SZ-Serie: Tatort Region, Folge 1:Ein Leben zwischen Mord und Totschlag

SZ-Serie: Tatort Region, Folge 1: Illustration: Alper Özer

Illustration: Alper Özer

Roland Frick hat als Polizeibeamter 35 Jahre lang bei schwersten Verbrechen ermittelt und den Sedlmayr-Fall mit aufgeklärt. Sogar ein überführter Mörder hat ihn hoch geschätzt.

Von Karin Kampwerth

Die Bewertung der Lage ist zunächst nur halbwegs entspannt: "Politisch gesehen spielt die Welt verrückt", sagt Roland Frick. "Sicherheitsmäßig aber sind wir hier in Bayern eine Insel der Glückseligen." Letzteres ist dann doch eine beruhigende Einschätzung, schließlich kommt sie von einem profunden Kenner menschlicher Abgründe. Frick, 65, war 41 Jahre lang Polizeibeamter, 35 Jahre davon hat er sich mit Mord und Totschlag beschäftigt. Als junger Polizist, gerade drei Wochen nach der Ausbildung im Dienst, erlebte er das Wiesn-Attentat mit. Im Fall des ermordeten Volksschauspielers Walter Sedlmayr hat er gemeinsam mit Josef Wilfling ermittelt. Und für die Landkreise Erding, Freising und Ebersberg hat er den Kriminaldauerdienst aufgebaut, "die Feuerwehr der Kripo", wie Frick sagt.

Doch was so lässig dahergesprochen klingt, ist in Wahrheit eine extrem belastende Arbeit. Kripo-Feuerwehr heißt, nach der Schutzpolizei oder im Zweifel auch davor als Erster am Tatort zu sein. Als Erster zu sehen, wozu Menschen fähig sind. Und zu verhindern, dass deren Spuren vernichtet werden. Frick hat viel Schlimmes gesehen. Erstickte. Erstochene. Erschossene. Verstümmelte. Alte. Junge. Kinder. Deshalb zuerst die Frage: Wie hält man so etwas aus? "So lange mir keiner sagt, dass ich einen an der Waffel habe, habe ich es wohl gut überstanden", sagt der 65-Jährige. Galgenhumor also? Nein, denn Frick hatte gerade in Zeiten, in denen es noch keine Psychologen gab, die Polizisten in belastenden Situationen unterstützen, eine ganz eigene Methode. "Die Eindrücke vom Tatort, da wo die Leiche ist, sind im Kopf ganz weit hinten abgelegt." Außerdem habe er viel von älteren Kollegen gelernt. Schlimmer sei für ihn ohnehin gewesen, mit den Angehörigen zu sprechen. "Ich habe mich als Anwalt der Opfer gefühlt. Es war meine Profession, den Täter zu ermitteln."

Um das zu schaffen, hat Frick die eine oder andere schlaflose Nacht verbracht - um dann gegebenenfalls doch noch auf das Detail zu kommen, das zur Aufklärung des Falls beitrug, so kurios die Geschichte auch gewesen sein mag. Wie zum Beispiel vor rund 35 Jahren bei dem älteren Mann, der tot in der Badewanne lag, die Pistole weit von ihm entfernt. Zunächst habe alles wie ein Raubmord ausgesehen, auch Geld habe gefehlt. Doch mit akribischer Feinarbeit fanden die Ermittler heraus, dass der Mann das Geld verbrannt und sich selbst getötet hatte - nur um seiner untreuen Lebensgefährtin eins auszuwischen.

Anstrengend im psychischen wie im physischen Sinn seien die Verhöre von Straftätern gewesen. "Den Mörder vom Sedlmayr haben wir zur ersten Vernehmung um drei Uhr nachmittags einbestellt und um acht Uhr morgens erst wieder gehen lassen", erzählt Frick. "Da bist du in einer solchen Konzentrationsphase und nachher ausgelutscht wie ein Schwamm."

Pliening Roland Frick Interview.

Würde er Bücher schreiben, wären es Reality-Krimis: der ehemalige Kriminalbeamte Roland Frick. Der langjährige Polizist ist seit 2014 Bürgermeister von Pliening.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Überhaupt der Sedlmayr. Der Münchner Volksschauspieler war 1990 von seinem ehemaligen Ziehsohn und dessen Halbbruder ermordet worden. Beide wurden 1993 nach einem Indizienprozess zu lebenslanger Haft verurteilt. "Die Soko Sedlmayr, das waren der Frick und der Wilfling", sagt Frick. Doch während Wilfling als ehemaliger Leiter der Münchner Mordkommission inzwischen erfolgreich Bücher über seine Arbeit schreibt, sitzt Frick im Rathaus von Pliening im Landkreis Ebersberg, wo er für die CSU 2014 zum Bürgermeister gewählt worden ist.

Dem Kollegen Wilfling nachzueifern und selbst mal ein Buch zu schreiben, ist für den 65-Jährigen noch kein Thema: "Dazu habe ich gar keine Zeit." Wobei er seine Erinnerungen eigentlich nur einem Diktiergerät anvertrauen müsste, denn im Gespräch fällt ihm auf, wie sehr gerade die spektakulären Fälle noch in seinem Gedächtnis sind. Ohne Probleme kann er Täternamen abrufen, selbst wenn der Fall schon Jahrzehnte zurückliegt. Wie etwa der vom Schorsch, dem Menschenfresser. Richtige Namen nennt Frick nicht - einerseits aus Datenschutzgründen. Auf der anderen Seite aber auch deshalb, weil für Täter, die ihre Haftstrafe verbüßt haben, ein Recht auf Resozialisierung gilt. Aus diesem Grund wird die SZ in der Serie "Tatort Region" auch zurückhaltend mit den echten Namen der Täter umgehen. Aber zurück zum Menschenfresser.

"Ich war der Einzige, der ihn Schorsch nennen durfte", beschreibt Frick die mitunter verstörende Beziehung, die ein Täter zum Ermittler aufbaut. Schließlich habe er gewusst, dass ihm ein "Monster"gegenüber sitze. Der Schorsch hatte sein Opfer, einen alten Mann, erstickt, zerstückelt, ausgenommen und in Leber und Lunge gebissen. Bevor er das gestand, musste Frick ihn eine Woche lang vernehmen. Als der Rechtsanwalt dagegen Beschwerde einreichen wollte, habe der Schorsch den Anwalt aus der Zelle geworfen: "Wie reden Sie denn mit dem Herrn Frick?"

Trotz allem Grauen: "Es war ein schöner Beruf, der mich bis zum Schluss ausgefüllt hat", sagt Frick. Und wer weiß, vielleicht schreibt er ja doch noch einmal ein Buch. In Bayern ließe sich so ein komprimierter Reality-Krimi sicher gut lesen, ohne dass man Angst bekommen muss. Denn im Freistaat lebt es sich relativ sicher. Auch wenn es im Vorjahr 648 Straftaten gegen das Leben (Mord, Totschlag) gab. Wobei der Grund für die hohe Zahl (2017: 558) ein einziges Ermittlungsverfahren war: Einem Tatverdächtigen werden allein 105 verübte Mordversuche zur Last gelegt. Er hatte von Bayern aus über das Internet junge Mädchen und Frauen unter Vorspiegelung eines Job-Angebots zu potenziell tödlichen Selbstversuchen mit Strom überredet.

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