Der Schreibtisch von Christian Bayer ist ziemlich groß – die eine Hälfte steht an der Wand, die andere schließt sich wie ein L daran an und ragt in die Mitte des Raumes. Zwei Bildschirme und ein Laptop stehen darauf. Das war’s. Keine Akten oder Unterlagen, kein Stift oder Papier – nicht einmal ein Post-it klebt an einem der Bildschirme. Alles tipptopp sauber, man möchte sogar sagen: fast schon steril. Gut möglich, dass das daran liegt, dass der 41-Jährige gerade erst seine zweite Arbeitswoche an der Ebersberger Kreisklinik erlebt: Seit September ist er dort der Medizinische Direktor. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Gynäkologe einfach der richtige Mann für die neu geschaffene Position zu sein scheint: Er soll die Klinik fit machen für eine Zukunft, in der die Gesundheitsversorgung immer komplexer wird.
„Die vom Bundesgesundheitsminister angestrebte Krankenhausreform wird Veränderungen in der Kliniklandschaft verursachen“, teilt Robert Niedergesäß (CSU) mit, der als Landrat den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden der Kreisklinik innehat. „Wir gehen davon aus, dass die Klinik künftig eine etwas größere Region versorgen wird.“ Gemeinsam mit Geschäftsführer Stefan Huber werde sich der neue Medizinische Direktor vor allem um die medizin-administrativen Voraussetzungen dafür kümmern. Da scheint es jemanden zu brauchen mit aufgeräumtem Kopf – und ein aufgeräumter Schreibtisch ist da sicherlich hilfreich.
„Ich glaube, dass wir in Deutschland ein sehr gutes Gesundheitssystem haben“, sagt Bayer. „Aber wir stehen vor finanziellen Herausforderungen“, fügt er noch an. Gerade an der Kreisklinik sind eben jene nicht unbedingt klein. Als Klinik-Chef Huber im Dezember 2023 im Kreistag den Geschäftsbericht über das zweite Halbjahr präsentierte, sprach er von einem täglichen Verlust von 27 000 Euro. Mit einem Minus von insgesamt zehn Millionen Euro hat die Klinik im vergangenen Jahr ihr bislang schlechtestes Ergebnis eingefahren. Schlechte Betriebsführung also? Nein, ganz so einfach ist es nicht.
2023 mussten 40 Klinikstandorte in ganz Deutschland schließen – so viele wie nie zuvor
Laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) erwarten heuer 70 Prozent der Kliniken ein negatives Ergebnis, im kommenden Jahr könnten es sogar bis zu 80 Prozent sein. 2023 gingen so viele Kliniken wie noch nie insolvent, nämlich 40 Standorte. DKG-Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß macht für die schlechte wirtschaftliche Lage der Häuser vor allem den bislang ausgebliebenen Ausgleich für die inflationsbedingt stark gestiegenen Preise in den Jahren 2022 und 2023 verantwortlich.
Die Kreisklinik in Ebersberg steht also mitnichten alleine da mit ihren finanziellen Schwierigkeiten. Neben den hohen Betriebskosten sind auch die zunehmenden Personalkosten durch Tarifsteigerungen ein Problem, wie Geschäftsführer Huber in besagter Kreistagssitzung erklärte. „Für die Mitarbeiter ist das zwar gut und berechtigt, aber es wird nicht gegenfinanziert“, sagte er damals.
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Ausgerechnet in Zeiten, in denen das Portemonnaie der Kreisklinik genauso steril daherkommt wie der Schreibtisch von Christian Bayer, einen neuen Posten im Management zu schaffen, mag im ersten Augenblick irritieren. Dafür ist dann also schon Geld da? Für den Medizinischen Direktor lässt diese Sichtweise jedoch einen wichtigen Aspekt außer Acht: „Die meisten Investitionen refinanzieren sich irgendwann“, sagt er, „das ist wie in der Beratung.“ Und davon hat er Ahnung: Bis 2018 war der Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe Oberarzt an der Frauenklinik des Universitätsklinikums Erlangen, bevor er 2019 in die Unternehmensberatung WMC Healthcare mit Sitz in München wechselte. Dort hat er zuletzt als Principal im Rahmen komplexer Projekte Krankenhäuser in ganz Deutschland beraten und begleitet.
