Süddeutsche Zeitung

Prozess am Landgericht München:Staatsanwalt fordert elf Jahre Haft

Woran starb der achte und letzte Kunde eines 67-Jährigen aus dem Landkreis Ebersberg, der gegen Geld Kastrationen vorgenommen hat? Das bleibt auch nach der Obduktion unklar.

Von Johanna Feckl, München

Insulin und Strom. Das waren die beiden Dinge, die Randolph Penning bei seinem Sachverständigenvortrag am Landgericht München hervorhob. Der Rechtsmediziner fertigte das Gutachten in dem Fall um einen 67-Jährigen aus dem nördlichen Landkreis Ebersberg an. Der Angeklagte wird beschuldigt, an acht Männern Kastrationen und andere operative Eingriffe vorgenommen zu haben. Einer der Männer ist im Nachgang an eine solche OP gestorben. Die Anklage lautet auf gefährliche und schwere Körperverletzung sowie auf Mord durch Unterlassen. Am Montag nun, dem mittlerweile zehnten und vorletzten Prozesstag, setzte Randolph Penning sein Gutachten fort, mit dem er bereits am vergangenen Verhandlungstag begonnen hatte. Drei Stunden sprach er über die Befunde der Obduktion des 61-jährigen Mannes, den die Polizei tot in einem Karton in der Wohnung des Angeklagten aufgefunden hat.

Zwei Tage vor dem Tod fand der Eingriff statt

Die zwei Hauptfragen, die das Gericht im Rahmen des Gutachtens wohl am meisten interessierte: Wann und weshalb ist der Tod eingetreten? Die Aussagen des Angeklagten hierzu legten einige Zweifel für das Gericht nahe. Sichere Antworten auf diese beiden Fragen ergaben sich jedoch auch durch die Obduktion nicht, wie der Sachverständige Penning deutlich machte. Aber die Befunde ließen Eingrenzungen zu: Demnach sind zwischen zwölf Tagen und drei Wochen vom Todeszeitpunkt bis zur Obduktion vergangen. Außerdem sei weniger als zwei Tage vor dem Eintreten des Todes ein Schnitt im Genitalbereich des Verstorbenen gemacht worden - die Wunde war hier noch nicht angeheilt, wie der Rechtsmediziner erklärte. Würde der Eingriff länger zurückliegen, hätte sich der sichtbare Heilungsprozess anders darstellen müssen.

Durch die Erkenntnisse der Verhandlung stand für den Gutachter das Verabreichen von Insulin im Raum. Rückstände nachweisen konnte man allerdings nicht, das sei nach einer solch langen Liegedauer bis zur Obduktion nicht mehr möglich. Dass Insulin im Körper einer Leiche meist schon nach kurzer Zeit nicht mehr auffindbar ist, ist laut dem Sachverständigen keine Tatsache, die ausschließlich in Fachkreisen bekannt ist. Und: Im Kühlschrank des Angeklagten wurde eine angebrochene Packung Insulin gefunden, obwohl der Elektriker kein Diabetiker ist. Bei der Geschichte, wir er an das Mittel kam und warum er es bei sich lagerte, konnte ihm das Gericht bereits nachweisen, dass er gelogen hatte. "Aber es gibt auch keine positive Gewähr in diese Richtung", betonte der Gutachter.

Weiterhin hob der Sachverständige Strom als mögliche Todesursache hervor. So behauptete der Angeklagte, die Eingriffe unter anderem mit einem sogenannten Thermokauter vorgenommen zu haben. Das ist ein chirurgisches Instrument, das elektrisch erhitzt wird, um sodann gezielt Gewebe zu zerstören. Die Verwendung eines solchen Thermokauters könnte zum Tod geführt haben, wenn das Instrument zuvor dementsprechend manipuliert worden sei, so der Rechtsmediziner weiter. Der Thermokauter des Angeklagten wurde in dessen Wohnung nicht gefunden, über den weiteren Verbleib gibt es keine Erkenntnisse.

Die Verteidigung hält sieben Jahre Haft für ausreichend

Auch gibt es da noch diesen Eimer Wasser mit Elektroden, die mit Genitalbereichen beschriftet waren. Er wurde in der Wohnung des Angeklagten sichergestellt. Laut eines anderen Sachverständigen für den Bereich Elektrik, den das Gericht vergangene Woche anhörte, wäre es zwar unwahrscheinlich, dass so ein tödlicher Stromschlag erfolgen könnte, "aber es ist nicht auszuschließen", wie der Rechtsmediziner die Aussage seines Kollegen wiedergab. Wenn zusätzlich mit den Händen an den Eimer gefasst werden würde, während dieser unter Strom steht, "dann war's das sicherlich". Jedoch gibt es auch für Strom als Todesursache keine sicheren rechtsmedizinischen Beweise.

Letztlich hielt auch die Staatsanwaltschaft es nicht in ausreichendem Maß für belegt, dass der Angeklagte für den Tod seines Klienten verantwortlich ist - eine Verurteilung wegen Mordes forderte sie in ihrem Plädoyer letztlich nicht. Dafür aber wegen schwerer und gefährlicher Körperverletzung, insgesamt elf Jahre hielt der Anklagevertreter hier für angemessen. Die Verteidigung hingegen hielt eine Haftstrafe von sieben Jahren für ausreichend. Ein Urteil wird Anfang Dezember erwartet.

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