Landkreis:Angst vor dem Kahlfraß

Waldfachleute warnen vor einem extremen Anstieg der Borkenkäferzahlen. Forstwirte befürchten ein weiteres Sinken der Holzpreise

Von Anselm Schindler, Landkreis

Es steht schlimm um den Patienten, auch wenn er so friedlich und ruhig da steht wie eh und je. Dabei geht es ihm schlecht, sehr schlecht, wie Johann Wolmuth sagt. Wolmuth ist einer, der von Berufs wegen recht genau mitkriegt, wie es um den Wald in Bayern bestellt ist. Er leitet einen Forstbetrieb in Steinhöring, der für Fällarbeiten und den Holz-Abtransport aus dem Wald zuständig ist. Die Trockenheit und Hitze des vergangenen Sommers hat dem Wald stark zugesetzt, das bayerische Landwirtschaftsministerium spricht von 500 Millionen Euro fehlendem Wertzuwachs, was nicht gewachsen ist wird später einmal im Umsatz fehlen. Und dann ist da noch eine Plage, die Waldbauern auch recht kurzfristig in den Ruin treiben könnte: Der Borkenkäfer.

Landkreis: Große Wärme und lange Trockenheitsperioden mögen Fichten nicht besonders.

Große Wärme und lange Trockenheitsperioden mögen Fichten nicht besonders.

(Foto: Christian Endt)

Er überwintert in der Erde und in ausgetrockneten Bäumen, man sieht ihn nicht, aber wenn die Temperaturen auf durchschnittlich 16 Grad steigen, schlägt der Borkenkäfer radikal zu. Und das große Fressen könnte in diesem Jahr so arg werden wie lange nicht mehr. "So schlimm wie noch nie" schätzt Johann Wolmuth die Lage ein, "zumindest im Vergleich zu den letzten Jahren", fügt er an.

Wie es um einen Baum bestellt ist, zeigt sich auch am Wachstum. Und bei den Fichten ist das Wachstum im vergangenen Jahr um etwa 50 Prozent zurückgegangen, ein historisch niedriger Wert. Vor einigen Tagen war das auch Thema im Agrarausschuss des Bayerischen Landtages. "Die Fichte wächst ja eigentlich in Sibirien, das Klima ist hier eh nicht perfekt", erklärt Wohlmuth. "Wir haben jetzt schon ein Grad mehr, wenn es noch eins mehr wird, dann haben wir ein Klima wie in Verona, und da wachsen keine Fichten", sagt er und macht den Klimawandel für die Entwicklung verantwortlich. Der setzt den Fichten stark zu, und damit den Forstwirten und Waldbesitzern. Denn die haben sich durch Monokulturen von der Fichte abhängig gemacht. Die Fichte, der "Brotbaum" der Forstwirtschaft braucht viel Wasser. Dürreperioden haben gerade in der Münchner Schotterebene, die auch tief in den Landkreis hinein reicht, besonders drastische Auswirkungen Denn die Humus-Schicht ist hier im Schnitt nur 40 Zentimeter dick und der kiesige Grund darunter vermag es nicht, viel Wasser zu speichern. Das alles kommt dem Borkenkäfer zugute: Die durch die Dürre und Hitze geschwächten Bäume haben dem Schädling kaum etwas entgegen zu setzen.

Hiobsbotschaften gab es schon oft, wenn es um den Zustand des Waldes ging. In den 80er Jahren gingen Umweltschützer und Waldbesitzer massenhaft gemeinsam auf die Straße um gegen das Waldsterben zu demonstrieren. Doch der Wald steckte die Luftverschmutzung und den sauren Regen besser weg als gedacht. Auch auf die alljährliche Borkenkäfer-Invasion kann man sich verlassen, auch sie schafft es mit Ausdauer und recht regelmäßig in die Schlagzeilen. Doch in diesem Jahr schlagen Waldbesitzer- und Kenner lauter Alarm als sonst: "Im Kollegenkreis rechnen wir mit dem Schlimmsten", sagt Kirsten Joas, die im Ebersberger Amt für Ernährung Landwirtschaft und Forsten Waldbesitzer aus dem Landkreis berät. Die Beobachtungen von ausgetrocknete Baumwipfeln und Bäumen, die Nadeln, Blätter und ganze Äste fallen lassen, um Wasser zu sparen, werden durch Messungen ergänzt, die eine extrem hohe Borkenkäfer-Verbreitung belegen.

