Ausstellung im nördlichen Landkreis:Kunst er-fahren

Ausstellung im nördlichen Landkreis: Um Begegnungen geht es aktuell in der Kunst von Maria Heller aus Markt Schwaben - aber auch generell bei den offenen Ateliers der Gruppe "Kunststoff".

Um Begegnungen geht es aktuell in der Kunst von Maria Heller aus Markt Schwaben - aber auch generell bei den offenen Ateliers der Gruppe "Kunststoff".

(Foto: Veranstalter)

Bereits zum zehnten Mal zeigen die Mitglieder der Gruppe "Kunststoff" plus Gastkünstler, woran sie gerade arbeiten. Die Ateliers sind verteilt über vier Gemeinden - ideal für eine Radltour mit mehreren Stopps.

Von Michaela Pelz, Poing

Um Kunst zu genießen, besucht man ein Museum. Geht in eine Galerie. Blättert durch einen Katalog. Viel besser allerdings ist der Blick in ein echtes Atelier, am besten inklusive Künstlergespräch. Genau diese Gelegenheit bietet die Gruppe Kunststoff, die am kommenden Wochenende zum nunmehr zehnten Mal ihre Werkstätten öffnet. An fünf Orten zeigen Mitglieder plus Gastkünstler, insgesamt 16 Kreative, ihre Arbeiten - Gemälde, Fotografien und Skulpturen.

2011 begannen Inge Schmidt und Rosemarie Hingerl, ihre Fühler auszustrecken

Der Wunsch, mit einer jährlichen Veranstaltung genau diese Bandbreite abzudecken, war der Grund, warum Inge Schmidt und Rosemarie Hingerl 2011 begannen, für ein Ausstellungskollektiv ihre Fühler nach Kolleginnen und Kollegen im nördlichen Landkreis Ebersberg auszustrecken. Schmidt erinnert sich: "Wir wollten auf jeden Fall in Parsdorf, Anzing, Poing und Markt Schwaben präsent sein." Schon damals war der Grundgedanke, Interessierte könnten die Besichtigung mit einer kleinen Ausflugstour verbinden. Rund 17 Kilometer sind es nun, die es zwischen den Ateliers in den vier Gemeinden zurückzulegen gilt. Und vielleicht wäre es gar keine schlechte Idee, dies per Rad zu tun, um die Eindrücke zwischendrin an der frischen Luft nachwirken zu lassen.

Ausstellung im nördlichen Landkreis: Bjarne Geiges, Fotograf aus München, möchte "eine eigene Geschichte über das Sichtbare hinaus erzählen".

Bjarne Geiges, Fotograf aus München, möchte "eine eigene Geschichte über das Sichtbare hinaus erzählen".

(Foto: Veranstalter)

Etwa nach den von Maria Heller in Szene gesetzten "Begegnungen". Ursprünglich wollte sie sich mit zwischenmenschlichen Aspekten rund um die Pandemie beschäftigen, doch das Geschehen in der Ukraine hat auch Einfluss auf ihre Skulpturen genommen. "Die täglichen Nachrichten von Flucht und Krieg steuern meine Hände auf ganz andere Weise, als ursprünglich beabsichtigt. Es sind Begegnungen mit Schicksalen, wie wir sie uns nicht vorstellen wollten." Indem sie Menschen auf der Flucht modelliere, könne sie die Situation im wörtlichen Sinne besser begreifen. Auch ihr Ateliergast Bjarne Geiges nutzt seine Kamera, um sich mit dem Thema Begegnungen auseinanderzusetzen. So finden sich auf seinen kleinformatigen Aufnahmen diverse schwarz-weiße Variationen - von Vertrautem, über den Konflikt bis hin zur Selbstreflexion.

