Süddeutsche Zeitung

Kunstförderung im Fokus:Bildgewaltiger Rückblick

Seit Bestehen des AK 68 kauft die Stadt Wasserburg Werke aus seiner Großen Kunstausstellung. Im Ganserhaus ist nun erstmals ein großer Teil dieser Sammlung zu sehen

Von Johanna Feckl

Alle Besucher der Ausstellung des Wasserburger Kunstvereins AK 68 müssen auf den Strich gehen. Hoppla - hat der AK 68 eine neue Nische für sich entdeckt? "Sex sells", oder wie? Nein, mitnichten, die zweite Vereinsvorsitzende Katrin Meindl hat sich nur einen Spaß erlaubt: Das Publikum im vollbesetzten Ganserhaus soll auf natürlich auf "dem" Strich gehen, auf einem Klebeband auf dem Boden. Denn dieses markiert einen Zeitstrahl, der durch die aktuelle Ausstellung führt, durch die vergangenen 50 Jahre, in denen die Stadt Wasserburg Werke aus den Jahresausstellungen des Vereins angekauft hat. Der Titel der aktuellen Schau: "Die Kommission hat entschieden".

Mit der am Wochenende eröffneten Ausstellung gibt der AK 68 ein letztes Mal einen Rückblick auf das vergangenen halbe Jahrzehnt - 2018 war Jubiläumsjahr, der Wasserburger Kunstverein wurde 50 Jahre alt. Seit 1968, also von Beginn an, gibt es die jährliche Große Kunstausstellung, die im Ganserhaus, im Stadtmuseum und im Rathaus viel zeitgenössische Kunst zeigt. Und ebenfalls von Beginn an kauft die Stadt Wasserburg in jedem Jahr bei dieser Jahresausstellung ein paar Werke. Da ist einiges zusammengekommen, 96 Exponate, um genau zu sein. 46 davon kann man nun im Ganserhaus bewundern.

Zur Vernissage hatte der Kunstverein Wasserburgs Bürgermeister Michael Kölbl zum Gespräch gebeten, um mit ihm darüber zu sprechen, wie diese städtische Sammlung, von deren Existenz viele Bürger wohl bislang gar nichts ahnten, überhaupt zustande gekommen ist. Gibt es tatsächlich eine Kommission, die darüber entscheidet, welche Kunstwerke die Stadt sich anschafft? Nein, antwortet Kölbl. Wobei er mit seinen weiteren Worten eigentlich doch das beschreibt, was man zumindest als inoffizielle Kommission bezeichnen könnte: Der Haushalt der Stadt sieht jedes Jahr einen Etat von 5000 Euro vor, um bei der Großen Kunstausstellung einzukaufen. Von verschiedenen Seiten, zum Beispiel vom Stadtmuseum, Kulturreferat oder manchmal auch vom Stadtarchiv, erreichen Kölbl diesbezüglich Vorschläge und Wünsche. Letztlich entscheidet dann aber er als Stadtoberhaupt. Gab es denn schon einmal Streit um eine Anschaffung? Nein, sagt Kölbl. Also herrsche immer Einigkeit? Das nun auch wieder nicht. Der AK 68 sei in jedem Fall wichtig für Wasserburg, betont Kölbl. Weshalb das so ist, erklärt er allerdings nicht.

Der Grund wird aber klar, wenn man durch die Ausstellung spaziert. Bei einer solchen Vielfalt an Kunstwerken ist es eine pure Freude, auf dem Strich zu laufen. Da ist zum Beispiel der quaderförmige Stahlklotz "Relief (Nr. 26)" von Erich Hauser, den die Stadt 1997 erwarb. Zwei sich kreuzende Schnitte durchlaufen den Stahl, dort wölbt sich das Material nach außen, so als ob eine Windböe von hinten gegen die Skulptur blasen würde. Ein paar Jahre später, 2004, findet sich ein Bild des Wasserburger Künstlers Rainer Devens. Es hätte auch perfekt in seine Ausstellung "Haus und Stadt" gepasst, dass das Stadtmuseum vor zwei Jahren zeigte: Ein rotflächiges Bild, knallend, provokant. Erst auf den zweiten Blick heben sich Umrisse eines Hauses in einem etwas dunkleren Rot ab. Das Zusammenspiel der inoffiziellen Kommission, die über die Ankäufe der Stadt entscheidet, ist offenbar ein sehr gutes, wenn dabei die Wahl auf solche Werke fällt.

So ganz stimmt es aber gar nicht, wenn man behauptet, die Stadt Wasserburg kaufe seit 50 Jahren bei jeder Großen Kunstausstellung ein. Insgesamt 18 Jahre gibt es, zwischen 1970 und 1980 und dann noch einmal zwischen 1985 und 1991, in denen die Stadt so etwas wie ein Kunstbanause war und nichts erwarb. Warum? Leider weiß das auch Kölbl nicht. Die beiden Zeitspannen lagen vor seiner Amtszeit - der SPD-Politiker ist seit 2002 Bürgermeister. Anhand alter Haushaltsakten im Rathaus hätten seine Mitarbeiter nicht nachvollziehen können, weshalb die Stadt und die Große Kunstausstellung in diesen Jahren nicht miteinander wollten. Persönlich bei seinen Vorgängern nachfragen konnte Kölbl auch nicht, denn beide sind mittlerweile verstorben.

Eines der Werke, das während Kölbls bisheriger Amtszeit, nämlich 2009, seinen Weg in die städtische Sammlung gefunden hat, ist Ina Rall-Sichelschmidts Collage "Großkopferte und Kleinkopferte". Das großformatige Bild ist von großem haptischem Reiz, denn es besteht aus vielen kleinen Papierknäueln: Schnippsel aus Zeitungen und Magazinen, auf denen Köpfe zu sehen sind, wurden zu Kugeln zusammengeknüllt. Genau so, dass jedes Knöllchen einen Kopf zeigt. Dann hat die Künstlerin einen Knöllchenkopf neben dem anderen festgeklebt. Überwiegend blickt man in weiße Gesichter. Fast nur weiße Männergesichter. Nur bei einigen wenigen Köpfen ist durch das Geknülltsein nicht eindeutig zu erkennen, ob es sich tatsächlich um einen Mann handelt. Die Art, wie Rall-Sichelschmidt die Porträts drapiert hat, lässt die Gesichter jedenfalls zu Fratzen werden. Furchteinflößend.

Wie wäre es eigentlich, wenn es in Wasserburg demnächst eine Kunsthalle gäbe, in der all die städtischen Ankäufe aus der Großen Jahresausstellung dauerhaft öffentlich anzusehen wären?, will Katrin Meindl vom Bürgermeister wissen. "Es gibt ja faktisch eine Dauerausstellung", entgegnet Kölbl auf den Vorschlag. "Nur eben nicht in einem einzigen Raum." Dann erklärt der Bürgermeister, dass in den Räumen aller Gebäude, die der Stadt gehören, viele der Bilder und Skulpturen zu sehen sind. Also: Beim nächsten Behördengang einfach die Warterei nicht mit Jammern ob der verlorenen Zeit vertun, sondern mit Kunstanschauen. Oder gleich die Ausstellung im Ganserhaus besuchen.

"50 Jahre Ankäufe der Stadt Wasserburg - Die Kommission hat entschieden" bis 6. Januar in der Galerie im Ganserhaus, Schmidzeile 8 in Wasserburg, immer donnerstags bis sonntags, 13 bis 18 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 13.12.2018
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