Jubiläumskonzerte:Hohe Kunst fürs flache Land

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Ein vertrautes, vielversprechendes Bild: die Bühne im Zornedinger Martinstadl, bevor es dort Kammermusik von Weltrang zu hören gibt. (Foto: Christian Endt)

Der Kulturverein Zorneding-Baldham feiert 60. Geburtstag, inklusive umfangreichem Ständchen vom hauseigenen Sinfonieorchester. Rückblick auf eine Erfolgsgeschichte.

Von Anja Blum, Zorneding

"Die Kultur soll nicht vor den Toren Münchens aufhören." So formuliert der musikbegeisterte Arzt Bernhard Marc das Ziel, als er 1963 den Kulturverein Zorneding-Baldham ins Leben ruft. Kunst und Kunsterlebnis dürften nicht an der Grenze der Großstädte zu Ende sein. "Auch die Bürger auf dem flachen Land haben Anspruch auf Kunst, wie umgekehrt die Kunst Anspruch hat, auch auf dem flachen Land gepflegt zu werden", so wird der "Kulturdoktor" später zitiert. Ob er wohl geahnt hat, auf welch fruchtbaren Boden sein Engagement fallen würde? Heute bezeichnet sich der Verein selbst als "einen der wichtigsten Kulturträger im gesamten Münchner Umland". Zu Recht, denn er ist eine Institution.

Rund zwanzig Bürgerinnen und Bürger aus Zorneding und Baldham waren es, die vor genau 60 Jahren auf Initiative von Marc einen Verein für die Kultur gründeten. Vorträge, Konzerte, Theateraufführungen, Malkurse und Ausstellungen, sogar die Eröffnung einer Bücherei waren die ersten Aktivitäten des neuen Zusammenschlusses. Zehn Jahre später, 1974, entstanden unter dem Dach des Vereins und unter der Leitung von Hans Walter Kämpfel ein Chor und Orchester - lange Jahre der einzige symphonische Klangkörper im Landkreis. Bis heute gibt das Symphonieorchester des Kulturvereins Zorneding-Baldham Laienmusikern die Gelegenheit, große, anspruchsvolle Werke zu spielen, und dem Publikum, ebensolche vor Ort zu hören.

Stattlich: das Sinfonieorchester des Kulturvereins. (Foto: Johannes Schmieg/Blende85567(oh))

Mit ein Grund für diese Konstanz ist, dass es immer wieder engagierte Kulturliebhaber gab, die sich in den Dienst der Sache stellen mochten. Direkt nach dem Tod von Gründer Bernhard Marc 1975 übernahm Heinz Küspert den jungen Kulturverein Zorneding-Baldham. Mehr als 25 Jahre lang lenkte er dessen Geschicke sehr erfolgreich. Unter Küsperts Ägide wird der inzwischen weit über die Landkreisgrenzen hinaus bekannte Kammermusikzyklus mit Künstlern und Ensembles von Weltruf gegründet, und auch der Ebersberger Klavierzyklus, der Pianisten und Zuhörer von überall her anzieht, geht mit auf Küsperts Initiative zurück.

Der inzwischen verstorbene Heinz Küspert lenkte die Geschicke des Vereins lange und mit großem Engagement. (Foto: Veranstalter)

Frühe Versuche, auch Kammermusik über den Kulturverein anzubieten, waren gescheitert, auch aus finanziellen Gründen. Erst der Vorschlag, eine Konzertreihe im Abonnement zu veranstalten, brachte die Wende. Zur großen Überraschung aller Beteiligten schrieben sich gleich für diesen ersten Zyklus mehr als 300 Abonnenten ein. Die Premiere mit dem Hagen-Quartett ging am 17. Oktober 1982 über die Bühne. Die künstlerische Gestaltung der Reihe lag zunächst bei Adolf Kuderna, später übernahm Küspert selbst. Wichtig waren ihm dabei ein konstant hohes Niveau und eine Mischung aus anerkannten Ensembles sowie vielversprechenden Talenten.

2005 gab Heinz Küspert aufgrund schwerer Krankheit sein Amt im Zornedinger Kulturverein ab und wurde Ehrenvorstand. Für die konzeptionelle Gestaltung der Programme sowie die Verpflichtung der Ensembles ist seitdem der international renommierte Pianist Oliver Triendl aus Ebersberg verantwortlich, ein engagierterer Fürsprecher für selten gespielte Komponisten. Er bekleidet das Amt des künstlerischen Leiters, wacht über eine ausgewogene Zusammenstellung verschiedener Epochen und Besetzungen. "Unter ihm ist das Programm nochmal vielfältiger geworden", sagt Triendls Mitstreiterin Yasmin Mellinghoff aus dem Vereinsvorstand. Das liege vor allem auch daran, dass ein spezielles Ensemble nicht mehr unbedingt den ganzen Abend bestreiten müsse, sondern für gewisse Stücke um weitere Instrumentalisten ergänzt würde. "Auf diese Weise kann man dann auch mal Besonderheiten wie das Horn-Trio von Brahms hören, das ist toll", schwärmt Mellinghoff.

