Kreisklinik Ebersberg:"Der limitierende Faktor ist das Personal"

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Geschäftsführer Stefan Huber muss die Ebersberger Kreisklinik durch finanziell schwere Zeiten lotsen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Derzeit gibt es keine Corona-Patienten mehr auf der Intensivstation in Ebersberg. Volle Auslastung herrscht trotzdem. Klinik-Chef Stefan Huber über Versorgungsengpässe, Ausgleichszahlungen und angeblich verschwundene Betten

Interview von Johanna Feckl, Ebersberg

Es war Mitte April, als es im Krankenhausverbund Ebersberg, Erding und Freising von 38 Intensivbetten noch drei freie gab. Und jetzt, bei den rasant sinkenden Fallzahlen? Im Gespräch mit der SZ spricht Klinik-Chef Stefan Huber über die aktuelle Situation auf der Ebersberger Intensivstation und erklärt, warum Schlüsse oft schwieriger sind als vermutet - und wieso nicht alles eine Folge von Corona ist.

SZ: Herr Huber, die Fallzahlen sinken, am Mittwoch lag die Inzidenz im Kreis erstmals seit langem unter 20. Wie sieht die Situation auf der Intensivstation aus?

Stefan Huber: Wir haben in diesem Augenblick 16 belegte Betten auf unserer Intensivstation. Damit sind wir momentan voll, einen weiteren Intensivpatienten würde die Rettungsleitstelle in Erding jetzt in eine andere Klinik umleiten.

Bedeutet das einen Versorgungsengpass?

Nein. Die Sache ist viel komplexer, als das man aus bloßen Belegungszahlen solche Schlüsse ziehen könnte. Wir hatten bislang nie das Problem, dass ein intensivpflichtiger Patient kein Intensivbett bekommen hat. Von März 2020 bis heute mussten wir zweimal einen Patienten von der Intensivstation verlegen, damit wir unsere Notfallkapazität aufrecht erhalten konnten. Aber so etwas ist auch vor Corona vorgekommen.

Aber voll bedeutet doch trotzdem voll.

Intensivstationen in Deutschland sind selten leer und in aller Regel sehr gut belegt. Es kam auch vor Corona häufig vor, dass Kliniken zeitweise an der Kapazitätsgrenze schwebten - übrigens ist keiner der aktuell 16 Patienten auf unserer Intensivstation ein Corona-Patient. Das sind alles Momentaufnahmen, die Situation ändert sich ständig. Wenn die Kapazität ausgeschöpft ist, dann melden wir uns bei der Rettungsleitstelle ab, sodass neue Intensivpatienten in andere Häuser gebracht werden.

Aber liegt nicht genau hier das Problem? Bei einem Herzinfarkt geht es um Minuten: Wenn der Weg nicht in die nächste Klinik führt, sondern 35 Kilometer weiter, könnte es für den Patienten zu spät sein.

Um beim Beispiel des Herzinfarkts zu bleiben: Der kommt trotzdem zu uns. Aber eben nicht auf die Intensiv - egal, ob die voll ist oder nicht -, sondern ins Herzkatheter-Labor zur Erstversorgung. Nicht jeder Patient wird intensivpflichtig, oft nur überwachungspflichtig, dann kommt er in unsere sogenannte Brustschmerzeinheit. Falls er doch intensivpflichtig ist, ist er nun aber stabil genug, um in eine andere Klinik verlegt zu werden.

Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) warnte im April davor, dass es bei weiter steigenden Corona-Infektionszahlen kritisch um die Intensivversorgung steht. Wenn man Ihnen nun zuhört, könnte man den Eindruck gewinnen, die DIVI-Meldungen sind Quatsch?

Nein, man kann aus den Meldungen sicherlich Tendenzen schließen. Aber: Das DIVI-Register dokumentiert keine Tagesmittelwerte, sondern die Situation zu genau einem Zeitpunkt am Tag. Das kann sich minütlich ändern: Ein Intensivpatient erholt sich und wird auf die Normalstation verlegt, oder es wird Personal umgeschichtet, sodass mehr Intensivbetten betrieben werden können - das ist bei uns zu Zeiten sehr hoher Corona-Fallzahlen geschehen. Aus einer Momentaufnahme lässt sich nicht ohne weiteres auf das Gesamte schließen.

Was heißt das für Aussagen über die Auslastung der Kliniken in der Pandemie?

Es gilt weiterhin: Die Sache ist komplex. Betrachtet man sich unsere Auslastung, dann hatten wir an der Kreisklinik unmittelbar vor der Pandemie sogar eine höhere Auslastung auf der Intensivstation als mit Corona: 2019 waren es 749 Patienten mit einer Liegedauer von 7,18 Tagen, 2020 waren es 725 Patienten und 6,09 Tage. Aber die Belastung ist für das gesamte Personal nun definitiv höher. Insbesondere die Intensivkräfte arbeiten seit mehr als einem Jahr durchgehend am Limit. Das liegt an der physischen und psychischen Sonderbelastung durch Corona: Die Isolationen der Patienten, das Tragen der Schutzausrüstung kombiniert mit teils brutalen Einzelschicksalen und erschreckenden Krankheitsverläufen erfordern dringend eine Verschnaufpause für unser Personal.

