Kunstverein Ebersberg:Wider die Hierarchien

Bei der Vernissage der Jahresausstellung des Kunstvereins Ebersberg in Grundbuchamt und Alter Brennerei werden die Werke der Malerin Marta Fischer und der Mainzer Künstlergruppe BAART prämiiert

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Für die Münchner Malerin Marta Fischer, die dieses Jahr für ihr Ölgemälde "Wasserhahn" den mit 1500 Euro dotierten Preis der Stadt Ebersberg bekommen hat, ist jeder Gegenstand, ist alles, was sie sieht, ein geeignetes Motiv. Ob Ottomotor, Dampfmaschine oder eben das prämiierte Bild einer Baustellen-Installation: "Es gibt in der Malerei keine Hierarchie", sagt Fischer. "Ich wundere mich selber, warum ich solche Dinge entdecke, aber ich denke mir nichts aus, ich lasse den Blick umherschweifen und beobachte."

Es ist auch nicht etwa so, als habe Marta Fischer, die in den Domagk-Ateliers arbeitet, eine besondere Affinität zur Technik. "Von diesen Maschinen, die ich da male, habe ich keine Ahnung", erklärt sie, "mich interessieren die Farben, das Licht, die Komposition - Dinge eben, die zur Malerei gehören." Sie malt ihre Objekte auch nicht im Atelier, sondern an Ort und Stelle, zieht mit ihrer Staffelei los, auch zur Baustelle.

Das Gemälde auf graugrünem Grund ist geometrisch aufgebaut mit vertikalen und horizontalen Elementen. Die Armatur ruht auf zwei Stützen; mit Farbtönen wie Gelb, Braun und mattem Blau assoziiert der Betrachter Alter, Verfall und eine Art "Nature morte", in diesem Fall unscheinbarer Gebrauchsgegenstände. Dennoch besitzt die Malerei, die an die Palette "alter Meister" erinnert, immense Leuchtkraft und auch Tiefe.

Video ´Schichten` von Artjom Chepovetskyy und Ani Barseghyan

Die Arbeit der Künstlergruppe BAART "Schichten" und "Das vergiftete Paradies" erhielt den Preis der Künstlerbedarfsfirma Boesner in Forstinning.

(Foto: Artjom Chepovetskyy/oh)

Marta Fischer hat 1990 mit ihrem Studium an der Münchner Kunstakademie bei Horst Sauerbruch begonnen, nachdem sie ein Jahr in Kunstgeschichte eingeschrieben war. Ihre beruflichen Stationen sind beeindruckend: Sie stellte unter anderem aus im Kallmannmuseum Ismaning, in Mainz, Passau und Berlin. Sie wurde bei einer Ausstellung im Mainzer Eisenturm mit dem dritten Preis ausgezeichnet. 1994 erhielt sie ein Erasmus-Stipendium für Mailand, wo die dortige Kunstszene sie tief beeindruckt hat. "Ich war überrascht, wie viele gute Galerien die haben und wie viele deutsche Künstler da ausstellen." Auch die zeitgenössische italienische Kunst selbst habe sie fasziniert, vor allem die Arbeiten des 70-jährigen Künstlers Sandro Chia und das Werk von Giorgio Morandi, der 1964 starb und als "Heiliger der modernen italienischen Malerei" verehrt wurde, wie es der Kunsthistoriker Werner Haftmann formuliert hat. In Mailand ist Fischer viel ins Museum gegangen. "Das Studium der alten Meister, etwa der Kunst Tintorettos, hat meine Aktbilder stark beeinflusst".

Das in Ebersberg ausgestellte Ölgemälde Fischers zeigt ein Motiv, das für sich genommen völlig unwichtig ist. Die Konstruktion mit Ventil und Rohrleitungen ist stark vereinfacht. "Ich beobachte die Dinge, aber ich gehe nicht ins Detail, sondern höre schon mal in einer frühen Werkphase auf, sobald ein Bild für mich stimmig ist." Auch einen jener blechernen Kreidewagen hat sie gemalt, die früher auf Sportplätzen und Fußballfeldern die weißen Linien gezogen haben. "Warum ich das gemalt habe, weiß ich gar nicht", sagt sie lachend. Über den Preis der Stadt Ebersberg freut sie sich riesig. "Ich bin sehr überrascht, weil ich mit so etwas nicht gerechnet habe".

