Kultur im Landkreis:Ist das das Ende?

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Viel Malerei, aber auch Collagen, Installationen und Fotografie erwarten das Publikum der Mitgliederausstellung beim Kunstverein Ebersberg. (Foto: Christian Endt)

Der renommierte Ebersberger Kunstverein zeigt eine „Letzte Ausstellung“ – um auf den Bedeutungsverlust der Kultur und seine gravierenden Folgen aufmerksam zu machen. Über einen sehenswerten Protest.

Von Anja Blum, Ebersberg

„Letzte Ausstellung!“. So nennt der Kunstverein Ebersberg seine aktuelle Schau. „Echt jetzt?“ Das sei sie in den vergangenen Wochen angesichts dieses Titels sehr oft gefragt worden, erzählt Verena Ditterich, die Zweite Vorsitzende, beim Rundgang durch die Galerie. Die Antwort lautet, in knappen Worten: Ja, die „Letzte Ausstellung“ soll ein Weckruf sein. Und nein, das Ende der Kunst in Ebersberg ist – Stand jetzt – noch nicht besiegelt.

„In letzter Zeit haben wir vermehrt den Eindruck, dass Kunst und Kultur in unserer Gesellschaft an Bedeutung verlieren“, sagt Andreas Mitterer, der Vorsitzende des renommierten Vereins, der recht konstant rund 250 Mitglieder hat und dessen Wurzeln bis ins Jahr 1978 zurückreichen. Der Bedeutungsverlust zeige sich einerseits in schwindendem Interesse seitens des Publikums an kleinen zeitgenössischen Ausstellungen. Goutiert würden stattdessen nur noch kommerzielle Mega-Events wie die „Immersiven Experiences“ zu Claude Monet oder Frida Kahlo – deren Besuch einem dann in den sozialen Medien das wohlklingende Label „Kunstliebhaber“ beschere, sagt Schriftführerin Evi Butz und lächelt bitter.

"Keine Krippe? Keine Kunst!" So heißt dieses kleine Objekt von Déli H. "Kunst will geboren werden. Gibt es keine Mittel, um sie zu verwirklichen und anderen Menschen zu zeigen, bleibt sie eine Idee, die nicht zur Welt kommen kann." (Foto: Christian Endt)

Andererseits manifestiere sich die schwindende Anerkennung in deutlich gekürzten Fördermitteln, klagt der Vereinschef. Ein generelles Problem der Kulturszene – das zuletzt auch die Ebersberger schwer getroffen hat: Die Stadt habe ihren jährlichen Zuschuss um die Hälfte gekürzt, der Bezirk um ein Drittel, so Mitterer. Auf der anderen Seite seien die Nebenkosten für den Erhalt der historischen Gemäuer der Galerie im Klosterbauhof immens gestiegen, ergänzt Butz. „Und alles in allem wird’s dann halt irgendwann schon sehr schwierig.“

Doch nicht nur das fehlende Geld treibt die Macher der Ausstellung um, sondern auch die aktuelle politische Entwicklung. „Die Freiheit der Kunst ist ein hohes Gut. Dies sehen aber gerade die rechten politischen Kräfte nicht so“, sagt Mitterer. So habe zum Beispiel die AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag gefordert, sämtliche Haushaltsmittel für die Freie Szene, die Kreativwirtschaft und die Filmförderung zu streichen. „Und in den Bundesländern, wo die AfD gerade stark hinzugewonnen hat, drohen solche Forderungen jetzt Realität zu werden.“

Vielsagender Titel: Edith Immich präsentiert ihr "Letztes Hemd". (Foto: Christian Endt)

Nach ein paar „wilden Sitzungen“ beschloss der Beirat des Vereins daher, das Projekt „Kunst“ in Ebersberg einfach mal öffentlichkeitswirksam zu beenden und die Mitgliederausstellung 2024 mit dem Zusatz „letzte“ zu versehen. Eine gewisse Provokation, die laut Mitterer „die Menschen aufmerksam machen soll auf das, was da gerade passiert“. Darauf, dass eine für die Gesellschaft essenzielle Szene gerade drohe, verloren zu gehen.

Allerdings wolle man nicht dem Pessimismus frönen, so Mitterer, sondern habe die Mitglieder aufgefordert, mit ihren Interpretationen des Mottos zu zeigen, „dass Kunst nicht nur eine Form der Unterhaltung neben Tiktok und Netflix ist. Oder wie eine Welt ohne Kunst aussähe.“ Die Ausschreibung zur Schau jedenfalls endete mit einem durchaus motivierenden Satz: „Die Kunst ist tot, lang lebe die Kunst!“

"Letztes Werk": Andreas Mitterer zeigt dem Publikum sein Wunsch-Grabmal, einen ordinären Wassersprenger. (Foto: Christian Endt)

Und siehe da: 60 Mitglieder haben trotz des wenig gefälligen Themas Werke eingereicht. Zu bestaunen sind also viele verschiedene künstlerische Positionen, sie reichen von desillusionierten Illustrationen des Endes der Kunst über politische Protestnoten und kraftvollen Widerstand bis hin zu unbedingtem Optimismus. Was die Mitglieder so denken über den Zustand ihrer Branche und Passion, lässt sich aber nicht nur an ihren Werken ablesen, sondern auch an einer „Wall of Fame“: Gleich neben dem Eingang sind Zettel gepinnt, Kommentare der Künstlerinnen und Künstler zum Thema und ihrer jeweiligen Umsetzung.

