Amtsgericht Ebersberg:Betrüger mit besten Absichten

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Ein ungewöhnlicher Fall wurde nun vor dem Amtsgericht Ebersberg verhandelt. (Foto: Christian Endt)

Ein 36-Jähriger aus dem Landkreis wird wegen Urkundenfälschung verurteilt. Er hatte sich als Rettungsassistent ausgegeben und so bei der Kreisklinik Ebersberg einen Job erschlichen. Das Besondere: Offenbar hat er hervorragende Arbeit geleistet.

Von Merlin Wassermann, Ebersberg

Der Fall klingt, aufgrund der Extreme, die er in sich vereint, fast schon wie ein philosophisches Gedankenexperiment. Viel spricht dabei gegen den 36-jährigen Angeklagten: Im Jahr 2020 hat er betrogen, mehrfach. Da ist zum einen, dass er Arbeitslosengeld I bezogen hat, obwohl er schon wieder einen Job hatte - allerdings nur einen Monat und, wie er beteuert, aus Versehen, er habe sich schlicht im Datum geirrt. Da ist zum anderen die Urkundenfälschung, um den erwähnten Job zu bekommen. Er fälschte - mindestens - drei Dokumente, mit denen er sich Qualifikationen zusprach, die er nicht hatte.

Eines davon war ein Auszug aus dem Bundeszentralregister, das ihm eine blütenreine Weste bescheinigte. Dabei war die Weste einschlägig dunkel getönt: Neben einem besonders schweren Fall von Diebstahl hat der Angeklagte 25 Vorstrafen wegen Betrugs und saß deswegen bis Frühjahr 2020 eine Haftstrafe ab. "Kaum entlassen, machen Sie dann aber munter weiter, und das sieht, mit Verlaub, scheiße aus", wie es der Staatsanwalt formulierte. Dazu kommt, dass der Angeklagte gerade noch zwei Bewährungsstrafen verbüßt, was bereits selten ist. Eine dritte wäre "sehr ungewöhnlich", wie auch der Pflichtverteidiger des Angeklagten, Uwe Paschertz, zugab. Die anderen beiden Dokumente haben etwas mit dem Beruf zu tun, den sich der Angeklagte angedichtet hat: Eine Urkunde, die ihn, trotz mangelnder Ausbildung, als Rettungssanitäter auswies, und eine weitere, die ihm eine "Advanced Cardiac Life Support"-Fortbildung bescheinigte. Erstellt hat er sie sich mit einem Computerprogramm, das eigentlich zum Herstellen von Sporturkunden verwendet wird.

Der Autodidakt sei "von einer Fachkraft nicht zu unterscheiden" gewesen

Mit den Dokumenten hatte sich der 36-Jährige im April 2020 - und hier wird es spannend - erfolgreich bei der Kreisklinik Ebersberg beworben und dort anschließend fünf Monate als Rettungsassistent gearbeitet, bis der Betrug aufflog. Eine weitere Bewerbung auf einen Minijob als Rettungssanitäter blieb im Versuchsstadium stecken. Nun möchte man meinen, dass es sehr schnell auffallen würde, wenn jemand einen Beruf ausübt, für den er nicht qualifiziert ist. Allerdings scheint diese Nicht-Qualifikation für den Angeklagten nur auf dem Papier zu bestehen.

So hatte er schon einmal eine Ausbildung zum Rettungssanitäter angefangen, aber nicht abgeschlossen. Den Rest des nötigen Know-hows scheint er sich "autodidaktisch", wie Verteidiger Uwe Paschertz es ausdrückte, angeeignet zu haben. Denn in diesen fünf Monaten hat der Angeklagte gute Arbeit geleistet, sehr gute sogar. Paschertz zitiert ausgiebig Klinikleiter Stefan Huber, bei dem sich der Angeklagte auch entschuldigt hat und welcher nur "überschwängliches Lob" übrig habe: Der Angeklagte sei fachlich wie sozial sehr kompetent gewesen, von einer normalen Fachkraft nicht zu unterscheiden, es sei niemand zu Schaden gekommen. Das mag wie eine Aussage zum Schutz des Klinikums klingen, doch tatsächlich konnte kein Schaden nachgewiesen werden. Auch Richterin Vera Hörauf erkannte an, dass es aufgrund des Engagements und der Fähigkeiten des Angeklagten "nur um Betrug" ging, nicht um etwas Schlimmeres.

Der Angeklagte wollte niemandem auf der Tasche liegen

Seine Befähigung ist aber nicht das einzige, das für ihn spricht. Der Angeklagte zeigte sich durchweg reumütig und geständig. Gleich zu Beginn gab er alles zu. Auch hat der Nicht-ganz-Sanitäter mittlerweile einen legalen Job als Dokumentationskraft, als welche er die Corona-Impfkampagne unterstützt. Dazu kommen eine neue Wohnung und eine neue Freundin, "privat ist also alles in Ordnung", wie der Verteidiger diese Fakten deutet. Zudem war die Motivation für den Betrug speziell: Anstatt sich Medikamente zu verschaffen oder sich sonst irgendwie schnell zu bereichern, wollte der Angeklagte einfach einer geregelten Arbeit nachgehen, "um dem Staat und meiner Familie nicht auf der Tasche liegen zu müssen", wie er selbst sagte. Und das alles während der Pandemie, "in der Klinikpersonal aller Art rar ist und er an vorderster Front stand, um Menschen zu helfen", wie Paschertz ergänzte. Auf die Frage der Richterin, weshalb der Angeklagte denn nicht die Ausbildung zu Ende bringen oder neu beginnen würde, erklärte dieser, dass ihm das auf Grund seiner Vorstrafen nicht möglich sei. "Das ist schade", befanden beide.

So ambivalent die Person des Angeklagten und seine Taten sind, so gegensätzlich dann auch die Abschlussplädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung. Erstere forderte aufgrund der hohen kriminellen Energie, der vielen Vorstrafen und Bewährungsauflagen sowie der daraus resultierenden negativen Sozialprognose ein Jahr und drei Monate Haft ohne Bewährung. Während der Staatsanwalt dies vortrug, kämpfte der Angeklagte sichtlich mit den Tränen. Die Verteidigung hingegen erbat wegen der besonderen Umstände Milde, entweder in Form einer Geldstrafe oder einer Haftstrafe auf Bewährung. In seinem Abschlussstatement betonte der Angeklagte, dass es im leidtue, dass er sich bemühen wolle und dass er gerade erst etwas für sich aufgebaut habe. "Ich habe Angst, alles wieder zu verlieren", sagte er niedergeschlagen.

In einer philosophischen Grundsatzdiskussion könnte man ewig das Für und Wider abwägen, und so mancher würde sich sicher auf die Seite der Verteidigung schlagen. Doch, zum Pech für den Angeklagten, ist der Gerichtssaal kein Hörsaal. Die Richterin kam dementsprechend schnell zum abschließenden Urteil: ein Jahr und ein Monat Haftstrafe, ohne Bewährung. Sie sagte, es wäre "nicht vermittelbar", aufgrund der gerade erst erfolgten Haftentlassung, der Bewährungsstrafen sowie des Vorstrafenregisters, noch eine Bewährung zu ermöglichen.

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