Süddeutsche Zeitung

Ausstellung in Ebersberg:Pferdestärken für den Plattenspieler

Die beiden Münchner Künstler Sofie Bird Møller und Alexander Laner zeigen beim Ebersberger Kunstverein kontrastreiche Malerei und Bildhauerei.

Von Anja Blum

Es ist eine Höllenmaschine. Wirklich kaum zu bändigen. Von übelstem Gestank. Und ohrenbetäubend laut. Mit flatternder Hose und versteinertem Gesicht lenkt Alexander Laner seine Installation durch den Raum, die Galerie des Ebersberger Kunstvereins. Wie seine Arme und Ohren das aushalten? Keine Ahnung. "Ja, das ist ziemlich anstrengend", sagt der Künstler nach der Aktion, immer noch schwer schnaufend. Doch gleich wird er glücklich lachen, denn das Experiment ist wieder mal gelungen: Der Gummireifen des Gefährts Marke Eigenbau hat eine schwarze, sanft geschwungene Linie auf dem weißen Boden der Alten Brennerei hinterlassen. Und bei diesem einen Strich soll es auch bleiben, die brachiale Fahrt wird nicht vor Publikum wiederholt. "Das ist keine Performance, sondern eine Zeichnung", betont Laner.

"Freude am Fahren" hat der Münchner Künstler diese Arbeit genannt. Die Installation besteht aus dem Untergestell eines Schubkarren und dem Boxermotor eines Oldtimers, eines BMW 700. Doch da das Gefährt keinen Auspuff hat und praktisch kein Gewicht befördern muss, wird in Laners Händen daraus eben eine Höllenmaschine, die sehr gerne mit ihrem Lenker wild spazieren fahren würde. Doch Laner beherrscht seine kraftvolle Schöpfung so gut, dass er sogar die Entstehung der Linie am Boden zu steuern versteht.

Drei imposante, aufeinander aufbauende Werke zeigt Laner nun beim Kunstverein Ebersberg, er bespielt die Galerie gemeinsam mit seiner Frau Sofie Bird Møller, einer Dänin. Beide studierten an der Akademie der Bildende Künste in München und absolvierten als Meisterschüler: Sofie Bird Møller 2004 bei Günther Förg und Alexander Laner 2003 bei Olaf Metzel. "Der eine war ein strenger Maler, der andere ein politischer Bildhauer", sagt Møller über die beiden Professoren. "Das hat sich wunderbar ergänzt, wir haben uns immer gegenseitig inspiriert." Und dieses Zusammenspiel funktioniert auch in der Ebersberger Schau: Auf den ersten Blick haben Malerei und Bildhauerei nicht viel gemein, doch wer sich einlässt auf diese Kunst, erkennt, dass es in beiden Fällen um einen starken Kontrast geht: um grob und fein, um Kraft und Poesie, um Strenge und Zufall. Auf ein gemeinsames Motiv der beiden Künstler weist auch der Titel der Schau hin: "DIN EN ISO 9001" spielt mit der Absurdität und Überreglementierung der modernen Welt und überträgt diese vermeintlich auf die Kunstproduktion.

Ja, es ist absurd, für eine einzige Linie am Boden gleich eine Höllenmaschine anzuschmeißen - auch wenn Hermann Schuster, Projektleiter vom Kunstverein und ehemaliger Ingenieur, die größte Freude daran hat. Ein "Fitzcarraldo-Momentum" nennt Laner seine Kunst, in Anlehnung an den Film von Werner Herzog mit Klaus Kinski, in dem ein Exzentriker im Dschungel ein Opernhaus bauen will und dafür scheinbar Unmögliches versucht. Und in die selbe Richtung zielt auch eine andere Arbeit, die bereits 2005 entstanden ist: ein Plattenspieler - ebenfalls von einem Automotor angetrieben. Das tiefe Brummen des Mercedes verschmilzt hier mit Klaviermusik von Chopin. Ein Monstrum aus Stahl, Schläuchen und Elektrik, das eine zarte Saphirnadel rotieren lässt. Welcher Norm entspricht das?

Interessant zu beobachten sei außerdem, erzählt der Künstler, dass er angesichts dieser Installation mittlerweile "ganz andere Gespräche führen" müsse als früher. "Heute geht es immer gleich um Klimawandel und Nachhaltigkeit", sagt er. Das sei auch okay so - selbst wenn er die Kunst als über dieser Debatte stehend ansehe - und habe ihn nun zu einem dritten Werk inspiriert: "Full please". Er müsse dabei stets an die 70er Jahre denken, erklärt Laner, an die Urlaubsfahrten nach Italien und die Rast an der Tankstelle. "Vollmachen, bitte!" In diesem Sinne versteht der Künstler die Installation als Sinnbild für Scheindebatten und Symbolpolitik. "Alle tun so, als wären sie umweltbewusst, aber wirklich verzichten will keiner. Jeder einzelne hat irgendeinen Hang zum Exzess." Seien es hochmotorisierte Autos oder Fernreisen. "Ich nehme mich selbst da auch gar nicht aus - es geht einfach darum, wie unsere Gesellschaft tickt." Doch wie sieht "Full please" überhaupt aus? Das Werk ist ein Brunnen aus bunten Planschbecken und einer alten Zapfsäule, aus der Wasser sprudelt anstatt Benzin.

Die Grenzen eines Genres ausloten - das ist auch das Ziel der Malerin Sofie Bird Møller: Allein Leinwand und Pinsel sind ihr zu wenig. Lieber arbeitet sie vielschichtig; mit Klebestreifen, Spachtel, Messern. In Ebersberg zeigt Møller eine neue, in der Coronazeit entstandene Werkreihe, die das Spannungsverhältnis zwischen systemischer Strenge und organischem Farbauftrag auslotet. "Meine Bilder sind stets eher Untersuchungen, deswegen arbeite ich meist seriell."

Møllers Werke zeigen geometrische Muster, denen ein spontaner und so auch unvorhersehbarer Strich gegenübergestellt wird. Weiße, klare Flächen, die Gitter, Kreuze, Netze oder Kreise bilden, werden kontrastiert von meist bunten, mal neonfarbenen, mal pastosen Spachtelzügen. Das Ergebnis ist meist abstrakt, doch manchmal drängen sich Assoziationen auf: hier ein Eiskristall, dort ein Edelstein.

Die Serie sei inspiriert vom Ansatz der dänischen Lyrikerin Inger Christensen, erzählt Møller, von einer sehr intelligenten Frau, die in ihren Gedichten mathematische Strukturen und überbordende Poesie zu vereinen gewusst habe. "Ebenfalls in so einem Spannungsfeld zu arbeiten, fasziniert mich sehr." In Malerei übersetzt bedeutet das: Ein klarer Bildaufbau wird vermählt mit dem Zufall, entstehend aus dem Zusammenwirken von Farbe und Spachtel. Eine Kunst, die weniger laut ist als eine Höllenmaschine, aber ebenso schwer beherrschbar.

Kunstverein Ebersberg, Galerie im Klosterbauhof: Sofie Bird Møller und Alexander Laner "DIN EN ISO 9001"; Vernissage an diesem Freitag, 11. Juli, um 19 Uhr, zu sehen bis Sonntag, 4. Juli, geöffnet freitags von 18 bis 20 Uhr, samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 11.06.2021
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