Gemeinhin sagt man Künstlern ja nach, ziemlich eigenwillig zu sein. Ganz generell, aber vor allem in Bezug auf ihr Werk. In der Kunst kehren sie ja gewissermaßen ihr Inneres nach außen - da sollte nichts dem Zufall oder gar unkundigen Händen überlassen werden. Beim Ebersberger Kunstverein stellen nun aber zwei Künstler aus, die sich gegenseitig kuratiert haben. Sprich: Der eine hat die Werke des jeweils anderen ausgesucht. So treten Stephan Conrady und Michael Hofstetter in einen äußerst intensiven Dialog miteinander. Bereits 2018 in der Neuen Galerie Landshut haben sie es so gehalten, "aber mittlerweile sind wir etwas weicher geworden, weniger streng", sagt Hofstetter und lächelt Conrady an.
Betitelt haben die Münchner ihre gemeinsame Schau mit der kleinen, aber vielsagenden Silbe "trans", denn es soll um alle möglichen Übergänge, Überschreitungen gehen. Zunächst also einmal die "Transgression des autonomen Künstleregos zum Kollaborateur". Conrady und Hofstetter kennen sich seit Jahrzehnten, sie haben zusammen in den späten achtziger Jahren an der Akademie der Bildenden Künste München Malerei studiert. Conrady bei Rudi Tröger, Hofstetter bei Gerd Winner. Bis heute verstehen sie sich als Komplizen, die sich in ihren Werken beide der grundsätzliche Befragung der Kunst und der Welt verschrieben haben. Was ist Malerei? Und was bestimmt unser Sein? Wo sind die Kippmomente?
Denn eigenwillig sind sie dann doch, diese beiden Männer, und zwar in ihrem zutiefst philosophischen Hinterfragen. Scheinbare Gewissheiten wie Gattungen, Stile, Techniken, Geschlechter oder Werte - die Schönheit etwa: Alles kommt hier auf den Prüfstand, vor allem die "Ränder" werden gerne in den Blick genommen. Hofstetter und Conrady verkünden keine Wahrheiten, sondern vermögen es, sich unermüdlich in der Frage zu halten. Dieser Balanceakt wirkt sich sogar auf den Schaffensprozess selbst aus: Es gibt kein Mit-etwas-fertig-werden, die Werke beider Künstler sind potenziell immer im Fortlauf befindliche Arbeiten. "Man muss ihm die Bilder sogar irgendwann wegnehmen, sonst sehen sie am nächsten Tag wieder ganz anders aus", sagt Hofstetter über seinen Kollegen.
Handwerklich meisterhaft zu Werke zu gehen, ist nicht das Ziel dieser beiden Künstler. "Bei uns ging es eher um das Bad Painting", sagt Hofstetter. Also um die Idee, mit einer schlechten, inkorrekten oder gar abstoßenden Malerei im Endeffekt die Möglichkeiten des Mediums auszudehnen. Diese Versuchsanordnung ist Conrady und Hofstetter seit ihrer gemeinsamen Akademiezeit gemein. Spannende Kontraste bietet die Ausstellung aber auch, und zwar vor allem deshalb, weil die beiden Künstler dem menschlichen Sein auf gegensätzlichen Wegen zu Leibe rücken: Stephan Conrady arbeitet sich an einer ikonografischen Utopie ab, Michael Hofstetter schafft dystopische Collagen, die in erster Linie "unsere Enthausung durch die Medien" versinnbildlichen sollen. Stichwort: Bilderflut.
Dazu arbeite er ausschließlich mit Abfall, sagt Hofstetter selbst. Seine "Edition ego design" etwa habe er aus dem Müll eines Repro-Studios gefischt: Frauenporträts, wie man sie in Modezeitschriften findet, über und über bekritzelt mit Kugelschreiber. Da stehen Befehle wie: "Großporigkeit reduzieren", "Augenfalten raus", "mehr Wimpern", "Lippe begradigen". Dem hat der Künstler nichts hinzuzufügen. Andere Arbeiten entstehen aus Hofstetters eigenen Resten, aus übrig gebliebenen Schablonen, Zeitungsausschnitten, Abfotografiertem, Skizzen, Notizen. All das sortiert er neu und fügt Übermalungen oder Siebdruck hinzu. So führt er dem Betrachter seine Sehnsüchte vor Augen, gerade auch die sexuellen, niederen Instinkte, entwertet, was scheinbar kostbar ist, wertet auf, was scheinbar belanglos ist. Mit Gold- und Silberstift bemalt Hofstetter seine Schmierzettel und verleiht ihnen Titel wie "Pissende Engel" oder "Fick". Immer wiederkehrend sind seine "Shemales", Wesen mit Brüsten und Penis, auch hier Transition also. Spannend ist, dass Hofstetters Zeichnungen eben nicht "fertig" sind, sondern die Übergänge von der Idee in die Realisierung seiner verschiedenen Ausstellungsprojekte zeigen. Wer verstehen will, wie Hofstetters Skulpturen und Objekte entstehen, kann das Buch "Recto Verso" zur Hand nehmen, das wie eine Art Index funktioniert: Es legt offen, aus welchen Skizzen welche Werke entstanden sind. Eine Spurensuche im Kosmos dieses vielseitigen Künstlers.
Conrady hingegen beschränkt sich in dieser Ausstellung auf ein Motiv, das ihn schon lange begleitet, der überwölbende Titel: "Leute in einer Gegend". Die Bilder zeigen eine Art paradiesische, bühnenartige Scholle, ein Stück Urgrund im Nirgendwo, auf dem sich zumeist drei Menschen befinden, ein Mann, eine Frau, ein Kind. Dahinter feine Linien, die sich rechtwinklig kreuzen und an Schiffsmasten erinnern, darüber schweben meist ein, zwei Wolken. Eine Art ontologisches Idealmodell, mit dem Conrady experimentiert, in immer neuen Varianten und Formaten die Grenzen der Malerei auslotet, vor allem durch Reduktion. Oft beschränkt er sich auf Weiß und Schwarz, manchmal kommen bunte Punkte oder Kästchen hinzu. Mal spürt man die Lust an der Figur, mal sind die Menschen eher grob ausgeführt oder gar ganz verschwunden. "Jedes Bild ist anders", sagt Conrady, "und ich sehe immer noch Möglichkeiten".
"Trans": Ausstellung von Stephan Conrady und Michael Hofstetter in der Alten Brennerei, Klosterbauhof Ebersberg, Eröffnung am Freitag, 15. Oktober, um 19 Uhr. Zu sehen bis 7. November, freitags 18 bis 20 Uhr, samstags und sonntags 14 bis 18 Uhr.