Ist er nun gut - oder eher schlecht, der "Stand der Dinge"? Darauf gibt die gleichnamige Schau beim Kunstverein Ebersberg freilich keine eindeutige Antwort. Viel zu divers sind die Interpretationen der Künstlerinnen und Künstler - beziehungsweise ihre Werke, die eine Jury ausgewählt hat. Fest steht aber: Diese Jahresausstellung selbst ist sehr gut, also absolut sehenswert, gerade ob der Vieldeutigkeit, in der die Exponate um das diesjährige Thema, den "Stand der Dinge", kreisen.
Die Resonanz war bemerkenswert - vermutlich wegen Corona, aber nicht nur
Gut 300 Künstler und Künstlerinnen aus ganz Deutschland haben sich diesmal für die Jahresausstellung beworben - eine höchst bemerkenswerte Resonanz also. Diese könnte zum einen freilich der Pandemie geschuldet sein, denn die Ebersberger Ausschreibung für 2022 war eine von sehr, sehr wenigen. Zum anderen aber gewinnt der Kunstverein in den vergangenen Jahren immer mehr an Renommee, nicht zuletzt wegen seiner "Arkadien"-Festivals. "Dadurch sind viele auf uns aufmerksam geworden und haben gemerkt, dass wir, obwohl wir klein sind, ein tolles, überregionales Programm bieten", erklärt die Moosacher Malerin Maja Ott, die zusammen mit ihrem Mann, Bildhauer Hubert Maier, und der Malerin Angelika Ödingen aus Glonn die Organisation der Jahresausstellung übernommen hat. Allerdings seien die administrativen Folgen dieser gesteigerten Reichweite erheblich, weswegen es neue Strategien brauche, um diese auch auf Dauer bewältigen zu können, sagt Ödingen. "Fest steht zum Beispiel schon, dass wir von einer postalischen auf eine digitale Einreichung umstellen werden, was auch für die Künstler etwas weniger Aufwand und Kosten bedeutet."

52 aus den 307 Bewerberinnen und Bewerbern hat die Jury letztlich für die Ausstellung ausgewählt - was eine erfreulich luftige Hängung in der Alten Brennerei zur Folge hat. "Die Künstler kommen aus Leipzig, Hamburg, Berlin, und es sind viele neue Namen dabei", freut sich Ott. Aber auch eine Handvoll Mitglieder des Kunstvereins wurden von den Juroren auserkoren - in einem anonymen Verfahren, versteht sich. Die Herausforderungen, aus all den Einreichungen ein stimmiges Ausstellungskonzept zu entwickeln, lag heuer in den Händen von Gabi Blum, Gisela Heide, Georg Küttinger, Andreas Mitterer und Gregor Passens. Und es ist ihnen gelungen, die Galerie nach erkennbaren Schwerpunkten zu bestücken: Die Säulenhalle zeigt diverse möbelartige Kunst, der Oberlichtraum ist vor allem der Bildhauerei und Objekten gewidmet, der Westraum beherbergt in erster Linie Malerei. Nur in der Galerie im ersten Stock begegnet der Betrachter allen Spielarten der bildenden Kunst bunt gemischt.
Die künstlerischen Positionen sind so vielfältig wie das individuelle Empfinden
Das vorherrschende Thema der Jahresausstellung ist, kein Wunder, die Pandemie. Wer dächte beim "Stand der Dinge" nicht sofort an Corona? Die künstlerischen Positionen dazu allerdings sind so vielfältig wie das individuelle Empfinden. Da gibt es jene Werke, denen die Verzweiflung, die Isolation und Co. mit sich bringen, deutlich anzumerken ist. Ralf Bittner zum Beispiel hat einen Schrank zusammengezimmert und in eine winzige Kammer transformiert. Eine Schreibmaschine, ein paar Bücher, einen Wecker - mehr gibt es darin nicht. Oder das Video von Jihye Kim: Es zeigt die Künstlerin auf einer Schaukel sitzend, eingehüllt in Unmengen von schwarzem Tüll. Leicht hin und her pendelnd verliert sich die Frau so in einem schwarzen Loch, das so gar nicht zu der alltäglichen Szenerie eines Innenhofs passen mag. Bedrückend wirken auch die "Pausenräume" von Sebastian Kiss: diverse Schwarz-Weiß-Fotos von Orten, an denen Schüler oder Angestellte eigentlich miteinander essen, sich ausruhen oder Kicker spielen. Doch die Räume sind alle menschenleer, Begegnungen finden hier nicht (mehr) statt. Ganz eindeutig ist der pandemische Bezug eines Porträts von Elisabeth Krampitz: In bester klassizistischer Manier zeigt es eine Pflegerin im OP-Kittel, mit Maske unter dem Kinn und tiefer Trauer im Blick. "Angewohnheit" lautet der Titel des kleinen Ölgemäldes.

