Amtsgericht Ebersberg:Eine Frage noch

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Wegen Widerstands gegen Polizisten steht ein Mann vor Gericht - dort wehrt er sich auf ganz eigene Weise.

Von Wieland Bögel, Ebersberg

"Wenn Du nicht gewinnen kannst, versuche wenigstens Verwirrung zu stiften." Das Motto hängt so oder so ähnlich in manchem Büro - praktisch angewandt hat es nun ein 42-Jähriger am Ebersberger Amtsgericht. Er war angeklagt wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, erfahrungsgemäß keine Sache, bei der gute Aussichten auf einen Ausgang im Sinne des Beschuldigten bestehen. Der sich davon indes nicht beirren ließ und die Verhandlung mit langen Ausführungen und Befragungen der Zeugen auf vier Stunden ausdehnte.

Angeklagt war der gebürtige Russe, weil er sich vor etwa einem Jahr dem Versuch widersetzt hatte, nach Estland abgeschoben zu werden. Dies hat mit dem Dublin-Abkommen zu tun, wonach Asylbewerber dort ihr Verfahren durchlaufen, wo diese das erste Mal die EU betreten haben - im Falle des 42-Jährigen eben Estland. Dorthin wollte der Mann aber nicht zurück, er hatte mittlerweile in Deutschland Asyl beantragt - was aber mit Verweis auf das Dublin-Abkommen abgelehnt wurde. Weshalb sich an einem Februarmorgen gegen 5 Uhr vier Polizisten und zwei Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes Zutritt zum Zimmer des 42-Jährigen in der Flüchtlingsunterkunft in Poing verschafften, diesen weckten und aufforderten, seine Sachen zu packen und sich zum Flughafen fahren zu lassen.

Aktiv Gewalt habe der Angeklagte nicht angewendet, so die Zeugen

Dem sei der Mann aber nicht nachgekommen, so berichteten es die beteiligten Beamten übereinstimmend. Stattdessen sei er im Bett liegen geblieben und habe noch gesagt, er werde nirgendwohin fliegen, da er an dem Tag einen Arzttermin habe. Daraufhin sei der Asylbewerber aus dem Bett gezogen, gefesselt und anschließend zum Auto getragen worden. Dabei habe er passiven Widerstand geleistet, so berichteten es die Polizisten.

Gewalt habe der Angeklagte allerdings keine angewandt, so die Zeugen übereinstimmend, er habe einfach nur die Arme und Beine verschränkt und sich ansonsten nicht bewegt. Auch als sie versuchten, den unbekleideten Mann anzuziehen, habe dieser nicht kooperiert, schließlich habe man ihm mit einiger Mühe eine Hose angezogen und eine Decke übergeworfen, beides habe er auf der Fahrt aber immer wieder abgeschüttelt. Auch beim damals vorgeschriebenen Coronatest am Flughafen zeigte sich der Angeklagte nach den Zeugenaussagen unkooperativ, so dass man seinen Kopf festhalten musste.

Letztendlich wurde es dann nichts mit der Abschiebung, die Bundespolizei befand ihn wegen seines Verhaltens für nicht transporttauglich. Der Mann wurde in eine Aufnahmeeinrichtung in München gebracht. Einen weiteren Versuch der Abschiebung gab es dann nicht, weil inzwischen die Frist gemäß Dublin-Abkommen abgelaufen ist, darum läuft nun in Deutschland ein Asylverfahren.

Der Angeklagte sieht sich diskriminiert und als Opfer einer Verschwörung

Und genau dieses sei der Grund für die ganze Aktion, führte es der Angeklagte vor Gericht mit Hilfe eine Dolmetscherin aus: Die Sache sei inszeniert worden, um seine Chancen auf Asyl zu schmälern. Er beschuldigte sogar namentlich einen der beteiligten Beamten, Teil des Komplotts gegen ihn zu sein - nicht zuletzt, weil er als Russe ja ohnehin ständig diskriminiert werde. Als angeblichen Beleg führte er an, dass keine Aufnahmen der Bodycams und der Kamera im Polizeiauto vorliegen, diese würden seine Unschuld belegen. Vor der Verhandlung hatte er auch einen Antrag gestellt, die Aufnahmen als Beweis zuzulassen - laut Gericht, das sich bei der Polizei erkundigt hatte, wurden aber gar keine Aufnahmen gemacht.

Nach knapp zwei Stunden Ausführungen, in denen es hauptsächlich um die angebliche Unrechtmäßigkeit seiner Abschiebung ging, befragte der Angeklagte dazu auch die Zeugen noch sehr ausgiebig. Vor allem ging es um die Frage, ob er ausreichend über die bevorstehende Abschiebung aufgeklärt worden war. Etwa ob ihm Dokumente vorgelegt wurden, in welcher Sprache die Polizisten den 42-Jährigen denn aufgefordert hätten, mit ihnen zum Flughafen zu kommen und wie er geantwortet haben soll. Denn, so der Angeklagte, er könne keine andere Sprache außer Russisch - und ein entsprechender Dolmetscher war nachweislich nicht dabei.

Die Verhandlung findet wohl eine Fortsetzung, der Angeklagte will Rechtsmittel einlegen

Der Angeklagte habe sie sehr wohl verstanden, so die Zeugen - auch wenn sie nicht, wie vom Angeklagten gefragt, den genauen Wortlaut wiedergeben konnten. Ein Beamter erinnerte sich allerdings noch daran, dass der 42-Jährige "I am not flying anywhere" - ich fliege nirgendwohin - gesagt haben soll.

Nach gut vier Stunden Verhandlung wurde der Angeklagte schließlich zu 70 Tagessätzen à 30 Euro verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 42-Jährige sehr wohl verstanden hatte, was die Polizei von ihm wollte. Neben den Aussagen der Beamten, dass der Angeklagte Englisch sprach, gibt es auch einen Schriftverkehr mit den Behörden, den der 42-Jährige auf Englisch verfasst hat. Dass die Vorstellung demnächst in einem anderen Gerichtssaal fortgesetzt wird, gilt als wahrscheinlich - der Angeklagte kündigte noch vor dem Urteilsspruch an, dagegen Rechtsmittel einlegen zu wollen.

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