchmal komischen Interpretation des Themas von der ewigen Weltmelodie, die vielleicht einen Raum kennt, aber keine Zeit. Es ist wie bei der Hildegard-Medizin: Die Wirkung braucht etwas Geduld. Die Veränderung erscheint nüchtern logisch, reift aber tatsächlich vor allem in den Sinnen der Zuhörer. Subjektive Wahrnehmung als Folgeerscheinung des vorherigen Philosophierens über unseren Umgang mit Zeit und Worten? Das lässt sich nicht ausschließen: Hören wir da wirklich Hildegard - und ein bisschen Frescobaldi et. al. - oder entsteht da gerade eine neue visionäre Melodie in unserem Inneren, die außer uns selbst keiner so hört?

Wohin sortieren wir das Konzert, dieses fein e Experiment ein? In den Kultursommer, nach Arkadien oder in die Meta-Ebene? Die Antwort bleibt offen, das Prinzip des immerwährenden Fragens nimmt uns einmal mehr gefangen. Diesmal begleitet von Gesang und Instrumenten. So ist unser Sinnieren begleitet von einer schönen Lagerfeuerromantik in den Mauern einer alten Ritterburg, ohne Feuer und Burg, aber nach Sternschnuppen verlangend. Leider schweifen nur Autoscheinwerfer durch das Dunkel der nächtlichen Kulisse.

Gescheites Gespräch

Was die beiden Denkern des Samstagabends angeht, Reinhard Knodt und Harald Seubert, die im Trialog mit Kees einen "Philosophischen Blick auf die Gegenwart" werfen, bewegen wir uns in der Rückschau idealerweise auf der Meta-Ebene, nicht nur, weil der Schauplatz des Geschehens das nahelegt. Wir fragen uns, was wir mitnehmen vom Gehörten. Solchen Gesprächen beizuwohnen bringt das Überraschende der Normalität zurück ins Leben. Das tut gut, also möchte man's behalten.

Da macht es sich bezahlt, vorher etwas von den beiden Philosophen gelesen zu haben, denn das erleichtert das Entschlüsseln ihrer Botschaften. Knodt zum Beispiel stiftet mit seinem Buch "Der Atemkreis der Dinge - Einübung in die Philosophie der Korrespondenz" dazu an, nicht das Getriebe zu sehen, sondern die Rädchen: Keines kann ohne das andere. Das ist nur in dem Bewusstsein zu ertragen, dass man sowieso nicht alles verstehen kann und braucht, geschweige denn, dass jedes Ereignis einer eindeutigen Erklärung bedarf. Dies ist umso bedeutsamer, als die von Knodt beobachtete "Korrespondenz" in unseren vernetzten Tagen ein geradezu exponentielles Wachstum erlebt: Alles wirkt in alles hinein, ob man will oder nicht. Unter diesen Vorzeichen ist es ein Leichtes, Knodts Beiträgen zur Gesprächsrunde zu folgen, weil man ja schon weiß, dass es unter den Anwesenden keinen gibt, bei dem die Botschaft genau gleich ankommt: Weil jeder von uns in seiner Welt lebt, mit unterschiedlichen arkadischen und nicht-arkadischen Planeten, die darin kreisen.

Seubert wiederum ist einer, der Bücher geschrieben hat wie "Gesicherte Freiheiten? Eine politische Philosophie für das 21. Jahrhundert", wie "Digitalisierung. Die Revolution von Seele und Polis", wie "In Corona verstrickt. Aus dem ABC der Gegenwart." Ein kluger, ein aufgeweckter Mann, der seine Worte auch schon mal in eine Predigt fasst oder in Vorlesungsreihen, die als 73-stündiges (!) Hörbuch veröffentlich sind, und der als Präsident der Heidegger-Gesellschaft hochrangiges Erbe verwaltet. Was kann man da in knapp eineinhalb Stunden Zuhörens anderes tun, als auf die Mitnahme des einen oder anderen Gedankens zu hoffen, der neues Licht aufs eigene Leben wirft?

Was aber beiden gemeinsam ist und sich aus dem Gespräch vor allem ergibt: Es braucht schon physische Gegenwart und dialogische Spontaneität, um eine gescheite Unterhaltung zu führen. "Gescheit" nicht nur im Sinn von "klug", sondern als ein Ereignis, das nicht im Hin- und Herballern zugespitzter Postings besteht. Das sich nicht auf ein 90-Sekunden-Format verkürzt. Das sich nicht am Spott eines Meme erfreut, das andere herunterputzt, sondern die Bereitschaft belohnt, aus Widerspruch eigenen Fortschritt abzuleiten. Ein guter Hinweis für die Zukunft, in der man Seubert und Knodt vielleicht einmal wieder zuhören darf, sonst aber vor allem auf die eigene innere Stimme angewiesen ist. Arkadien kann man nicht bestellen, wir müssen uns schon auch den Weg dorthin suchen.

Im Rhythmus des Lebens

Das letzte Kapitel der wochenendlichen Vorstellungen beginnt damit, dass Rudolf Roth in Grafing spazieren ging. Mit Stöcken in der Hand und dem neugierigen Gedanken im Sinn, was wohl herauskommt, wenn er beim Gehen in jenem eigenwilligen Zehner-Rhythmus aus der arabischen Musik atmet. Eins-zwei-drei, eins-zwei, eins-zwei, eins-zwei-drei. Das bewegende Ergebnis teilte er baldigst mit seinem Pianistenfreund Andy Lutter, verbunden in der Liebe zum Jazz. "Ich schnauf' Dir was vor, und Du komponierst etwas daraus", sagte er - und es entstand ein Stück, das in so gar keine Schublade passen will. Warum? Weil es einen Rhythmus hat, den nicht nur die jeweilige Combo individuell prägt, sondern das Leben eines jeden atmenden, sich bewegenden, sich verändernden Menschen.

Im Meta Theater Moosach: Eine Jazzcombo erinnert an Götz Tangerding.

Eine Jazzcombo erinnert an Götz Tangerding.

(Foto: Christian Endt)

"Moments of Truth" betitelten Lutter und Roth ihren Auftritt, "Augenblicke der Wahrheit", die sie zusammen mit Ulrich Wangenheim am Saxofon und Andreas Kurz am Bass beleuchten. Sie erinnern dabei an den frühen Weggefährten Götz Tangerding, der eine seiner ersten Platten so genannt hatte. Seine Musik lebt, befreit von allen zeitlichen Fesseln, ihren eigenen Rhythmus und erreicht genau dann unsere Ohren, wenn es das braucht. Diese Stunde hat allen gut getan.

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