Bayer sieht Chancen, wenn ambulante und stationäre Strukturen mehr ineinandergreifen
Die Gesundheitsbereiche würden immer vielfältiger, die Möglichkeiten von Therapien moderner und individueller. „Vor 30 Jahren war es noch unvorstellbar, einen Leistenbruch ambulant zu operieren“, sagt Bayer. Heute sei das oft möglich. Oder Eierstockzysten zu entfernen – auch das funktioniere heutzutage in der Regel relativ unkompliziert mit einer Bauchspiegelung. Die Medizin verändert sich, dementsprechend sollte es Bayer zufolge auch die Struktur, in die die Versorgung eingebettet ist. „Mein Wunsch ist es, die Trennung zwischen ambulant und stationär weiter aufzuheben“, sagt er, betont aber, dass er damit nicht meine, gegen ambulante Strukturen zu arbeiten. Sondern gemeinsam eine neue Art der Versorgung zu schaffen, die an die Gegebenheiten der Gesellschaft angepasst ist – und damit finanziell effizienter ist.
In diesem Kontext spricht er unter anderem von dem großen Potenzial, das seiner Ansicht nach in der Telemedizin liegt. Zwar gebe es aktuell so viele Ärztinnen und Ärzte wie noch nie, jedoch auch Arbeitszeitschutzgesetze, die es vor 20 Jahren entweder noch nicht gegeben habe oder die niemanden interessiert hätten. Hinzu käme, dass heutzutage viele Menschen lieber in der Stadt als auf dem Land leben wollten – kurz: Die zahlreichen nachkommenden Ärzte und Ärztinnen würden die Versorgungslage in ländlichen Regionen nicht wesentlich verbessern. Zumindest dann nicht, wenn man die Struktur nicht anpasse. Konzepte rund um Telemedizin, in deren Rahmen zum Beispiel eine Gemeindeschwester beim Patienten vor Ort ist und ein Mediziner per Video zugeschaltet wird, könnten laut Bayer eine Lösung sein.
In der Kreisklinik wird heute schon im Bereich von Schlaganfall-Patienten mit Telemedizin gearbeitet. Nur dadurch ist es möglich, Betroffene überhaupt zu versorgen, obwohl es im Haus keine Neurologie gibt – ein zeitlicher und damit durchaus relevanter Vorteil für Patienten, weil sie im Fall der Fälle nicht in ein weiter entfernt liegendes Krankenhaus nach München müssen.
Um seine neue Funktion zu beschreiben, greift Bayer selbst zu folgender Metapher: „Jede Abteilung in der Klinik ist wie ein Zahnrad – und ich bin das Schmiermittel und schaue, dass alles reibungslos läuft.“ Als Arzt bringe er eine weitere Perspektive mit ins Management ein. „Stefan Huber und ich arbeiten sehr gut zusammen, weil wir die Zukunft der Klinik aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten.“
Im Krankenhaus ist der Mediziner zwar an der direkten Patientenversorgung nicht mehr beteiligt, in seinem Ehrenamt als Bereitschaftsarzt beim Roten Kreuz in Augsburg aber schon. Dort ist er für die ärztliche Fortbildung der Ehrenamtlichen ebenso zuständig wie für deren medizinische Untersuchungen. Als begeisterter Skifahrer ist Bayer zudem in der Berg- und Höhenmedizin ausgebildet – auch, weil er oft mit seiner Frau und den beiden Kindern in den Bergen unterwegs ist. „Es gibt viele Möglichkeiten für einen Arzt, ärztlich tätig zu sein“, sagt er. „Und in meiner Funktion als Medizinischer Direktor kann ich vielen Patienten auf einen Schlag helfen.“