Sofern die Inzidenz über 70 lag und in der Region weniger als 25 Prozent der Intensivbetten frei waren, hat der Bund zuletzt Ausgleichszahlungen an betroffene Kliniken geleistet. Hat auch die Kreisklinik solche Zahlungen erhalten?

Selbstverständlich. Wir hatten unser elektives Programm teilweise stark reduziert oder komplett ausgesetzt. Dadurch haben wir Intensivkapazitäten freigehalten - aber auch massive Einnahmenausfälle generiert, während das Personal als größter Kostenfaktor notwendigerweise trotzdem vorhanden war. Die Erlösausgleichzahlungen sollten dafür sorgen, dass die versorgenden Kliniken nicht zu massiv in ein wirtschaftliches Kostendefizit rutschen.

Wie haben sich die Zahlungen errechnet?

Von jeder Klinik wurde die durchschnittliche Bettenbelegung im Jahr 2019 ermittelt. Bei uns waren das 253 Betten. In der ersten Phase der Pandemie gab es bezogen auf den Durchschnittswert 2019 pro nicht belegtem Bett am Tag 560 Euro. Ein Beispiel: Waren 200 Betten belegt, haben wir für 53 Betten einen Ausgleich erhalten, also 29 680 Euro. Dabei war es egal, auf welcher Station Betten frei waren.

Es gab noch weitere Zahlungen während der Krise, nämlich für jedes neu geschaffene Intensivbett 50 000 Euro. Wie viele Betten sind an der Kreisklinik entstanden?

Wir haben zehn zusätzliche Betten geschaffen und zehn weitere Beatmungsgeräte bereitgestellt. Im Notfall hätten wir das Personal bündeln und damit zehn weitere Patienten auf Intensiv behandeln und beatmen können. Der limitierende Faktor ist letztlich das Personal: Ich kann auch 100 neue Betten anschaffen, aber wenn ich das Personal nicht habe, um 100 weitere Patienten zu versorgen, dann bringt das nichts.

Finanziell aber schon, im Gesetz ist von notwendigen Personalressourcen nämlich keine Rede. Das heißt: Schafft eine Klinik 100 Betten und Beatmungsgeräte an, auch wenn es keine entsprechenden personellen Kapazitäten gibt, könnte Geld fließen. Die Regelung ist betrugsanfällig.

Sie ist mindestens interpretationsfähig. Manche Kliniken, vermutlich eher private Verbünde, haben die Regelung wohl schon sehr weit ausgelegt. Ob diese damit einen Betrug begangen haben, wage ich allerdings zu bezweifeln. Ungenaue Vorgaben fördern ungenaue Auslegungen. Man darf dabei nicht vergessen, dass der Gesetzgeber eines erreichen wollte: eine höhere Intensivbettenkapazität.

Vor allem in sozialen Medien kursiert immer wieder die Behauptung, es seien Tausende Intensivbetten verschwunden. Könnten hier Betrugsfälle vorliegen?

Nein, für Betrug sehe ich keinen Anhaltspunkt. Zu Beginn der Pandemie wurden Anreize geschaffen, damit mehr Intensivbetten entstehen. Das haben Kliniken umgesetzt. Selbstverständlich hätte der Behandlungsstandard aber nicht den eigentlichen Anforderungen entsprochen: Eine Intensivfachpflegekraft hätte dann nicht zwei Patienten betreut, sondern eher feldlazarettmäßig vielleicht zehn Patienten. Man muss also klar unterscheiden zwischen aufgestellten und unter normalen Umständen betreibbaren Intensivbetten. Nach der ersten Welle hat man nur noch die unter normalen Umständen betreibbaren Betten gemeldet.

Kommen wir zurück zu den Intensivbetten: Was wäre die ideale Belegung?

Wenn wir zusätzlich zu unseren durchschnittlich 18 Betten immer zwei zusätzliche hätten, wäre das für die Versorgung sicherlich gut - also etwa zehn Prozent Puffer. Aber in Deutschland plant man am Bedarf: Bei dem aktuellen System kann es sich kein Haus leisten, ständig so viel oder mehr Intensivkapazitäten frei zu halten. Alleine die sehr hohen Personalkosten würden nicht finanziert werden.

Und wie sieht die Realität aus?

Etwa ein Drittel des Jahres sind wir zu 90 bis 100 Prozent belegt, auch vor Corona. Beim zweiten Drittel sind es 80 Prozent, beim dritten 70 Prozent - noch weniger ist selten. Ich denke, dass unsere grundsätzliche Kapazität von 18 Betten ausreicht. Wir wären durch personelles Umschichten schnell in der Lage, zehn Betten mehr zu betreiben. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir in Deutschland bei einer Pandemie der aktuellen Größenordnung nicht in die Situation geraten, eine Triage vornehmen zu müssen. Zeitweise Engpässe und eine enorme Belastung für das Personal gibt es natürlich, aber eine Nichtversorgung halte ich für ausgeschlossen.

© SZ vom 19.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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