KVE Jahresausstellung 2017

Das Ölgemälde "Wasserhahn" von Marta Fischer wird bei der Eröffnung der Jahresausstellung mit dem ersten Preis der Stadt Ebersberg ausgezeichnet.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Alltag, in diesem Fall die Armut in Indien, hat auch die Künstlergruppe "BAART" aus Mainz beschäftigt, die den von der Firma Boesner gestifteten Preis über 750 Euro erhält. Hinter dem Kürzel stecken der Vor-, beziehungsweise Nachname von Artjom Chepovetskyy, der in Odessa geboren ist und seit 15 Jahren in Mainz lebt, und Ani Barseghyan aus Armenien. Artjom Chepovetskyy studiert neben Kunst auch Philosophie. Im September wird er fertig sein und dann als Lehrer arbeiten. Ani Barseghyan, geboren in Jerewan, ist 26 Jahre alt. Auch sie studiert an der Kunsthochschule Mainz und ist in der dortigen Medienklasse tätig. Bevor sie vor fünf Jahren nach Deutschland kam, hat sie in Armenien Angewandte Kunst mit der Fachrichtung Ornamentik studiert.

Die Arbeit des Duos besteht aus einem Video mit dem Titel "Schichten" und einer 120 mal 80 Zentimeter großen Fotografie "Das vergiftete Paradies". Thema beider Arbeiten ist die krasse soziale Ungleichheit in dem asiatischen Land, die sich im absurd anmutenden Antagonismus zwischen einer Oberschicht, die künstliche Welten und Illusionen produziert - Stichwort Bollywood -, und den Ärmsten der Armen, die diese Produkte konsumieren, spiegelt.

Die gemeinsame Video-Fotoarbeit ist unter dem Eindruck eines zweimonatigen Indienaufenthalts entstanden, berichtet Chepovetskyy. "Uns geht es um die katastrophale politische und ökologische Situation dort", sagt der 32-Jährige. Auf dem Foto sieht man eine "Wäscherei", bestehend aus mehreren primitiv gemauerten Becken, in denen Wäsche, Decken, Lumpen gestapelt sind. "Dort waschen die Armen ihre Sachen im Fluss", sagt Chepovetskyy. Ringsherum, im spärlich wachsenden Gras, Wäschestücke und Abfall. Ein Jugendlicher zieht gerade sein Hemd aus. Die ganze Szene dokumentiert nackte, bittere Armut.

Kunstverein Jahresausstellung 2017 Kunstpreise

Bürgermeister Walter Brilmayer (rechts) hält die Laudation auf Ani Barseghyan, Artjom Chepovetskyy und Marta Fischer (von links).

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Aufeinanderprallen der Welten in Indien ist auch Thema des Videos "Schichten". Man sieht aufeinander geklebte Werbeplakate für einen jener Bollywood-Filme, in denen es um Liebe, Schönheit, Macht und den üblichen Kitsch geht. Davor steht eine Ziege und knabbert das am Rand zerfledderte Papier an - "zerfressen von der Natur im Rad der Zeit", sagt Chepovetskyy. Der Künstler, der auch ein Kunstprojekt der Behindertenhilfe in Wiesbaden leitet, schreibt: "Künstlich erschaffene Illusionen sind das tägliche Brot der sozial Schwachen. Eine ritualisierende Flucht in die Rolle eines anderen. Diese sich wiederholende Selbsttäuschung ist ein unendlicher Konsum. Alles ist vergänglich, und im Vergehen beginnt das Entstehen, das schließlich wieder im Vergehen mündet. Dieser Prozess ähnelt einer Schlange, die ihren eigenen Schwanz frisst. Am Ende bleibt nur Ziegenkot. Und selbst der ist nur ein weiteres Produkt des Konsums." Das Duo hat mit seiner Arbeit sinnfällige Bilder sowohl für die krasse soziale Ungleichheit als auch für diesen unseligen Kreislauf geschaffen, in dem die Ziege als Synonym für den (kritiklosen) Konsum steht, der sich Schmutz einverleibt und verdaut.

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