Auf der anderen Seite finden sich in der Ausstellung viele Arbeiten, die dem Thema Corona durchaus etwas Positives, vielleicht sogar Heiteres abgewinnen. Gleich über dem Eingang prangt zum Beispiel eine Neonleuchtschrift von Asja Schubert: "Große Pause" ruft sie dem Besucher fröhlich entgegen. Michael von Brentano hingegen verrät, welche Dinge ihm derzeit wichtig sind. Dafür hat er extra eine Museumsvitrine herangeschafft - und befüllt mit einem bunten Sammelsurium, von einer Wolldecke über einen Schlauch bis hin zum Knochen, so dass dieser Schaukasten irgendwo zwischen Grusel und Belustigung changiert. Fabian Vogl hingegen zeigt, welch überbordende Kreativität der Lockdown zur Folge haben kann: In einer Art Setzkasten hat der Künstler allerhand possierliche Figürchen platziert, geschaffen aus so alltäglichen Dingen wie Erdnussflips, Erbsen, Münzen oder Kronkorken. Immer wieder beleuchtet wird auch das Thema "Fenster", dem in der Quarantäne als Verbindung zum Draußen ja besondere Bedeutung zukommt. Maximilian Schröder etwa hat einfach eine Jalousie an die Wand gehängt - und deren Lamellen an einer Stelle etwas auseinander gezogen. Der Titel der Arbeit lautet "uneasy thinking". Noch konkreter wird's bei Claudia Grande: "Wieder meine Nachbarn bespitzeln" nennt sie ihr Polaroid, das eine Frau am Fenster zeigt. Ganz aufs Grafische reduziert hingegen ist das Motiv bei Anna Kiiskinen: Sie hat "bayerische Gardinen" gemalt, sechs Variationen bürgerlicher Spießigkeit, gebannt auf altes Leinen.

Wie viel Einfluss hatte die Pandemie? Viele Werke lassen sich so oder so interpretieren
Oder hat das alles gar nichts mit Corona zu tun? Klar, viele der Werke lassen sich so oder so interpretieren, eindeutig kommen nur wenige daher. Hatte Loreen Fritsch wirklich jene pandemische Bürokratie im Sinn, die uns seit zwei Jahren quält, als sie Hunderte Male das §-Zeichen drückte? Ihre Schreibmaschinenzeichnung mit dem Titel "Organisches XV" jedenfalls besteht aus unzähligen kleinen, roten Paragrafen, zusammen ergeben sie ein rätselhaftes Gebilde, das an ein Herz erinnert, oder an einen Mund. Oder die Lidl-Tüte in Öl: Hat Katja Triol, als sie diese malte, daran gedacht, dass die Jagd nach "Schnäppchen" im Corona-Alltag zum Highlight werden kann? Und wie steht es um ein in Kerzenwachs erstarrtes Metronom, Sinnbild für eine zum Erliegen gekommene Zeit? Kann man bei diesem herrlichen Foto mit dem Titel "Resting Pieces" von Matthias Ströckel nicht an die Pandemie denken?

Andererseits haben freilich viele Künstler die Chance genutzt, ihren "Stand der Dinge" im Sinne von aktuellen Arbeiten zu zeigen, Corona hin oder her. Da gibt es zum Beispiel ein Minispiegelkabinett von Michaela Masuhr, da kann man den Kopf hineinstecken und sich in einem scheinbar unendlichem Raum verlieren. Einen "Wolf zum Heulen" hat Tanja Fender beigesteuert, eine beeindruckende, lebensgroße Figur, geschaffen aus Gips, Schaumstoff, Silikon und Kunststofffell. Großes handwerkliches Geschick mit einer tollen Idee verbindet auch eine Holzskulptur von Thomas Breitenfeld: Aus vielen ineinandergesteckten und mit unzähligen Zahnstochern befestigten Teilen hat er eine Figur der Kontraste geschaffen, zugleich weich und starr, sanft und wehrhaft. Krasse Gegensätze vereint aber auch eine Skulptur von Sonja Keppler: Die archaisch anmutende Figur, eine Art Fruchtbarkeitsgöttin, ist geschmückt mit allerhand bunten Perlen - technischen Ursprungs. In das Objekt aus Draht und Papiermasse wurden zahllose Widerstände und Kondensatoren eingearbeitet. Die Technik beziehungsweise Digitalisierung greifen auch zwei andere Arbeiten auf. Den Titel "Es könnte noch nützlich werden" trägt ein ungewöhnliches Beil von Adam Cmiel: Hier ist an einem Stock per Kabel ein völlig zerstörtes Handy befestigt. Und Christian Trzaska arbeitet gleich mit Öl auf smarter Technik: Auf drei ebenfalls kaputte Telefone hat er jeweils ein Frauenporträt gemalt. Instagram und Co. lassen grüßen.

Ja, die Exponate dieser bemerkenswerten Ausstellung laden zur Zwiesprache ein. Über den Stand der Dinge - und vieles andere. Das ist zeitgenössische Kunst in Bestform.
Jahresausstellung des Ebersberger Kunstvereins in der Galerie "Alte Brennerei" im Klosterbauhof, Eröffnung mit Verleihung des Kunstpreises des Landkreises am Freitag, 25. Februar, um 19 Uhr. Finissage mit Künstlergespräch am Sonntag, 20. März, um 16 Uhr. Öffnungszeiten: freitags 18 bis 20 Uhr, samstags und sonntags 14 bis 18 Uhr. Weitere Infos: https://www.kunstvereinebersberg.de/