Viele Eltern kennen das Problem: Es ist Abend, die eigene Kinderärztin nicht mehr erreichbar, und das Kind bekommt plötzlich starke Schmerzen. Die bekannten Hausmittel helfen nicht, ärztliche Hilfe ist notwendig. Im Landkreis Ebersberg bleibt da oft nur der Weg zur Kreisklinik. Eine Kinderstation gibt es hier freilich nicht – Versuche, daran etwas zu ändern, blieben in der Vergangenheit stets erfolglos. Künftig aber kann auch in der Ebersberger Notaufnahme schnell fachliche Expertise hinzugezogen werden – und zwar per Videoschalte. „TelEmergency Kids“ heißt das Pilotprojekt, das von März an gemeinsam mit der München Klinik Schwabing umgesetzt wird. Es soll Versorgungslücken schließen und könnte bundesweit Schule machen, wie es in einer gemeinsamen Pressemitteilung der beiden Kliniken heißt.
Allein im Jahr 2024 wurden mehr als 3000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in der Ebersberger Notaufnahme versorgt – das entspricht zehn Prozent aller Fälle. Genau hier setzt TelEmergency Kids an: Kinder, die in der Ebersberger Notaufnahme vorgestellt werden, erhalten künftig per Videoschalte – dem sogenannten Telekonsil – eine direkte Einschätzung durch einen kinderärztlichen Notfallmediziner aus dem Schwabinger Krankenhaus, das auf Kindernotfallversorgung der höchsten Stufe spezialisiert ist.
Die wohnortnahe Versorgung soll verbessert werden
Gemeinsam mit dem behandelnden Arzt vor Ort und den Eltern werde die bestmögliche Entscheidung getroffen, heißt es in der Pressemitteilung – sei es eine sofortige Verlegung, eine Behandlung vor Ort oder eine ambulante Weiterbetreuung. Durch diesen innovativen Ansatz könnten unnötige Fahrtstrecken und Verlegungen vermieden, Wartezeiten reduziert, Eltern und Kindern viel Stress erspart und die Notaufnahmen entlastet werden. Durch digitale Konsile mit pädiatrischen Fachärzten werde eine schnelle, sichere und wohnortnahe Behandlung ermöglicht. Auch das Personal beider Notaufnahmen profitiert von der direkten Einschätzung vor Ort.
„Schwer erkrankte oder verletzte Kinder, die eine intensivmedizinische Betreuung benötigen, werden weiterhin primär durch den Rettungsdienst in spezialisierte Zentren transportiert oder sofort verlegt. Für die vielen anderen Fälle können wir mit der geplanten Kooperation die Versorgungsqualität und -sicherheit weiter erhöhen“, unterstreicht Viktoria Bogner-Flatz, Chefärztin der Zentralen Notaufnahme in der Kreisklinik.

Die beiden Partner wollen auf diese Weise gemeinsam telemedizinische Kinder-Notfall- und Akutversorgung in die Fläche bringen und die Versorgung im Landkreis Ebersberg optimieren – bei gleichzeitiger Entlastung der hoch spezialisierten Kindernotaufnahmen. „Das Modellprojekt zeigt, wie telemedizinische Netzwerke helfen können, Versorgungslücken in der pädiatrischen Notfall- und Akutmedizin zu schließen. Es schafft eine Blaupause für eine flächendeckende, digitale Vernetzung, die bundesweit Schule machen kann. Mit TelEmergency Kids leisten die Kreisklinik Ebersberg und die München Klinik Schwabing einen entscheidenden Beitrag, um Kindernotfall- und Akutversorgung auch in ländlichen Regionen effizienter und sicherer zu gestalten“, so die Einschätzung der beiden Projektpartner in ihrer Pressemitteilung.
Schon seit Langem werden Versorgungslücken im Landkreis kritisiert
„Wir verfügen durch das jahrelang gut erprobte Konzept der Telemedizinischen Konsile im Tempis-Netzwerk, einer hoch spezialisierten Schlaganfallversorgung mittels Telemedizin, über die nötige Expertise und Erfahrung. In der Schlaganfallversorgung funktioniert das Modell heute sehr gut: Es bringt die Expertise in die Fläche und die Hilfe dorthin, wo sie gebraucht wird. So planen wir das nun auch mit unserer exzellenten pädiatrischen Expertise aus Schwabing“, erklärt Goetz Brodermann, Vorsitzender der Geschäftsführung der München Klinik.

Kindermedizin:Gute Versorgung gefährdet
Die Lage in den Kinderarztpraxen im Landkreis Ebersberg ist bedenklich - gearbeitet wird am Anschlag, dennoch kommen so manche Eltern nicht einmal durch, um einen Termin für ihr krankes Kind zu vereinbaren. Doch es gibt auch zwei gute Nachrichten.
Im Landkreis Ebersberg wird schon seit Jahren immer wieder kritisiert, dass die kinderärztliche Versorgung außerhalb der Öffnungszeiten der Kinderarztpraxen verbesserungsbedürftig ist. Lebensbedrohlich erkrankte oder verletzte Kinder werden vom Rettungsdienst auch bisher schon in eine spezialisierte Kinderklinik gebracht. Treten Erkrankungen auf, die zwar kein Fall für den Rettungsdienst sind, deren Behandlung aber auch nicht warten kann, hilft meist nur die lange Fahrt zur nächsten Kinderklinik nach Rosenheim oder in der Landeshauptstadt. Forderungen der Politik, auch an der Ebersberger Kreisklinik eine Kinderstation zu etablieren, waren bisher vergeblich. Hinzu kommt, dass auch die Kinderarztpraxen im Landkreis völlig überlastet sind: „Wenn der Anspruch eine gute Versorgung ist, dann kann man durchaus sagen: Die ist gerade gefährdet“, sagte 2022 ein Baldhamer Kinderarzt zur Situation.
Allerdings wurde in kleinen Schritten auch etwas für die bessere kinderärztliche Versorgung getan. Am Medizinischen Versorgungszentrum, das an die Kreisklinik angegliedert ist, wurde im Frühjahr 2023 eine Kinderarzt-Praxis angesiedelt. Kinderärztin Veronika Spranger hat seitdem auch die Untersuchungen der in der Kreisklinik Ebersberg geborenen Babys übernommen. Ein Jahr später hat Spranger durch Azra Kukolj Verstärkung erhalten.