Doppelter Auftakt im Martinstadl: Mit dem ersten Konzert im neuen Kammermusikzyklus des Kulturvereins Zorneding-Baldham erlebt am Sonntagabend auch das Konzept des „Komponist im Fokus“ seine Premiere. Werke des Letten Pēteris Vasks werden sich als Leitmotiv durch die diversen Konzerte der neuen Saison ziehen. Unter den zeitgenössischen Komponisten nimmt er eine zu Recht angesehene Position ein, weil seine Werke nah am Leben und nah an den Menschen sind, gleichzeitig aber den jeweils Musizierenden die Gelegenheit geben, anspruchsvolles, facettenreiches und beseeltes Spiel zu zeigen. Zum Auftakt war Vasks sogar selbst angereist – dem künstlerischen Leiter Oliver Triendl in langer Freundschaft verbunden und vom Gedanken erfüllt, seine Wertschätzung für jene auszudrücken, die auch außerhalb der Metropolen ein Herz für klassische Musik haben.
Es brauchte dann auch nicht viel, um mit Vasks in ein angeregtes Gespräch zu kommen. So lebendig wie seine Kompositionen sind die Gedanken, zu denen er Dialog anbietet, sucht und findet. Den Großteil seines Lebens hat der 1946 in Aizpute geborene Künstler unter der Herrschaft von Regimes verbracht, denen offene Kommunikation so zuwider war, dass sie diese aggressiv bekämpften. „Erst die Russen, dann die Deutschen, dann wieder die Russen…“ Weshalb er, der Pfarrerssohn, der eine Schleife mit den lettischen und ukrainischen Farben am Revers trägt, die Situation in Osteuropa mit großer Sorge betrachtet – und trotzdem den Dreiklang von „Hoffnung, Liebe und Zuversicht“ in sein Schaffen einflicht, wo immer sich ein Fenster dafür öffnet. Gerade die Musik, die so viele Ausdrucksweisen kennt, die mit Harmonien und Disharmonien jongliert, die über Zwischentöne und kontrastierende Akkorde Farben von hoher Dichte und Durchlässigkeit zugleich erschafft, ist ihm ganz offenkundig Chance und Anliegen zugleich. „Jede meiner Kompositionen ist ein Geschenk an Sie“, sagte Vasks im Konzertgespräch mit Triendl, und die Leidenschaft fürs Tun und die Zuneigung für die Beschenkten schwangen in entwaffnender Ehrlichkeit mit.
Wie dieses Konzept wirkt, ließ sich hervorragend an den vier Instrumentalisten beobachten. Am Mittag hatten sie zusammen mit Vasks noch einmal geprobt, unter erschwerten Bedingungen. Der vorgesehene Geiger musste kurzfristig absagen, für ihn war Leonard Fu dem Quartett beigetreten, zwei Nächte und zwei Tage hatte der vielfach Ausgezeichnete Zeit, sich auf Programm und Ensemble einzustimmen, eine beachtliche Leistung, die er mit erkennbarer Begeisterung, überzeugender Führungskraft und filigraner Technik meisterte. Wobei ihm Haesue Lee genussvoll und voller akzentuiertem Gespür für das Verbinden und Abgrenzen von kompositorischen Emotionen auf der Viola zur Seite stand sowie Niklas Schmidt die Rolle seines Cellos geistreich zwischen fundamentaler Tiefe und lässigem Rhythmusgeber changierte. Da hatte sich Oliver Triendl ein erstklassiges Team zusammengestellt, dessen Wert sich in einem ausgeglichenen, ausdrucksstarken Hörgenuss äußerte, und das ihm selbst die Gelegenheit gab, das Klavier hör- und spürbar zu machen, wenn es gefordert war, und dann wieder dezent in den Hintergrund zu rücken, wenn dies dem Charakter des jeweiligen Werks diente. Gerade beim Klavierkonzert von Pēteris Vasks gelang das mit überzeugender Vollkommenheit.
Klassik im Landkreis:Hörenswerter Zeitgenosse
Der Kulturverein Zorneding-Baldham rückt erstmals einen Komponisten ins Zentrum seiner Spielzeit: Pēteris Vasks. Es werden viele seiner Werke zu hören sein, man wird den berühmten Letten aber auch persönlich erleben können.
Es hätte gar nicht den Hinweis Triendls gebraucht, dass der Komponist Vögel wegen ihrer Fähigkeit bewundere, Grenzen zu überwinden. In der Vorstellungskraft des Publikums dürfte der Schwingenschlag eines Greifvogels, der über dem Feld schwebt, auch so angekommen sein. Oder das Sirenengeheul, dessen Annäherung einen schaudern macht. Manchmal geht es leicht tänzelnd Stufen hinab, um im nächsten Takt den schwer stampfenden Stiefeln von Soldaten zu begegnen. Mal zieht sich das klagende Gedenken an schöne Erinnerung als ferner Streifen durch den Klanghorizont, mal durchbricht wütendes Gebrüll eine Atmosphäre, die gerade noch von aufgeregter Zuversicht und unbeschwerter Neugier erfüllt war. Es ist erstaunlich, wie unmittelbar und klar unser Gehirn die Musik von Vasks in Bilder übersetzt. Schier unmerklich verfliegt die Zeit, wohl niemand nimmt mehr wahr, dass draußen die Blaue Stunde anbricht: Das Lichterspiel der Klänge im Raum ist heller als alles andere.
Mit Edvard Griegs „Andante con moto“ in c-Moll zu Beginn und Johannes Brahms’ Klavierquartett g-Moll hatte das Konzert einen Rahmen, der weniger gegensätzlich wirkte, als das beim ersten Hinsehen zu vermuten war. Für die Instrumentalisten gaben die beiden Stücke reichlich Gelegenheit, ihr Können zu zeigen. Für das Publikum schufen sie ein tragfähiges Gerüst für den Umgang mit den eigenen Emotionen. Zumal das Ensemble der Versuchung widerstand, die großen romantischen Farben plakativ aufzutragen, und lieber jedem Einzelnen den Weg wies, die eigenen Gefühle zu spüren und wirken zu lassen. Dass es dafür mehrfach beherzten, mit zahlreichen „Bravo“-Rufen durchwirkten Beifall gab, war verdient – und spiegelte die Anerkennung für einen gelungenen Start in den Zyklus und ein innovatives Konzept wider. Die kleine „Nocturne“ als Zugabe darf angesichts der Begeisterung nachsichtig akzeptiert werden. Die Vorfreude auf weitere Begegnungen mit Pēteris Vasks im Laufe der Saison ist zu Recht groß.