Wer die neue Ausstellung beim Ebersberger Kunstverein besucht, sollte keinen bunten Zirkus erwarten, sondern das Gegenteil. Diese Schau von Esther und Peter Zahel nämlich ist in ihrer Form äußerst minimalistisch, inhaltlich jedoch von großer Tiefe. Sie bietet keine oberflächliche Unterhaltung, ist vielmehr eine Einladung, das Dargestellte und seine komplexen Zusammenhänge zu ergründen und in einen Dialog zu gehen. Mit der Kunst, dem Leben und vielleicht sogar mit anderen Betrachtern.
Esther und Peter Zahel, der Name legt es nahe, sind ein Paar. Sie stammt ursprünglich aus Hanau, er aus Brandenburg. Kennengelernt haben sich die beiden an der Kunstakademie in München, heute leben und arbeiten sie in Augsburg. Er kommt eigentlich von der Fotografie, sie von der Malerei, doch beide unternehmen auch gerne Ausflüge in die Welt der Installationen und Objekte. „Da wir uns ein Atelier teilen, tauschen wir uns natürlich immer viel über unsere Ideen aus“, erzählt Peter Zahel. Doch die ganz explizit gemeinsame Ausstellung in Ebersberg sei nun eine Premiere. Und damit auch ein Experiment.
Die Eröffnung findet statt am Freitag, 13. September, um 19 Uhr, zu sehen gibt es Bilder und Objekte. Allerdings nicht allzu viele davon. Die Alte Brennerei sei ja ein per se sehr stark wirkender Raum, der nicht jede Arbeit annehme, erklärt Peter Zahel. „Diese Galerie ist alles andere als ein White Cube“. Deswegen hätten er und seine Frau Esther versucht, sich dem historischen Gemäuer anzupassen, hier sei Zurückhaltung gefragt. In diesem Sinne hätten sie entschieden, diesmal „völlig unbunt“ zu arbeiten und sich auf das Material zu fokussieren.
Diese Reduktion allerdings bedeutet keineswegs, dass diese Schau kein Konzept hätte, ganz im Gegenteil. Überschrieben ist sie mit einem Zitat, das bereits erahnen lässt, dass es hier um existenzielle, metaphysische Fragen gehen soll: „Die Eule sprach: Wo das Licht aufhört, ist der Anfang des Kreises“. Esther und Peter Zahel beschäftigen sich mit dem Ursprung des menschlichen Daseins und mit seiner Fragilität, mit der Flüchtigkeit aller Ideen, mit der zunehmenden Entfremdung von der Natur und der immensen Abhängigkeit von moderner Technik. Entsprechend archaisch sind die wiederkehrenden Materialien: rohes Baumwollgewebe, Kohle und Flusssteine.
Eine starke Verbindung zwischen dem Schaffen der beiden bildet die Architektur. Peter Zahel fotografiert ebendiese, Esther Zahel beschäftigt sich oft mit dem Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit in einem Zuhause. Und so ist der Raum auch in der Ebersberger Ausstellung ein dominantes Motiv. Es wird quasi durchdekliniert in allen möglichen Spielarten.
Im ersten Raum wird der Betrachter von sieben kleineren Kohlezeichnungen empfangen, die fragile, käfigartige Gebilde zeigen. Sie wirken wie flüchtige Einfälle, die jederzeit verschwinden könnten. In der Mitte dann hängt ein ebenso fragil erscheinendes Objekt aus Papier, das an einen großen Kokon erinnert. Ein Schutzraum, der Verwandlung ermöglicht?
Einen kleinen Nebenraum nennen Esther und Peter Zahel schlicht „Kapelle“: Auf einem an der Wand hängenden Smartphone sieht man das Video einer brennenden Kerze. Ansonsten ist der Raum leer und dunkel. „So ergibt sich quasi automatisch die Assoziation zum Sakralen, nur dass an die Stelle des Altars hier das Mobiltelefon tritt, auf das wir täglich blicken“, erklärt Peter Zahel. So erhält dieser scheinbar meditative Zufluchtsort eine durchaus kritische Note.
