Landkreis am Limit, Folge 3:Am Nabel von Ebersberg

Extrempunkte im Landkreis - Mittelpunkt

Dieser alte Baum im Garten von Richard Wagner markiert exakt den Mittelpunkt des Landkreises.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Richard Wagner aus Kirchseeon wohnt seit 40 Jahren am geografischen Mittelpunkt des Ebersberger Landkreises - ohne von dieser Besonderheit zu wissen. Woher auch?

Von Franziska Spiecker, Kirchseeon

Hier geht's nicht weiter: Das haben alle Punkte gemeinsam, die die SZ Ebersberg in den folgenden Tagen in einer kleinen Serie vorstellt. Denn es handelt sich um geografische Extreme - im dritten Teil geht es um den Mittelpunkt des Landkreises, der sich auf Kirchseeoner Gemeindegebiet befindet:

Die Wurzeln des Baumes bohren sich schräg unter die Mauern des Hauses der Familie Wagner, geradewegs in den "Massenmittelpunkt" des Landkreises Ebersberg. Ob er gewusst habe, dass er am Nabel von Ebersberg wohne? "Nein", antwortet Richard Wagner, der 83-jährige Hausbesitzer, und lacht vergnügt auf. Er steht im Garten seines riesigen Grundstückes, in der südlichen Mitte des Kirchseeoner Ortsteils Forstseeon. Sein Blick schweift von den wenigen, sehr alten Nachbarshöfen über die weiten, grünen Wiesen, bis zum angrenzenden Ebersberger Forst. "Es ist recht schön hier", sagt er. Wenn das Wetter gut ist, sehe man die ganze Gebirgskette, sogar bis zur Zugspitze.

Um ihn herum zwitschern die Vögel, ein Hahn kräht und die Schafe des Nachbarn blöken in der Ferne. Es riecht nach Land, nach Dünger und Kuhmist. "Mich stört der Geruch nicht", sagt der Rentner. Er möge besonders die Ruhe hier, dass alles so unkompliziert sei und er seine Freiheit habe. Auch die Lage sei gut, man habe es nicht weit nach München und Ebersberg, und wenn Bekannte zu Besuch kämen, sagten diese oft: "Ihr wisst gar nicht, wie schön ihr lebt."

Extrempunkte im Landkreis - Mittelpunkt

Das Haus der Wagners steht im Kirchseeoner Ortsteil Forstseeon.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

"Früher", so erinnert sich Wagner, "sind sogar noch Wildschweine und Rehe bis in den Garten gekommen." Seit ungefähr drei Jahren habe er aber keine mehr gesehen, weil es weniger gebe und weil mittlerweile fünf Mal im Jahr gedüngt werde, so jedenfalls seine Vermutung.

"Es ist auch wichtig, dass man nicht aufdringlich ist in diesem kleinen Dorf"

Wagner ist mittlerweile Dorfältester. Auch wenn er seit fast 40 Jahren umgeben von Kälbchen und Schafen am Bauerndorf in Forstseeon lebt, hat er selbst nie eine Landwirtschaft betrieben. Gebürtig aus Kirchseeon hat er eine Kfz-Werkstatt aufgebaut, die, in den Händen seines Sohnes, noch immer seinen Namen trägt. "Ich bin aber schon als Kind häufig nach Forstseeon gekommen", erzählt er, "zum Akkordeon spielen." Dabei habe er auch seine Frau kennengelernt. "Die ist da drüben geboren." Wagner zeigt auf den benachbarten Hof, der früher einmal zu seinem Grundstück gehörte.

Es ist einer der ältesten Höfe in Forstseeon. "Perschthof" ist sein Name, 1328 sein Baujahr, wie ein Wappen auf der Hausfront verkündet. Monika Reisser, die dort seit 1980 mit ihrer Familie wohnt, erzählt, dass sich der Name von den ursprünglichen Besitzern ableitet, die auch Percht und Perchtin genannt wurden. Sie beschäftige sich zur Zeit viel mit der Geschichte ihres Hofes, denn Forstseeon, in den Archiven erstmalig 1269 erwähnt, werde dieses Jahr 750 Jahre alt.

Zu diesem Anlass wollen die Dorfbewohner im Sommer ein Fest veranstalten. "Das soll nur für Forstseeoner sein", betont Reisser. Als Künstlerin möchte sie ihre Nachbarn dabei gerne Plakate gestalten lassen, auf denen sie festhalten können, was sie über ihr Haus wissen. Organisiert wird das Ganze hauptsächlich von ihren Nachbarn und ihrer Tochter, Angelika Reisser. Sie steht vor dem "Perschthof", eine Tasse Kaffee in der Hand. Ihr gegenüber hockt in einiger Entfernung der Landwirt Sebastian Höher auf einer Holzbank vor seinem Kuhstall. Er winkt sie zu sich herüber. "Hast du's Frühstück dabei?", ruft er scherzend.

Die Kinder wissen gar nicht, an welch besonderem Ort sie rumtoben

Es sei hier normal mit seinen Nachbarn zu reden, gemeinsam morgens einen Kaffee zu trinken oder zu rauchen, erklärt Reisser. "Aber es ist auch wichtig, dass man nicht aufdringlich ist in diesem kleinen Dorf", ergänzt sie, schließlich würden hier nur um die 60 Leute wohnen.

Verkehr gibt es dementsprechend kaum, vor allem, wenn man wie Reisser und Höher an einer Sackgasse wohnt. Auch zugebaut werde ihr Ortsteil nicht, freut sich Reisser, die Lebensqualität in Forstseeon schätzend: "Wenn du einmal so aufwächst, möchtest du nicht in der Stadt wohnen." Sie liebe die schönen alten Höfe, dass man hier noch das Ursprüngliche habe und das Alte pflege.

Aber nicht nur das Alte, auch das Neue blüht auf in Forstseeon. "Kommt mit, ich zeige euch was", sagt Höher und läuft auf seinen Kuhstall zu. In einzelnen Boxen auf Stroh gebettet liegen kleine Kälber. Davor watschelt ein großer Gänserich, der, so erzählt Höher, erst vor Kurzem seine Frau verloren hat. "Das hier ist erst ein Tag alt", sagt er und deutet auf ein kleines Kälbchen, das noch ein bisschen zittert, als es versucht, auf die Beine zu gelangen. Es gebe viel Nachwuchs im Dorf, verrät Reisser, nicht nur in Höhers Kuhstall.

Wagner ist davon nicht ausgenommen, auch wenn seine zwei Kinder mittlerweile erwachsen und ausgezogen sind. "Wir haben acht Enkel und einen Urenkel", berichtet der 83-Jährige. Sie kämen gerne zu Besuch, um ungestört im Garten zu toben. Und das, obwohl sie bislang gar nicht wussten, welch besonderer Ort im Landkreis hier eigentlich ist.

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