Ebenfalls in Markt Schwaben befindet sich das Atelier von Ottilie Gaigl und ihrem Lebensgefährten Günter Zozmann. Mit der Kamera fängt er Momentaufnahmen ein und ergänzt diese durch Medienberichte, Song- oder eigene Texte. "Das Wesentliche davon versuche ich dann in meinen Arbeiten umzusetzen." Von beklemmender Aktualität ist das, was Gaigl zeigt - obschon die experimentell-fotografische Arbeit "Ruinen" aus dem Jahr 2014 stammt. Basis des großformatigen Werks sind verfremdete Aufnahmen vertrockneter Pflanzen. "Damals dachte ich an in der Wüste verschüttete, zerfallene archäologische Funde einer frühen Ansiedelung. Jetzt haben sie mich an die verwüsteten Städte in der Ukraine erinnert."

Ausstellung im nördlichen Landkreis: Trio in Parsdorf: Von Ulrike Pfeiffer stammen die großen Bilder, dazu kommen fragile Keramikgefäße von Claudia Sach und Schaumstoffarbeiten von Christine Rath.

Trio in Parsdorf: Von Ulrike Pfeiffer stammen die großen Bilder, dazu kommen fragile Keramikgefäße von Claudia Sach und Schaumstoffarbeiten von Christine Rath.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Weiter geht es nach Parsdorf. Dort hat Ulrike Pfeiffer in ihre neu renovierten Stadlräume zwei frühere Kommilitoninnen eingeladen, Christine Rath und Claudia Sack. Ganz bewusst präsentieren die drei ihre Werke nicht getrennt voneinander. So ist der Betrachter aufgefordert, selbst Zusammenhänge zwischen den Bildern, Ton-Objekten und Reliefs herzustellen, Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten zu entdecken.

Auch im Rathaus Anzing gibt es allerhand Unerwartetes. Denn dort finden sich nicht nur Keramiken und Auszüge aus den Skizzenbüchern von Siegfried Horst mit Portraits, Landschaften, surrealen Szenen und Tieren. Sondern auch geheimnisvolle Botschaften, die Norbert Haberkorn entlang der S-Bahn-Strecke von Poing nach München per Kamera festgehalten hat. Seit 2008 läuft sein fotosoziologisches Projekt "S2_Life in Transit", eine Fotoserie widmet sich Graffitis, die sich am Roman "1984" von George Orwell orientieren. Die aktuelle Fortsetzung davon enthält sieben neue Pieces, entdeckt während der Fahrt, durch "waches Hinausschauen oder per Zufall".

Ausstellung im nördlichen Landkreis: Keramik und Malerei vereint Siegfried Horst im Anzinger Rathaus.

Keramik und Malerei vereint Siegfried Horst im Anzinger Rathaus.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Beides - einen aktiven Blick und den Zufall - bringt auch Peter Böhm mit ins Rathaus. Seine "Zeigung" umfasst Funde von der Straße, alte Zigarettenschachteln ebenso wie überfahrene Blechdosen, aber auch "Kritzlmal"-Bilder, deren Ursprung die von Böhm erfundene "Vulc-Art" ist. Vor etwa 22 Jahren entdeckte der gelernte Schreiner in einer Gummifabrik, dass man aus den Überschussgebilden der Produktion eine Art Holzschnitt anfertigen kann. Seine Kunst aus Abfall, ein Plädoyer gegen die Wegwerfgesellschaft, und viele Anregungen, um selbst aktiv zu werden, präsentiert Böhm den Schulklassen, die sich für den Montag angekündigt haben, an dem die Tür aber allen Interessierten offensteht. Auf diese freut sich auch Johannes Mayrhofer. Der Maler, Illustrator und Dozent hat sich vorgenommen, Experimente mit Schattenwürfen zu zeigen, mit grafischen Mitteln auf Papier. So will er Anregungen zum Ausprobieren geben.

Die Konfrontation mit dem Betrachter kostet so manchen Künstler auch Überwindung

Seit dem ersten Auftritt der Gruppe Kunststoff 2013 hat sich deren Zusammensetzung durch einige Wechsel zwar geringfügig verändert. Nach wie vor besteht sie jedoch aus etwa einem Dutzend Kreativer, und soll auch bewusst nicht größer werden, Gastkünstler allerdings sind stets gerne gesehen. Besonders genießt man das Öffnen der Ateliers, denn das schafft große Nähe zum Publikum. Überwindung kostet es manche trotzdem. "Wenn man seine Arbeiten in einer Ausstellung alleine lässt, kann man die Konfrontation mit dem Betrachter umgehen," erklärt Ottilie Gaigl. Bei den Kunststoff-Tagen allerdings habe sie überwiegend fruchtbare Gespräche erlebt - und sei dadurch auch angeregt worden, Dinge weiterzudenken.

