Lässiger Jazz:Entschleunigung als Kunstform

Jazz in der Schrottgalerie

Gerade bei den Latin-Nummern und Balladen glänzen Barbara Roberts und ihre Begleiter.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Barbara Roberts und Band in der Schrottgalerie

Von Ulrich Pfaffenberger, Glonn

Wie oft haben die Balken der Schrottgalerie wohl schon ein "Bésame Mucho" vernommen? Wie oft das Publikum dort? Es zeugt von Selbstbewusstsein und Vertrauen in die Fachkunde der Zuhörer, diesen Klassiker auf die Bühne zu bringen - und Barbara Roberts, die schon in der Vergangenheit hin und wieder Gast in Glonn war, hatte am Freitagabend beides mitgebracht und ihre vierköpfige Begleitband dazu. Das mit vielen weiteren Klassikern bestückte Programm erwies sich, wie der intensive und dankbare Applaus nach zweieinhalb Stunden zeigte, als maßgeschneidert für Ort und Anlass, eine entspannt-romantische Einstimmung ins Wochenende.

Zweierlei ist es, was Barbara Roberts' Stimme große Anziehungskraft verleiht. Da ist zum einen eine und innere Ruhe, die weit über berufliche Professionalität und lange Erfahrung hinausgeht. Die Sängerin modelliert ihre Melodien mit Liebe und Zuneigung. Das spürt man vor allem bei den lateinamerikanischen Melodien wie den diversen Jobim-Liedern, bei denen die portugiesisch gesungenen Texte die Intensität muttersprachlicher Vertrautheit ausstrahlen. Da ist zum anderen ihr jazz-lässiger Umgang mit Dynamiken und einige elegante Salti zwischen Höhen und Tiefen, zwischen Herz und Verstand. Ihr "But not for me" der Gershwin Brothers ist so sehr Paradestück für dieses Können, dass sie es getrost in "Exactly for me" umbenennen dürfte.

Wertvolle Helfer, die nur scheinbar im Hintergrund stehen, sind die beiden von der Rhythmusgruppe. Rudi Schießl verfügt über ein natürliches Gespür für den Augenblick, an dem man die Qualität eines Jazz-Bassisten messen sollte. Unauffälliger als er ist selten einer in seine Improvisations-Parts gestartet, aber so dramatisch in eine fast tänzerische Saitenakrobatik verwandeln können es auch nicht viele. Schlagzeuger Thomas Elwenspoek wiederum erweist sich als Meister des Microburst, einer zeitlich und räumlich verdichteten Entladung geballter Energie, wie sie die Meteorologie in Sturmgebilden beobachtet. Nur dass sie hier keine Zerstörung anrichten, sondern im Gegenteil einen Song in eine höhere Umlaufbahn katapultieren.

Ein Vergnügen für sich ist an diesem Abend Maximilian Braun, der mit "Saxe" in der Besetzungsliste steht, also als einer, der für verschiedene Saxofone zuständig ist. Die Mehrzahl ist angebracht, denn ziel- und stilsicher greift er jeweils zu dem Instrument, dessen Stimmlage dem Charakter des einzelnen Stücks Profil und Kontrastschärfe verleiht. Damit nicht genug, hat er auch noch eine Querflöte mitgebracht, die er stets dann erklingen lässt, wenn ein Stück neben Barbara Roberts noch eine zweite Singstimme vertrüge. Beide sind hervorragend aufeinander abgestimmt und prägen den Charakter des Quintetts.

Mit- und Gegenspieler bei dieser Aufgabe ist Davide Roberts am Piano, der seinen Part für ein Jazz-Ensemble sehr markant interpretiert und von seinen Mitmusikern auch den Spielraum dafür erhält. Seine vielgestaltigen Figuren bei "Black Coffee" sind Ballett mit Noten, seine lyrischen Klanggewebe bei "Lover Man" eine Zierde der Zunft - und beides dem Publikum anerkennende Zwischenrufe wert. Dabei changiert er geschickt zwischen "treibende Kraft" und "Raumgestalter", indem er wechselweise das Tempo bestimmt und die Atmosphäre eines Stücks vorgibt. Dadurch fällt dem Piano eine tragende Rolle zu, die sich ebenfalls charakteristisch auswirkt. Daraus ergibt sich auch die einzige Schwäche des Quintetts: dass bei einem ähnlichen dramaturgischen Aufbau der einzelnen Stücke recht bald vorhersehbar ist, was als nächstes kommt.

Da hätte man sich etwas öfter originelle Ausbrüche gewünscht, wie Sängerin und Saxofonist sie zum Auftakt des zweiten Sets mit "Bye, bye, Blackbird" liefern, einem atemberaubenden Dialog, der kunstvoll mit ahnungsvollen Verzögerungen arbeitet. Sie lassen Luft zum Atmen und Raum, in dem sich Fantasie entfalten darf. Wie überhaupt das Quintett die Entschleunigung zur Kunstform erhoben hat und manchem Song aus dem Repertoire eine entspannt schwebende Form schenkt, von der viel mehr im Ohr und im Gefühl ankommt als bei einem höheren Tempo.

Gerade die Nummern im Latin-Style und die Balladen des Repertoires entwickeln dadurch unwiderstehliche Anziehungskraft. Sehnsuchtsvolle Seufzer und laute Juchzer im Publikum zeigen, wie gut das tut.

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