Süddeutsche Zeitung

Kunstverein Ebersberg:Wo steuern wir hin?

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Den Ingolstädter Thomas Neumaier bekommt zur Eröffnung des Arkadienfestivals den Kunstpreis der Stadt Ebersberg verliehen. Zwei Wochen lang wird der Kunstverein zum Schauplatz der kritischen Auseinandersetzung mit Problemen unserer Gegenwart

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Eigentlich ist schon die Ortsmarke falsch gewählt. Sie müsste Arkadien heißen für diesen Abend. Oder - Arkadien mit Fragezeichen. Vielleicht auch mit Ausrufezeichen. Für viele der Gäste jedenfalls, die zur Auftaktveranstaltung des Arkadienfestivals am Freitagabend gekommen waren, wurden die Räume des Kunstvereins und der Klosterbauhof zum Sehnsuchtsort. Als Suchende flirrten sie durch den in Kälte getauchten Hof, in dem "der Kreisläufer" Helmut Mühlbacher seine Runden zog, vorbei an einem Bus, der während des Festivals als Bar dient, mitten durch die blauschimmernde Installation aus Plastik und Gestänge des holländischen Installationskünstlers Robert Roelink, über der ein Astronaut im Winterhimmel schwebte. Schließlich mäanderten sie hinein in die Galerie in der Alten Brennerei und überließen sich den arkadischen Fantasien, die dort gelebt wurden.

Und für all diejenigen - wenn es sie denn gab - die all dem mit einer gewissen Ratlosigkeit gegenüber standen, bemühte sich der Kurator der internationalen Kunstausstellung und Initiator des gleichnamigen Festivals "Wo bitte geht's nach Arkadien?", Peter Kees, um eine griffige Erklärung: "Wir begreifen Arkadien heute als Forum für die drängenden Gegenwartsprobleme - welche auch immer das sind". Vom Sehnsuchtsort der Antike, der sich, ausgehend von einer - übrigens wenig lieblichen - Landschaft auf dem griechischen Peleponnes als Topos durch die darstellende Kunst der Jahrhunderte zieht, ist Arkadien also Plattform für die Suche nach einer Lösung aktueller Fragen geworden. Der Umgriff des einst emotional besetzten Begriffs hat sich in der Komplexität moderner Realitäten zwischen Kapitalistischer Industriegesellschaft und abgehängten Weltregionen, zwischen absolutem Konsumgehorsam und bewusstem Konsumverzicht, zwischen neonationalistisch-totalitären Gewaltansprüchen und verzweifelter Verteidigung der Demokratie verwandelt. Und doch muss der Versuch, ihn in all seinen Implikationen rational zu fassen, scheitern. Dass schließlich doch nur die Mittel der Kunst bleiben, ihm näher zu kommen, machte neben den vielen anderen Ausstellern und Performern, die den Abend im Klosterbauhof prägten, der neu gewählte Preisträger des Ebersberger Kunstpreises, Thomas Neumaier klar.

Eine Jury bestehend aus dem Steinhöringer Aktionskünstler Peter Kees, dem Kulturhistoriker und Künstler Rolf Külz-Mackenzie, der Kuratorin Tine Neumann, dem Philosophen und Informatiker Klaus Prätor sowie dem Moosacher Theatermacher Axel Tangerding hatte den 1948 in München geborenen Installationskünstler Neumaier gekürt. Den im zweijährigen Rhythmus vergebenen und mit 200 Euro dotierten Preis überreichte Bürgermeister Walter Brilmayer. Dem "Ottonormalverbraucher", so scherzte er, möge sich das Thema der Kunstaktion, die mit Vorträgen, Lesungen und Diskussionen die nächsten zwei Wochen das Leben im Klosterbauhof bestimmen wird, ja vielleicht nicht erschließen. Als Peter Kees vor einem Jahr bereits eine Ausstellung über seine "Arkadischen Landnahmen" zeigte, habe er, Brilmayer, sich zunächst gefragt, ob es da um eine Reichsbürgerbewegung gehe. Jetzt wisse er es besser.

Mit dem dogmatischen Vertreten einer politischen Ideologie hatte denn auch dieser Abend gar nichts zu tun. Vielmehr ging es darum, Fragen zu stellen, zu irritieren, so wie es Werner Bauer mit seiner Performance tat, in der er mit pinker Kreide auf den Boden sprüht: "Mein Arkadien ist größer als Deins." Oder Phoebe Lesch, die in einen gymnastischen Dialog mit einer goldenen Römermaske tritt und dabei - mittels vom Band eingespielter Stimme - Thesen aufstellt wie die, dass "alles Kunst sein" könne, "oder anders gesagt, auch nichts".

Irritieren, verstören, aufrütteln will auch der Preisträger des Abends Thomas Neumaier. Er hält der Gesellschaft aus Konsumenten, aus Getriebenen und Gesteuerten den Spiegel vor. Objekte und Installationen, Kunst im öffentlichen Raum, "Stadteingriffe" sind ebenso seine Mittel wie Grafik und Malerei und Videos. Mit selbst gemachten Verkehrsschildern hat er etwa in Ingolstadt an verschiedenen Orten den Straßenverkehr gestört, einen Kreisverkehr zum Quadratverkehr umdeklariert - und damit Passanten wie Autofahrern bewusst machen wollen, wie sehr im städtischen Leben jeder Schritt geregelt, gelenkt sei. "Wenn man das stört, führt das sofort zu Irritationen." Nach Ebersberg hat er seinen "travelling forest" mitgebracht, ein Stückchen Birkenstamm mit einem Griff und dem Anhänger einer Fluglinie, sowie den "Flaneur", ein zwei mal zwei Meter großes Stückchen Plastikrasen, das "man sich mitnehmen", vielleicht auf dem Beton eines großen Platzes ausbreiten und darauf mit Hilfe des mitgelieferten Spazierstocks spazieren kann. Natur zum Mitnehmen aus Plastik also, womit Neumaier unser Bestreben ad absurdum, uns die Natur komplett untertan zumachen. Den Raubbau an der Natur nimmt Neumaier mit seinen travelling forests aufs Korn, Hunderte dieser Baumstämme - ausschließlich aus bereits geschnittenen Bäumen gefertigt -, hat er bei vergangenen Ausstellungen in verschiedensten Ländern unter die Leute gebracht. In Finnland etwa, erzählt er, hätten Touristen sie als Brennholz erstehen wollen.

Die sehr humorvolle Art, erklärte Kurator Peter Kees, mit der Neumaier seine Anliegen in die Öffentlichkeit bringe, habe die Jury bewogen, ihm den Preis zu geben.

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SZ vom 11.02.2019
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