Kritik:Mitreißende Klangarchitektur

Kammerchor a capella in Auferstehungskirche

Der Zornedinger a cappella-Chor unter Leitung von Eckhard Meißner präsentiert nicht die sakrale Ausprägung des Madrigals, sondern die weltliche.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Beim Konzert "Reif für die Insel" in Zorneding und Grafing gelingt den Ensembles um den a cappella-Chor ein fein abgestimmter Gesang mit emotionaler Kraft

Von Ulrich Pfaffenberger, Zorneding

Die Erkenntnis ist zwingend: Erst wenn man wieder mal ein vollendet gesungenes Madrigal hört, erkennt man, welch große Kunst und welche größerer Genuss doch ein Madrigal ist. Leider fristet diese inspirierte Liedform ein Nischendasein im allgemeinen Konzert- und Chorwesen, wo es doch so viele dem Publikum und dem sängerischen Wunsch näherliegende Oratorien gibt. Dass der Kammerchor A cappella, wie an diesem Wochenende geschehen, gleich die Hälfte eines Konzerts mit Madrigalen bestreitet, öffnet also das Herz des Liebhabers.

Wobei die Zornedinger unter Leitung von Eckhard Meißner sich den Luxus gönnen, nicht die sakrale Ausprägung dieser Stilform zu präsentieren, sondern die weltliche. Sie konzentrieren sich dabei, dem Konzerttitel "Reif für die Insel" gemäß, auf britische Literatur, die ihren Charme daraus bezieht, dass diese Lieder nicht akademischen Ursprungs sind, sondern Volkes Stimme aus den Pubs und Gasthöfen des 16. und 17. Jahrhunderts widerspiegeln. "This sweet and merry month of May" wird da voller Lust besungen oder "A little pretty bonny lass". Vermutlich hat sich das im Ale- und Porter-seligen Original etwas derber und ungestümer angehört als an diesem Abend im nüchternen Innenhof des Zornedinger Rathauses - und am Abend darauf in der evangelischen Kirche in Grafing - , doch tut der fein abgestimmte Gesang des erprobten Chores der emotionalen Kraft dieser Lieder keinen Abbruch. Zumal das angejahrte Englisch der Texte dadurch etwas besser verständlich wird.

Bei der Dramaturgie spielt Dirigent Meißner, der einige der Arrangements auf seine Klangkörper angepasst hat, mit einer Trilogie von Optionen: Er zeichnet die Konturen mit dem Kammerchor, setzt Akzente mit dem Vokalensemble voicensation! und eröffnet eine zusätzliche Dimension mit dem Jugendchor chorios! So entsteht ein sehr vielschichtiges, differenzierendes Klangbild, von dem sich das Publikum gern umfangen lässt.

Tragende Säule dabei ist einmal mehr die mustergültige Artikulation der Sängerinnen und Sänger, da hört man aus jeder Silbe die intensive Probenarbeit heraus. Bei der Premiere des neuen Repertoires zieht das einige Stücke lang zwar eine gewisse Anspannung nach sich, die durch die Innovation des Programms indes wettgemacht wird.

Ein Glanzlicht des Konzerts lässt vocensation! bei der heiter zugespitzten Nummer "Take Time while Time doth last" aufleuchten, wo sich die Zeit im schwerelosen Flug der Töne verliert, während sich verschiedene Klang- und damit Zeitebenen unter- und übereinander schieben. Einstein hätte seine helle Freude daran. Inspirierendes Erlebnis sind auch die drei Stücke britischer Romantiker - Finzi, Elgar, Williams - deren Spiritualität der Chor beseelt aufgreift und intensiv und glaubwürdig intoniert. Gerade für solche musikalischen Kostbarkeiten ist a cappella ideal aufgestellt. Dieser Chor ist größer als die Zahl seiner Sänger und Stimmen; ausgeprägtes Verständnis für Dynamiken und eine sinnliche Annäherung an den Kern der jeweiligen Komposition lassen dieses Ensemble glänzen. Unter anderem bei hauchzarten Pianissimi, wie sie sonst nur in freier Natur zu genießen sind.

Mit einem Kontrastprogramm nach der Pause huldigten Dirigent und Chöre dem zeitgenössischen Musikgut der britischen Inseln. Robbie Williams und Albert Hammond, die Beatles und Queen finden sich mit Meilensteinen der Popgeschichte ebenso gewürdigt wie die Folk-Musik der Iren, Schotten und Waliser. Farbenfroh und temporeich geht es da durchs musikalische Leben einer Nation, die ihrer Tradition zuwider beim Eurovision Song Contest genauso wenig putzt wie die Deutschen. Deren diesjähriger Repräsentantin Levinia widmeten die Zornedinger ihre Version von "Perfect Live" Ein kluger Einfall, denn gerade das Aufgreifen eines aktuellen Titels macht im Arrangement den Reiz von a-cappella-Liedern hervorragend hörbar, ja es rückt die Eigentümlichkeit dieser Gesangsform ins Bewusstsein: Welche Kraft wohnt doch kunstvoll und formenreich gesungener Sprache inne. Da lacht nicht nur dem Madrigalisten das Herz, da spendet das voll besetzte Haus begeisterten Beifall.

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