Kult-Kammerspiel:"Der Gott des Gemetzels" auf Bairisch

Gott des Gemetzela im Alten Kino.

Zivilisiert beginnt das Gespräch, doch dann geraten die vier Protagonisten gewaltig und grob aneinander.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Bei ihrem Gastspiel im Alten Kino Ebersberg zeigt die Münchner "Theatermannschaft" ihre ganz eigene Variante des prominenten Stücks.

Von Johanna Feckl, Ebersberg

"Unser Bua hod an Stecka g'nomma und eanan Bua auf d'Lätschn g'haun." Was das - neben zwei herausgeschlagenen Schneidezähnen und einer blutenden Lippe bei einem der beiden Buben - für dramatische Folgen haben kann, haben am Freitag all diejenigen herausfinden können, die ins Alte Kino nach Ebersberg gekommen waren. Dort war das Münchner Theaterensemble Wirtshausmannschaft mit dem Kult-Kammerspiel "Der Gott des Gemetzels" von Yasmina Reza zu Gast. Das besondere Schmankerl an der Inszenierung von Regisseur Johannes Rieder: Gesprochen wird bairisch.

Aber wie war das nun genau mit dem Stecka und der Lätschn und den zwei Buben? Um das zu klären, setzen sich in dem Stück Mütter und Väter der beiden jungen Streithähne zusammen: Annette (Cornelia von Fürstenberg) und Alex (Matthias Ransberger) kommen zu Veronika (Ina Meling) und Micha (Sebastian Edtbauer), den Eltern des vorübergehend schneidezahnlosen achtjährigen Buben.

Das Element, das Yasmina Rezas Stück zu einem der erfolgreichsten der vergangenen Jahre macht - uraufgeführt wurde es 2006 am Schauspielhaus Zürich -, ist die besondere Fallhöhe der Protagonisten: Was als zivilisiertes und friedvolles Gespräch zwischen zwei wohlsituierten Paaren - Annette und Alex sind Vermögensberaterin und Vertreter bei einem Pharmakonzern, Veronika und Micha Schriftstellerin und Besitzer eines Eisenwarengeschäfts -, kippt. Langsam, aber stetig, bis es irgendwann in einem regelrechten "Gemetzel" mit Worten und wechselnden Bündnissen endet. Die zwei achtjährigen Jungs, wegen deren Streit die Erwachsenen eigentlich zusammengekommen sind, hätten es besser nicht hinbekommen.

Der Verräter wird zum "Vergloghaferl"

Das Bairische in der Inszenierung von Johannes Rieder ist dabei nicht nur ein nett anzuhörender Nebeneffekt. Nein, dass die zwei Männer und Frauen auf der Bühne Dialekt sprechen, hat vielmehr einen verstärkenden Charakter: Bairisch umschmeichelt Begriffe und das, was sie meinen, ganz gerne mal. Da wird aus einem eiskalten Verräter ein niedliches "Vergloghaferl".

Oder aus einem unangenehmen Bekenntnis, dass der Magen verrückt spielt und bedrohlich vor sich dahin rumort, ein herzliches "I glab i muas speim". Oder aus einem massiven Stock ein kleines "Bambussteckerl". Alles wirkt irgendwie nicht ganz so schlimm. Eher wie ein lieb gemeintes Herumgealbere, während alle schon ein bisschen einen im Tee haben. Ja ja, du mi a, haha - Prost!

Einen sitzen haben die vier Protagonisten zwar tatsächlich schon bald, anders scheint für die Erwachsenen ihr Dasein mit all diesen großen Verpflichtungen, angefangen beim Job, über die Ehe bis hin zur Kindererziehung, nicht erträglich zu sein. Aber trotzdem: Lieb gemeint ist bei der verbalen Auseinandersetzung, die die Münchner Schauspieltruppe in rasantem Tempo auf der Bühne präsentiert, absolut gar nichts. Im Gegenteil. Hier gönnt niemand irgendwem auch nur irgendetwas. Nicht einmal die Eheleute untereinander. Das hat etwas Perfides, das Bairische steigert die Fallhöhe ins schier Unermessliche.

Bei den Besuchern im ausverkauften Alten Kino bleibt der Effekt nicht verfehlt. Das Gelächter im Publikum schwillt im Verlauf der 70-minütigen Inszenierung mehr und mehr an. Die Abstände zwischen den Lachpausen werden kürzer, bis sich das Lachen gegen Ende hin endgültig in Gejohle und Gejubel verwandelt.

Die Veränderungen in den Reaktionen im Publikum sind ein Spiegel zu dem, was auf der Bühne geschieht. Als Annette ihren Ausspruch "I glab i muas speim" wahr macht und ihr "Erbrochenes" - zwei Schluck gekonnt in Fontänen ausgespuckten Kaffee - über Veronikas exklusiven Bildband von einer Ausstellung Oskar Kokoschkas verteilt, leitet das die Peripherie des Stücks ein. Die vorher so stille und einlenkende Annette gewährt ihrer Aggressivität vor allem gegenüber dem eigenen Ehemann Alex freien Lauf, was Micha schon bald mit einem "Des Speim hod eana aber guad do" quittiert. Die Lautstärke der Streitereien erhöht sich genauso stürmisch, wie sich die Koalitionen bei den verbalen Angriffen abwechseln.

Einzig Alex scheint so etwas wie ein Ruhepol zu sein. Seine Frau Annette schlägt langstielige Blumen unaufhaltsam kaputt, Veronika wirft den Inhalt von Annettes Tasche um sich und beschimpft ihren Mann als elendigen Langweiler, und der besagte Micha verteidigt sich immer wieder dafür, den Familienhamster ausgesetzt zu haben. Aber Alex antwortet weiterhin verlässlich auf das Klingeln seines Handys und zieht sich damit gekonnt aus der Affäre. Die ganze Welt bestehe schließlich aus Massakern, sagt er. Jeder versuche nun mal, sich selbst zu retten. Alex Urteil darüber: "Basst scho!"

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