„Ohne Kunst- und Meinungsfreiheit finden wir uns schneller in einer letzten Ausstellung wieder, als uns lieb ist“, schreibt zum Beispiel Verena Gaiser. Ihr Gemälde „It can happen here again“ prangert den Populismus und Rechtsruck in Politik und Gesellschaft an: Es zeigt einen Dolch, der in ein dickes Buch gestoßen wird. Eine düstere Interpretation des Kunstbetriebs liefert Wally Bistrich: Jeder Versuch, ihm Leben einzuhauchen, sei vergebens, schreibt sie und gesteht am Ende völlige „Ratlosigkeit“. Von einem Albtraum berichtet gar Barbara Spielmann: Darin habe sich eines ihrer Werke in einen Gebrauchsgegenstand verwandelt. Nun fragt sie: „Wenn unsere Kunsträume immer enger werden oder gar schließen müssen, bleibt dann nur noch das Möbelhaus oder die Shopping-Mall?“ Das Ergebnis ihres düsteren Gedankenspiels: eine Collage aus Sofakissen.

Kunst zum Mitnehmen bietet Christiana Strobel. Sie schreibt: "Bevor die Kunst ganz aus unserem Leben verschwindet, nutze die Gelegenheit und sichere Dir ein Stückchen Kunst für zu Hause." (Foto: Christian Endt)

Einen langen schwarzen Tisch mit wild darauf drapierten Blechtellern hat Robert M. Weber zur Ausstellung beigesteuert, er nennt das Ensemble „Fröhliche Urständ“. Wer oder was diese feiert, also unerwarteterweise zurückkehrt, lässt er zwar offen – etwas Positives aber scheint es nicht zu sein. Von der Verlockung, das kreative Ringen aufzugeben und die Kunst zu den Akten zu legen, erzählt Susanne Ebling. Sie nennt ihr Werk, einen von einem Gummi zusammengehaltenen Stapel mit Schwarz bemalter Blätter, schlicht „Schlusspunkt“. Er stehe für den notwendigen Prozess des Ordnens, Aufräumen und Abschließens – „seien es unfertige Werke oder festgefahrene Muster“. Denn nur so könne Raum für Neues entstehen und Mut, Neugierde und vor allem das Vertrauen in die Kraft der Kunst würden neu belebt. „Von wegen letzte Ausstellung.“

Der Fotograf Thomas Hümmler zeigt einen auf einer Säule balancierenden weiblichen Akt – und schreibt dazu, dass er versucht habe, dieses Motiv auch mittels Künstlicher Intelligenz zu generieren. Die Ergebnisse aber seien (Stand heute) enttäuschend gewesen. „KI kann kopieren, nicht kreieren.“ Deswegen bleibe er zuversichtlich. „Kunst ist Geschichte. Kunst ist Augenweide und Schmerz. Kunst schlängelt sich durchs Leben und die Zeit. Kunst hat es schwer“, formuliert Petra Wängler. „Aber Kunst erwacht immer wieder zum Leben. Und bringt Leben ins Leben. Ein Glück.“

Auch der renommierte Fotograf Michael Wesely hat etwas zum "Weihnachtsmarkt" des Kunstvereins beigesteuert: sechs Motive aus Ebersberg - Vergangenheit und Gegenwart in einem Bild. (Foto: Christian Endt)

Und wer nun das dringende Bedürfnis verspüren sollte, die Kunstszene in Ebersberg unterstützen zu wollen, der möge dem ersten Stock der Galerie einen Besuch abstatten. Dort nämlich findet erneut ein etwas anderer Weihnachtsmarkt statt: Unter dem Motto „Kunstsinn“ gibt es dort ausgewählte Werke der Mitglieder zu moderaten Preisen.

Mitgliederausstellung des Kunstvereins Ebersberg in der Alten Brennerei: Vernissage am Freitag, 29. November, um 20 Uhr, geöffnet donnerstags und freitags von 18 bis 20 Uhr, samstags 17 bis 20 Uhr und sonntags 11 bis 13 Uhr. Finissage am Sonntag, 22. Dezember, ab 14 Uhr, Verleihung des Publikumspreises um 17 Uhr, anschließend Weihnachtsfeier mit Feuerschale im Hof. An den Wochenenden findet parallel „Der andere Weihnachtsmarkt“ im Studio an der Rampe statt.

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