Die absurde Abhängigkeit des Individuums von moderner Technologie und die Entfremdung von seinen Ursprüngen thematisiert auch eine weitere Arbeit: ein „Fake-Feuer“. Denn in diesem Kreis aus Steinen lodern mitnichten echte Flammen, sondern LED-Leuchten. „Trotzdem empfinde ich es als gemütlich, danebenzusitzen“, sagt Peter Zahel, „und muss dann immer schmunzeln“. Und auch hier geht es wieder um Fragilität: Die Steine, gesammelt am Lech, sind durchnummeriert: „eines der menschlichen Systeme, die bei dem Versuch entstanden sind, die Kontrolle über die Welt und die eigene Existenz zu erlangen beziehungsweise zu behalten“.
Weiter geht es mit großformatigen Kohlezeichnungen, die Haus-artige Strukturen zeigen. Diese turmartigen Gebäude aber scheinen – weil hingeworfen mit schnellem Strich – weder aus Stein noch aus Holz, sondern vielmehr aus zerbrechlichen, flüchtigen Ideen erbaut zu sein. Die verschiedenen Ebenen sind verbunden durch dünne Leitern, schwankende Stege oder hängende Brücken, auch die Fundamente wirken höchst instabil.
Diese Zeichnungen wollten auch auf die Illusion von menschlichem Wissen hinweisen, erklärt Peter Zahel. Alle Gedanken seien schließlich nur vage Verknüpfungen, die sich permanent gegen den Wind der Zeit zu stellen versuchten, was ihnen unterschiedlich gut gelinge. „Wir streben nach universellem Verständnis, müssen jedoch akzeptieren, dass vieles außerhalb unserer Kontrolle liegt.“
Um den „Ursprung im Dunkeln“ geht es schließlich im letzten Raum. Dort steht ein großes Zelt – sonst nichts. Der Schutzraum ist gefertigt aus dem gleichen Baumwollgewebe, auf dem auch die Haus-Bilder gezeichnet sind, und wurde, wie der Papier-Kokon im ersten Raum, mit roten Schnüren und Steinen befestigt. Auch die Kohle als ursprüngliches Zeichengerät, als eine Art „schöpferische Ursuppe“, taucht wieder auf: Im Inneren des Zeltes steht ein Text geschrieben, der sich spiralförmig um den Mittelpunkt windet. „Diese Struktur symbolisiert den Zyklus von Lernen und Wachsen, wobei jede Umdrehung der Spirale neue Einsichten bietet“, so die Interpretation des Künstlerpaares.
Wer versucht, die fein säuberliche Schrift zu lesen, dem droht allerdings erstmal ein Schwindelgefühl. Erstens, weil eine ständige Drehung um die eigene Achse notwendig ist, zweitens, weil der Text alles andere als leicht verständlich daherkommt. Es handelt sich dabei um einen Schöpfungsmythos, der die Beziehung zwischen Licht und Dunkelheit sowie die Begegnung von Anfang und Ende thematisiert – und die Zahels schon lange fasziniert.
Das Künstlerpaar hat den Schöpfungsmythos neu fortgeschrieben – mittels KI
„Wir haben damit beide sofort wahnsinnig resoniert.“ Zwar werde die Authentizität und Bedeutung dieser okkulten Schrift immer wieder stark angezweifelt, doch gerade der Dialog mit den Eulen sei sehr mystisch, reichhaltig und harmonisch. „Und dort, wo das Original plötzlich ins Dystopische abdriftet, haben wir eine neue, positive Fortschreibung geschaffen“, erzählt Peter Zahel. Genutzt hätten sie dafür: eine KI. „Das passt unserer Meinung nach sehr gut zusammen, denn auch bei diesen Programmen sind die Quellen ja nicht gut nachvollziehbar.“
Die Zelt-Schrift-Installation also ist und bleibt ein Rätsel. Jeder muss selbst entscheiden: Fühlt er sich damit und darin wohl? Will er daran glauben, dass alles im Licht beginnt, das Dunkel durchwandert und schließlich zum Licht zurückkehrt? Oder ist das esoterischer Humbug? Ganz generell gibt es in dieser Ausstellung mehr Fragen als Antworten. Sie ist ein Appell, selbst in die Tiefe zu fühlen und zu denken.
Ausstellung von Esther und Peter Zahel: „Die Eule sprach: Wo das Licht aufhört, ist der Anfang des Kreises“ in der Alten Brennerei im Klosterbauhof Ebersberg. Vernissage am Freitag, 13. September, um 19 Uhr, Finissage am Sonntag, 6. Oktober, um 11 Uhr. Geöffnet donnerstags und freitags von 18 bis 20 Uhr, samstags von 17 bis 20 Uhr sowie sonntags von 11 bis 13 Uhr.