Käfer-Detektive

Zwischen April und September führt die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) jährlich ein Monitoring durch, das über die Verbreitung des Borkenkäfers Aufschluss gibt. Und die Ergebnisse des vergangenen Jahres geben Grund zur Sorge: Durch den trockenen und warmen Winter konnte der Schädling, der sonst unter der Rinde oder im Boden Winterschlaf hält, weiter gedeihen und sich für das große Fressen rüsten. Normalerweise legt ein Borkenkäfer-Weibchen zwei Mal pro Jahr rund 60 Eier, doch im vergangenen Jahr vermehrten sich die Käfer wegen der günstigen Bedingungen stärker als sonst, gleich drei Generationen neuer Käfer wurden gezüchtet, wie Florian Krüger erklärt.

Krüger ist bei der LWF als Forstoberinspektor tätig und federführend an der Käfer-Suche beteiligt. Und die gestalte sich, bedingt durch die große Hitze, zunehmend schwierig, wie Krüger sagt. Denn ab Temperaturen über 30 Grad wird es auch dem Käfer zu warm, und er flüchtet von seinem bevorzugten Lebensraum, dem Waldrand, tiefer in den Wald und ist damit schwerer zu fassen. coco

Normalerweise würde sich der Wald automatisch an ein sich veränderndes Klima anpassen, sagt Joas, aber: "Das geht alles viel zu schnell mit dem Klimawandel". Der Mensch sei quasi dazu gezwungen, einzugreifen, "die Waldbesitzer zerbrechen sich da alle den Kopf". Patentrezepte gibt es nicht. Vor einiger Zeit war Kirsten Joas in Rumänien, um die dortigen Waldbestände zu erforschen. In Rumänien herrscht ein ähnliches Klima, wie es, bedingt durch die Aufheizung der Atmosphäre, in einhundert Jahren auch für Bayern prognostiziert wird. In Rumänien ist es den hierzulande weit verbreiteten Buchen schon zu warm, dort finden man Landstriche, auf denen vor allem Eichen wachsen. Doch den dortigen Waldbestand einfach auf Bayern zu übertragen funktioniere nicht, erklärt Joas. Denn einem Baum, der sich in 100 Jahren hier wohl fühlt, dem ist es jetzt noch zu kalt. "Als ich in den Beruf gekommen bin haben wir gelernt, die Entwicklung des Waldes sehr langfristig zu planen", erinnert sich Joas und lacht. Nun werden Forstwirte und Ämter von der schnellen Entwicklung überrollt. Je wärmer und trockener das Klima wird, desto schlechter ist es um die Fichte bestellt. Und desto anfälliger ist sie für den Borkenkäfer.Klar wird auch: Da, wo sich über Quadratkilometer Fichten an Fichten reihen, hat man in der Forstwirtschaft große Fehler gemacht. "Vielleicht brauch es da auch einen größeren Leidensdruck, damit man schneller umdenkt" sagt Joas und lacht verbittert.

Auch Johann Wohlmuth drängt auf schnelles Handeln, um die Käfer-Invasion einzudämmen. Schon jetzt müssten viel mehr befallene Bäume gefällt und aus dem Wald transportiert werden. Das empfiehlt auch das bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Trotzdem passiert bisher wenig. Was vor allem an den sehr niedrigen Holzpreisen liegt, die die Sägewerke derzeit für einen Festmeter Holz bezahlen. "Die hoffen einfach darauf, dass die Holzpreise wieder steigen", mutmaßt Johann Wohlmuth. Denn nachdem im vergangenen Frühjahr viele Bäume dem Orkansturm Niklas zum Opfer vielen, stürzten die Holzpreise in die Tiefe. "Da hatten wir erzwungenermaßen ganz schön was zu tun", erklärt Wohlmuth mit Blick auf das erste Halbjahr 2015. Doch in den vergangenen Monaten sind wegen der niedrigen Preise viele Kettensägen verstummt. Damit könnten sich die Waldbauern verrechnet haben. Denn der Preis pro Festmeter sinkt bei von Borkenkäfern befallenem Holz um bis zu 20 Prozent. Und müssen erst einmal große Baumbestände wegen der Käfer geschlagen werden, dann wird der Holzpreis weiter sinken.

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