Der Pianist Oliver Triendl gestaltet die Programme von Kammermusik- und Klavierzyklus. (Foto: Veranstalter)

Einen Küspert nachfolgenden Vorsitzenden indes hat der Kulturverein bislang noch nicht ernannt. Die Arbeit ist jetzt auf mehreren Schultern verteilt, ein Modell, dass laut eigenen Angaben sehr gut funktioniert. Nur Nachwuchs zu finden, sei nicht ganz so leicht, erzählt Mellinghoff. Insofern bezeichnet sie es als einen "großer Lichtblick", dass nun Geigerin Nina Karmon, die Lebensgefährtin von Triendl, ebenfalls in die Vereinsarbeit einsteigen wird. Sechs Vorstandsmitglieder kümmern sich derzeit ehrenamtlich um alles Organisatorische rund um die Konzerte und das Orchester, um Ticketverkauf und Werbung, um Finanzen wie Sponsoren oder die Gema, Künstlerbetreuung und Mitgliederpflege.

Die Gesichter und Macher des Kulturvereins: Tina Seuchter, Georg Mellinghoff, Yasmin Mellinghoff, Helmut Stocker, Andreas Müller und Astrid Albrink (von links). (Foto: Veranstalter)

"Man glaubt gar nicht, was da alles dahintersteckt", sagt Triendl. Alleine das Beantragen öffentlicher Zuschüsse sei mit enormem Aufwand verbunden. Umso glücklicher zeigt sich der musikalische Leiter darüber, dass es nun gelungen ist, für die kommende Saison erstmals auch von Bayerns Kultusministerium eine Förderung zu bekommen. "Das bedeutet, dass wir uns ein bisschen weniger Sorgen machen müssen", so Triendl. "Aber noch viel wichtiger ist der Motivationsschub, der mit so einer Auszeichnung einhergeht." Gleiches gelte für die enge Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk: Dass dieser immer wieder Konzerte im Martinstadl aufzeichnet und zur besten Sendezeit ausstrahlt, verschafft der Reihe einiges an Prestige.

Unverändert geblieben ist seit jeher der Auftrag des Kulturvereins: "Menschen in jedem Alter Freude an klassischer Musik zu bereiten - und zwar vor Ort". Dies zu erfüllen, scheint indes nicht immer einfach. "Corona haben wir relativ unbeschadet überstanden", sagt Triendl, die Pandemie habe lediglich einen generellen Trend - weg vom Abo und hin zu spontanen Konzertbesuchen - etwas beschleunigt. "Aber natürlich ist es überall ein latenter Kampf ums Publikum, sodass einen schon mal Zukunftsängste beschleichen können." Die Zahl der Abos ist laut Mellinghoff inzwischen auf insgesamt etwa 140 geschrumpft. Andererseits zeigt sich der Programmchef gerade vom Zornedinger Publikum immer wieder aufs Neue begeistert, und zwar von dessen "Neugierde, Aufgeschlossenheit und Begeisterungsfähigkeit".

Gerade der 60. Geburtstag ist nun freilich ein Grund zu feiern, deswegen gibt es ein Jubiläumskonzert, genauer gesagt sogar zwei. Die Premiere findet statt am Sonntag, 16. Juli, um 20 Uhr im akustisch hervorragenden Martinstadl, und am Samstag, 22. Juli, um 20 Uhr wird das Konzert als Open-Air im Schloss Elkofen bei Grafing wiederholt. Bei Regen findet diese Vorstellung in der evangelischen Kirche in Grafing statt.

Schloss Elkofen bietet eine wunderbare Kulisse für ein Sinfonieorchester. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das vereinseigene Symphonieorchester unter der Leitung von Andreas Pascal Heinzmann wird an dem Abend durch mehrere Jahrhunderte europäischer Musik führen. Am Beginn steht die witzige "Pulcinella Suite", eine Ballettmusik, die der damals im Exil in Frankreich lebende Russe Igor Strawinsky nach barocken Motiven des Neapolitaners Pergolesi gestaltete. Der Geiger und Violinprofessor Orhan Ahiskal, in der Türkei gebürtig, aber auch auf Podien in Europa und den USA beheimatet, spielt anschließend das wunderbare Violinkonzert in A-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart, mit türkischen Anklängen im dritten Satz. Nach der Pause folgt die heitere 5. Sinfonie von Franz Schubert, die das Publikum nach Wien zur Zeit der beginnenden Romantik führt. Da kann man doch nur sagen: da capo!

Alle Infos und Vorverkauf unter www.kulturverein-zorneding-baldham.de . Karten gibt es außerdem bei Steffis Schreibwaren in Zorneding. Die Abendkasse öffnet 30 Minuten vor Konzertbeginn.

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