Ausstellung im nördlichen Landkreis: Niemand soll Angst haben, über ihre Schwelle zu treten: Conni Propstmeier, Rosemarie Hingerl, Conny Boy und Inge Schmidt vom Atelier Osterfeld in Poing.

Niemand soll Angst haben, über ihre Schwelle zu treten: Conni Propstmeier, Rosemarie Hingerl, Conny Boy und Inge Schmidt vom Atelier Osterfeld in Poing.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Uns tut es gleichermaßen gut, uns mitzuteilen und über unsere Arbeit philosophieren zu können", sagt Inge Schmidt. Sie betont, man wolle ausdrücklich keine Galerie-, sondern vielmehr Werkstattatmosphäre produzieren, um "auch Leuten, die mit Kunst nix am Hut haben," ihre Schwellenängste zu nehmen. Wenn das klappt, winkt im Atelier im Osterfeld eine Begegnung mit dem Barberinischen Faun, einem von Schmidts Lieblingssujets, dem sie diesmal ein ungewöhnliches Setting verpasst hat. Daneben warten Blumen, Gärten, Wiesen und Natur von Rosemarie Hingerl, die damit "in diesen schwierigen Zeiten ein gutes Gefühl weitergeben" möchte. Conny Boy wiederum hat sich von einem "beeindruckenden TV-Beitrag über Gerhard Richter" inspirieren lassen, während Cornelia Propstmeier eine Serie von Phantasielandschaften darbietet, die sie "Horizonte" nennt. Auch sie sollen Gelegenheit geben, von schönen Dingen zu träumen oder Ruhe zu finden.

Ausstellung im nördlichen Landkreis: Conny Boy hat sich zuletzt von der Malerei Gerhard Richters inspirieren lassen.

Conny Boy hat sich zuletzt von der Malerei Gerhard Richters inspirieren lassen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Gast der "Damen im Atelier im Osterfeld" ist diesmal Stefan Pillokat. Der Markt Schwabener hat sich ohne Plan auf das Thema "Stein und Holz" eingelassen - und dabei selbst überrascht. Verwendet habe er nur komplett unbearbeitete Steine, "so, wie sie die Natur liefert." "Das, was ich aus dem Holz herausarbeite, richte ich dann für den Stein so ein, dass er hineinpasst, dass er dort einen Sitz, ein Heim, ein Plätzchen findet. Dieses Zusammenführen ist, was mich am meisten reizt."

Ausstellung im nördlichen Landkreis: Ein Plätzchen für den Stein schafft Stefan Pillokat aus Markt Schwaben.

Ein Plätzchen für den Stein schafft Stefan Pillokat aus Markt Schwaben.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Viel hat die Gruppe Kunststoff auf die Beine gestellt in der vergangenen Dekade: Jedes Jahr zu den offenen Ateliers eine Broschüre als Sammlerstück (manche sogar vergriffen), eine Schaufenster-Schau im Lockdown, eine Onlinegalerie mit wechselnden Künstlern. Doch das Wichtigste für alle Beteiligten sind die oft originellen und berührenden Begegnungen mit ihren bis zu 600 Besucherinnen und Besuchern. Selbst wenn sie, im Gegensatz zu einem Künstlerfreund und Stammgast namens Roland Dittel, ohne ein selbstgebasteltes Geschenk erscheinen.

"Kunststoff": Samstag, 21. Mai, und Sonntag, 22. Mai, jeweils 14 bis 19 Uhr. Montag, 23. Mai, nur Rathaus Anzing, 8 bis 12.30 Uhr. Infos zu den Mitwirkenden und ihre Standorte finden sich in der aktuellen Broschüre.

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