Kultur in Ebersberg:Vulkanausbruch auf der Bühne

Kultur in Ebersberg: Erlauchte Gäste (v.l.): Gitarrist und Bandleader Jeremy Teigan, Schauspielerin und Sängerin Andrea Kilian, Kabarettist und Vorstand im Verein Altes Kino, Alexander Liegl und Geräuschemacher Max Bauer.

Erlauchte Gäste (v.l.): Gitarrist und Bandleader Jeremy Teigan, Schauspielerin und Sängerin Andrea Kilian, Kabarettist und Vorstand im Verein Altes Kino, Alexander Liegl und Geräuschemacher Max Bauer.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Erstmals verwandelt sich das Alte Kino in einen Salon. Es wird kurios in Ebersberg.

Von Rita Baedeker, Ebersberg

"Irgendwo auf der Welt gibt's ein kleines bisschen Glück". . .: Es waren die Comedian Harmonists, die dieses wunderbare Lied groß heraus gebracht haben. Womöglich war am Samstag das Alte Kino - pardon: Der Salon zum Alten Kino - einer jener Orte, an denen sich ein paar Glücksmomente einfangen ließen.

Auf der Bühne sitzen drei distinguierte Herren, in angeregte Unterhaltung vertieft, und prosten einander artig zu. Ein Lüster spendet schummriges Licht. Bei näherem Hinsehen entpuppen sich die drei als bekannte heimische Künstler: Bandleader Jeremy Teigan, der an diesem Abend Anzug und Krawatte trägt - kombiniert mit roten Socken - und offensichtlich beim Friseur war; Geräuschemacher Max Bauer, der einen feschen schwarzen Bowler auf hat.

Und Kabarettist Alexander Liegl, salonfähig gekleidet in edles Champagnerweiß mit eleganten braunweißen Golfschuhen. Als Eintänzer wäre er unwiderstehlicher Mittelpunkt. Im Hintergrund knistert ein Grammofon. Komplettiert wird die feine Gesellschaft von der Schauspielerin und Sängerin Andrea Kilian im weißen Fellbolero über langem schwarzen Kleid. Fehlt nur die Zigarettenspitze. Sogar der Hausherr, Markus Bachmeier, hat sich in Schale geworfen. Allein das Publikum schaut aus wie immer.

Ziel der neuen Veranstaltungsreihe ist, Musik, Gesang, Kuriosa, Sinn und Unsinn zusammenzubringen, eine "neue bunte Art und Weise zu schaffen, das Alte Kino zu erleben". Alle Texte wurden nur für diesen einen Abend geschrieben. Daraus ist ein Varieté entstanden, das ebenso geistreich wie albern, ebenso unterhaltsam und verspielt wie lehrreich ist. Dass die Akteure ihre Freude an dem Spaß haben, merkt man in jeder Sekunde.

Die Sechziger verteidigen im April ihren Abstiegsplatz

Die Einfälle reihen sich aneinander wie Wunderkerzen: Das rasante Musikquiz zum Thema April - wo es zuweilen schneit - führt zu der rätselhaften Rolle, die der Monat in der Menschheitsgeschichte spielt. Zum Beispiel wurde einer Legende nach Luzifer an einem 1. April "aus'm Himmel g'schmissn"; die Sechziger verteidigen im April ihren Abstiegsplatz, und die schlimmsten Vulkanausbrüche haben sich ebenfalls im April ereignet (Mount St. Helen, Vesuv, Tambora in Indonesien).

Max Bauer, mit Donnerblech und anderen Gerätschaften bewaffnet, lässt es knallen, zischen und gurgeln, dazu gibts Gartentipps und einen Kanon zum Mitsingen. Wem jetzt schon schwindlig ist, darf sich zusammen mit dem Quartett auf der Bühne der Frage widmen, ob man inmitten der ganzen globalen seismischen Krise wenigstens in Ebersberg noch sicher ist; zumal da Gott sich gerade auf Geschäftsreise befindet, wie das Quartett, allen voran Jeremy Teigan, rau und rockig in einer atemraubenden Coverversion von Tom Waits' "God's Away on Business" versichert.

Es gibt viel zu erzählen vom April und vom Mai, der gottserbärmlich stinkt, und vom Kuckuck, einem Text der Marke "höherer Blödinn", in dem Liegl in philosophischer Schusseligkeit mit skurrilen Sprachschöpfungen ("sooft man einen Kuckuck kuckucken hört, stirbt ein Seemann") glänzt.

Die Frage nach der Sicherheit wird dann in einer hinreißenden, sich ins Groteske steigernden Mär von Genoveva beantwortet. Liegl erzählt, Bauer macht dazu jeweils passende Geräusche: Hufgetrappel, das Grunzen einer Wildsau, das Knistern des Kaminfeuers, nicht immer zur Zufriedenheit des Erzählers, der sich mit Bauer ein theatralisches Intermezzo von hohem Unterhaltungswert liefert. Überhaupt agieren die Darsteller so vertraut miteinander, dass eine Zuschauerin fragt, um welche Theatergruppe es sich da handle.

Die G'schicht von der riesigen weißen Wildsau

In der wahren Geschichte des Alten Kinos spielt eine gewisse Genoveva Wallner aus Buch bei Kirchseeon eine Rolle. Sie hatte 1950 das Kino zu neuem Leben erweckt. Als Fräulein Veverl und Tochter eines Grafen, der am Aussichtsturm residierte, wird sie nun zur Heldin einer grausigen Moritat: Sie reitet allein auf ihrem Pferd, das den schönen Namen Karl V. trägt, in den Tann, rastet und schläft ein.

Als sie erwacht, steht eine riesige weiße Wildsau vor ihr. Wieder daheim, erklärt das adelige Fräulein dem Vater, heiraten zu wollen; aber nur einen, der ihr neben anderen Aufmerksamkeiten das Fell (!) jener wilden weißen Sau verschaffen könne. Nun ja. Irgendwo auf der Welt gibt es ein kleines bisschen (Jagd-)Glück, jede Menge Pech aber auch. Und so erwischt es nicht das Schwein, sondern die Freier. Genoveva geht angesichts des Blutbads ins Kloster; und Ebersberg leidet noch heute unter furchtbaren Flüchen. Einer davon geht so: "Alles soll sinnlos sein, was Umgehung heißt in dieser Stadt."

Als Geschichtenerzählerin ist auch Andrea Kilian eine Meisterin. Ihre "Anleitung zur Zeitersparnis" ist Sprachartistik auf höchstem Niveau. In dem vorgetragenen Dada-Text geht eine Aussage mitten im Satz nahtlos in eine andere ganz anderen Inhalts über. Kilian spricht temporeich, phrasiert aber so klar, dass der Zuhörer die Satzelemente auseinanderhalten kann.

Das Publikum zeigt sich von der Premiere begeistert, Lachen und Beifall wollen kein Ende nehmen. Das lässt hoffen, dass sich die Idee etabliert und der Salon wieder einmal öffnet für Sinn, Unsinn, Geplauder und ein paar kleine Glücksmomente.

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