Süddeutsche Zeitung

Kunst:Die Aura des Einzigartigen

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In der Ausstellung "all natural" in der SZ-Galerie zeigen Schüler des Gymnasiums Grafing ihre Holzdrucke. Herausgekommen sind knallbunte und intensive Farb- und Formstudien

Von Franziska Langhammer, Ebersberg

Walter Benjamin wäre wohl hellauf begeistert gewesen. In einem berühmten Aufsatz beklagt der Philosoph und Schriftsteller, mit der Reproduktion von Kunstwerken ginge deren Aura verloren. Eine massenhafte Vervielfältigung jedoch schließt das Medium, das die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Grafing gewählt haben, von vornherein aus: Ein Holzdruck kann nicht beliebig oft wiederholt werden; jeder Druck bleibt buchstäblich einzigartig.

An dem anspruchsvollen Verfahren, das zu den ältesten Techniken der Menschheit zählt, haben sich im Rahmen des Projektseminars "Druckwerkstatt" 13 Jugendliche unter Leitung von Kunstlehrerin Christine Lindenmüller versucht. Die entstandenen Kunstwerke, die unter dem Motto "all natural" größtenteils Landschaften abbilden, sind von Donnerstag, 7. Dezember, an in den Redaktionsräumen der Süddeutschen Zeitung in Ebersberg zu sehen.

Beim Holzdruck wird auf eine Platte aus Holz das gewünschte Motiv aufgezeichnet. Nun beginnt eine höchst komplexe Arbeit, die in jedem Schritt wieder neu durchdacht werden will und sich nach dem Prinzip "von hell zu dunkel" richtet. Zuerst werden die Stellen, die auf dem Bild weiß bleiben sollen, aus dem Holz herausgeschnitzt. Die nächst-hellere gewünschte Farbe wird daraufhin mit einer Walze auf die Platte aufgetragen und auf Papier gedruckt; dann kommt die nächste Schicht. Stück für Stück wird auf diese Weise die Holzplatte abgetragen, so dass am Ende am Druckstock nur noch die Figuren und Formen bleiben, die schwarz werden sollen. Das "Prinzip der verlorenen Platte" nennt es Lehrerin Lindenmüller: "Man kann den Druck nicht wiederholen und hat deshalb nur eine geringe Auflage."

"Am Anfang habe ich Angst gehabt, dass ich mich verschnitze", erzählt Anna Napieralla, 17. Als Vorlage hat sie ein Foto ihres Bruders gewählt, das ihn auf dem Gipfel eines Berges zeigt. Für den Holzdruck musste sie das Bild auf das Wesentliche reduzieren, die Hänge der umliegenden Gebirge karger gestalten. Herausgekommen ist die sinnlich-schaurige Momentaufnahme eines einsamen Bergsteigers unter einem atemberaubenden, glühendblauen Sternenhimmel. Die letzten Meter des steinigen Aufstiegs scheinen mühsam gewesen zu sein; nun entfaltet sich vor dem Wanderer das Panorama einer schroffen Felsenlandschaft - ein kurzer Blick in die Unendlichkeit.

Im Gegensatz zum lückenlosen Computerdruck wird der Charakter der Holzdrucke auch davon geprägt, was nicht oder nur schemenhaft gezeigt wird. "Manche weiße Stellen waren nicht so geplant", erzählt Napieralla, "aber im Nachhinein machen sie das Bild eigentlich aus."

Bei der Umsetzung der Holzdrucke haben sich die Grafinger Schülerinnen und Schüler an die expressionistische Maxime gehalten, die der Maler Henri Matisse doppelsinnig formulierte: "In erster Linie geht es mir um den Ausdruck." Anstatt das Sichtbare abzubilden, machten es sich die expressionistischen Künstler Anfang des 20. Jahrhunderts zu eigen, in ihren Werken ihr Innerstes nach Außen zu kehren. Schreiende Farben, melodische Formen - in synästhetischer Weise versuchten sie das direkt Erlebte in ihren Kunstwerken auszudrücken. Um Naturerlebnisse unmittelbar zu verbildlichen, fanden die Expressionisten im Holzdruck ein passendes Mittel, um einfache Schnitte und Kompositionen gut wiedergeben zu können.

Und so bedienten auch die Teilnehmer des Projektseminars sich markanter Konturierung und kräftiger Farben, die jedoch nur minimalistisch eingesetzt wurden: Neben Schwarz und Weiß durften sie sich nur noch dreier weiterer Farben bedienen. Und so sind 13 teils kreischend-knallige, teils besänftigend natürliche Bilder entstanden, die allesamt mit der Überraschung des Publikums flirten. Aus dem sorgsam gesetzten Formspiel spricht eine Intensität, die den Betrachter postwendend in ihren Bann zieht.

"Ich habe ein bisschen gegen das Thema gearbeitet", sagt Celina Weyand. Besonders die Porträts aus der expressionistischen Zeit haben es der 17-jährigen Schülerin angetan, deren kantige und charaktervolle Ausarbeitung. Und so entschied sie sich dafür, ein eigenes Bild als Vorlage zu nehmen: das Gesicht einer jungen Frau, den Kopf auf eine Hand aufgestützt. Ihr Blick schwankt zwischen Laszivität und Nachdenklichkeit; das dezente, ins Pastell deutende Rot im Hintergrund unterstreicht die leicht melancholische Grundstimmung des Bildes noch. "Die Pose fand ich gut", erzählt Celina Weyand, "aber die Zeichnung zu vergrößern war schwierig." Eigentlich hatte sie den Hintergrund mit einem kräftigen Orange ausfüllen wollen, aber das wäre dann zu sehr in Richtung Pop-Art gegangen, sagt sie.

Der Holzdruck ist eigentlich auch ein eigenes Handwerk: Mit Hohleisen und Geißfuß schnitzten die Mitglieder der Seminargruppe über ein Schuljahr hinweg immer wieder an den Vorlagen - eine anstrengende wie herausfordernde Arbeit. Einzigartig sind die Bilder auch in dem Sinn, dass jedes einzelne für sich spricht. Oder, um es wie Walter Benjamin zu formulieren: "Ich habe nichts zu sagen. Nur zu zeigen."

Die Vernissage der Ausstellung "all natural" von Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums Grafing findet am Donnerstag, 7. Dezember, um 19 Uhr in der SZ-Galerie, Ulrichstraße 1, statt.

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Quelle:
SZ vom 06.12.2017
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