Süddeutsche Zeitung

Kritik:Wir Trottel

Harry G bringt das Grafinger Festzelt zum Kochen. Er beschimpft wie gehabt die Zuschauer - und trifft dabei immer noch einen Nerv. Besonders bei zwei Gästen ganz vorne.

Von Korbinian Eisenberger, Grafing

Dennis aus Markt Schwaben hat keine Wahl. Der Mann auf der Bühne hat ihn auserkoren. Als Assistent, als Zielscheibe oder als "Trottel", je nachdem. Dennis hat gleich seinen ersten Auftritt: Es geht um die Stadt Duisburg, "das Mordor des Ruhrgebiets", wo die Einheimischen offenbar schon mal mit Trainingsanzug und Plastiktüten rumlaufen. Das unterscheide den Duisburger vom Bayern, heißt es. Oder auch nicht. "Der Dennis aus Markt Schwaben denkt si grod: Ja, des mach i aa." Dennis, ein junger Mann in den vorderen Reihen, steht auf und dreht sich mit einem Lächeln um. Verarscht werden gehört hier dazu. Mehr noch: Es ist erwünscht.

Dienstagabend, im Bierzelt auf dem Grafinger Volksfestplatz ist kaum mehr ein Platz frei. Der Grund: Komiker Markus Stoll, den alle nur als "Harry G" kennen. Ein Mann, der mit Video-Schimpftiraden im Internet bekannt wurde und mittlerweile bundesweit große Hallen füllt. Dabei vermittelt Stoll keine größere Botschaft. Er beherrscht eine andere Kunst: Stoll beobachtet feldstudienartig Menschen, beschimpft sie dann als Harry G - und wird dafür von seinem Publikum gefeiert. So ist das auch im Grafinger Zelt, wo 1500 Gäste nur darauf warten, dass er sich den nächsten von ihnen vorknöpft.

Natürlich bekommt auch die Landeshauptstadt einen mit: "Wenn i in München so red, dengan di, i hob acht Hoibe und Tollwut", sagt er. "Hilfe! Hier is n' Einheimischor." Erst bairisch also, dann sächsisch. Weil in München immer weniger den dortigen Dialekt verstehen. Zwei Sätze, die gut zeigen, was neu ist bei Stoll verglichen mit seinem ersten Auftritt im Landkreis Ebersberg: so gut wie nichts. Damals, vor vier Jahren, kam Harry G nach Glonn, und es drehte sich alles um den "Isarpreißn" - ein Wort, das Stoll all den Zuagroastn widmete. In seinem zweiten Programm "Harry die Ehre", das er nun seit zwei Jahren spielt, taucht der Begriff nicht mehr auf. Inhaltlich geht es aber weiter um ähnliche Themen. "In München sagt ma' nimma 'Servus' sondern: 'Hey, alles gut?'."

Das Festzelt brodelt den ganzen Abend, eine Pointe jagt die nächste. Es funktioniert, weil der gebürtige Regensburger Stoll selbst ein Zuagroaster ist und unter anderem sich selbst meinen könnte. Wahrscheinlich fühlt sich der Zuschauer auch deshalb so gut, wenn er sich wiedererkennt. Sich und seine Eigenarten, für die man es einfach verdient hat, dass man mal eine draufkriegt. Weil man früher zehn Euro Jahresgebühr im Turnverein zahlte. "Und heute fürs Zirkeltraining im Fitnessstudio 100 Euro im Monat hinblättert."

Eine Frau im Publikum prustet los - und qualifizert sich als Zielscheibe

Da prustet eine Frau im Publikum los. Prompt hat der Pointenzünder auf der Bühne seine nächste Zielscheibe gefunden und äfft die Zuschauerin den ganzen Abend nach. Sie und "Trottel" Dennis aus Markt Schwaben sind die Running Gags dieses Auftritts.

Stoll ist derb und direkt, er schießt gegen alles, was nicht bei drei auf dem Baum ist, ohne Rücksicht auf irgendwen, auch nicht auf den Feminismus. So beschäftigt er sich mit dem Satz "glei griagst a Fotzn", der im Bairischen eine intensivere Ohrfeige ankündigt - Kölner Männer hingegen an eine Geschlechtsumwandlung denken lasse. Ein Kalauer, der schon bei Stolls Komiker-Kollege Günter Grünwald abgedroschen war. Und so ist es irgendwie auch erstaunlich, dass die Kunstfigur Harry G immer noch so gut beim Publikum ankommt. Klar, auch andere Humoristen begeistern die Menschen in der Region; Helmut Schleich, Michael Altinger, Hannes Ringlstetter und Stephan Zinner haben das zuletzt bei Auftritten in Ebersberg bewiesen. Der Unterschied: Stoll hat eine andere Generation von Publikum.

Anders als beim Kabarett sitzen am letzten Grafinger Volksfestabend überwiegend Zuschauer zwischen 20 und 40 im Zelt. Stoll, der Comedian, zieht vor allem bei jungen Leuten. Auch, weil er politische Inhalte ausspart? In Grafing scheint das jedenfalls niemanden zu stören, an diesem Abend, an dem im Landtag das umstrittene Polizeigesetz verabschiedet wird. An den Biertischen freuen sie sich lieber über die Unzulänglichkeiten von Mama Stoll am Smartphone, wer kennt das nicht. Ein Comedian muss offenbar nicht politisch sein, will er junge Leute erreichen.

Wobei, einen hat Harry G doch noch auf Lager: "Der Franke ist der Ossi Bayerns." Ein Seitenhieb auf den neuen Chef im Landtag? Wenn, dann wahrscheinlich unfreiwillig. Denn dieser Satz war vom einen Markus S. schon zu vernehmen, als der andere noch nicht Ministerpräsident war.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3982113
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.05.2018/koei
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.