Kosten für Straßenausbau:Letzte Chance

Will Vaterstetten nicht auf Kosten in Millionenhöhe sitzen bleiben, muss die Gemeinde in den kommenden zwei Jahren mehr als 30 Straßen ausbauen - und bei den Anwohnern kassieren

Von Wieland Bögel, Vaterstetten

Was ist knapp fünf Meter breit, dunkelgrau und hat rechts und links Laternen? Wer jetzt denkt, dabei handele es sich sicher um eine Straße, hat nur zum Teil recht. Denn nicht alles, was wie eine Straße aussieht, ist auch eine - zumindest im rechtlichen Sinne und in Vaterstetten. Dort gibt es eine Reihe von Straßen, die zwar seit Jahrzehnten in Benutzung sind - offiziell aber nie fertig gebaut wurden. Für die Anlieger kann das unter Umständen teure Folgen haben, wie nun im Bauausschuss zu erfahren war.

Konkret ging es darum, dass das Gremium zwei Straßen offiziell als "nicht endgültig hergestellt" einstufen sollte: Die Andreas-Herz-Straße in Baldham und der westliche Teil des Sonnenlandwegs in Neufarn seien demnach Provisorien und sollten in den kommenden Jahren richtig ausgebaut werden. Was einerseits vielleicht keine schlechte Idee ist - besteht das Provisorium laut Sitzungsvorlage doch bereits in beiden Fällen seit den späten 1960er-Jahren. Was aber andererseits für die Anlieger bedeutet, dass sie die Baumaßnahme zum großen Teil bezahlen müssen. Und nicht nur den Bewohnern der Andreas-Herz-Straße und des Sonnenlandwegs könnten bald Rechnungen ins Haus flattern. Bis zu zehn Prozent aller Straßen im Gemeindegebiet könnten betroffen sein. Diese Zahl nennt Bauamtsleiterin Brigitte Littke auf Nachfrage.

Dass Gemeinden die Kosten für neu gebaute Straßen eintreiben, ist nicht nur nicht ungewöhnlich, sondern sogar Pflicht, geregelt im Bayerischen Kommunalabgabengesetz. Es schreibt vor, dass Städte und Gemeinden für sogenannte Erschließungsanlagen, das sind vor allem Straßen, von deren Nutznießern eine Kostenbeteiligung erheben müssen. Wird etwa für ein Neubaugebiet eine neue Straße nötig, bezahlt der Bauherr in der Regel 90 Prozent der Straßenbaukosten.

Was einfach klingt, hat in der Praxis aber einige Tücken: Die erste ist, dass es in Vaterstetten einige Straßen gibt, die gewissermaßen ein dauerhaftes Provisorium sind - teilweise seit Jahrzehnten, erklärt Littke. Angelegt wurden diese von der Gemeinde Vaterstetten, in einigen Fällen aber auch von den Gemeinden Zorneding und Pöring. Denn bei der Gemeindegebietsreform 1978 übernahm Vaterstetten von diesen eben nicht nur Flächen, sondern auch zahlreiche Verkehrswege.

Die eben - wie viele andere in den kommenden Jahrzehnten - nie richtig ausgebaut wurden. Wie Littke erklärt, fehlt mancherorts eine richtige Entwässerung, andere Straßen sind eigentlich nur überteerte Feldwege ohne richtigen Unterbau. Wie viele das konkret sind, werde im Bauamt gerade untersucht. Etwa ein Drittel der 308 Straßen im Gemeindegebiet habe man schon durch, zehn davon sind wohl ein Fall für die Baukolonne. Ähnlich hoch schätzt Littke den Anteil der noch nicht überprüften Straßen, es gibt also etwa 30 Provisorien in der Gemeinde.

Diese sollen in den kommenden zwei bis drei Jahren richtig ausgebaut werden - oder vielmehr: müssen. Jedenfalls wenn die Gemeinde auf den Kosten dafür nicht sitzen bleiben will. Denn auch hier gibt es eine - noch relativ neue - Vorschrift im Kommunalabgabengesetz. Demnach wird ein Provisorium nach 25 Jahren zur richtigen Straße - egal wie gut oder schlecht sie ausgebaut ist, für weitere Maßnahmen kann die Gemeinde nicht kassieren. Allerdings gilt eine Übergangsfrist: Für Straßen die nach 1961 provisorisch und bis 1. April 2021 richtig ausgebaut werden, können Kommunen noch eine Kostenbeteiligung der Anwohner eintreiben. Und genau dies will die Gemeinde nun bei möglichst vielen Straßen versuchen, so Littke. Voraussichtlich im nächsten Straßenausbauprogramm, das im Februar vorgestellt wird, soll der Ausbau der Provisorien beschlossen werden.

Ein Vorgehen, dass FW-Gemeinderat Herbert Uhl im Ausschuss heftig kritisierte. Es handele sich um eine "fiktive Erst-Erschließung" mit dem Ziel, die Anwohner abzukassieren. Auf diese kommen in der Tat keine ganz geringen Kosten zu. Wie Littke auf Nachfrage erklärte, könne man zwar vor der Ausschreibung der Bauarbeiten keine genauen Prognosen treffen, und auch die Grundstücksgröße und Art der Nutzung wirkten sich auf die Kostenbeteiligung aus. Grob geschätzt dürfte allerdings pro Grundstück ein Betrag zwischen 3000 und 10 000 Euro für die Instandsetzung der Straßen fällig werden.

Dies wäre für Uhl ausdrücklich kein Erstausbau, sondern eine Sanierung - und für diese dürfen Kommunen seit der Abschaffung der Straßenausbaubeitragssatzungen nicht mehr bei Anwohnern kassieren. Dass die Straßen Provisorien sein sollten, erschließe sich ihm nicht, "man darf nicht die heutigen Maßstäbe hernehmen, vor 30 Jahren waren alle Straßen in dem Zustand". Zweiter Bürgermeister Martin Wagner (CSU) verwies dagegen auf die Rechtslage: Wenn noch nie für eine Straße Erschließungsbeiträge gezahlt wurden, "haben wir die Pflicht es abzurechnen". In der Vergangenheit habe man das vielleicht lockerer gehandhabt, "aber wegen dem Stichtag eilt es jetzt".

Gegen die Stimme Uhls wurden die beiden Straßen als Provisorien eingestuft. In den kommenden Monaten dürften noch einige weitere folgen. Ob diese dann aber tatsächlich mit einer Kostenbeteiligung der Anwohner ausgebaut werden, wird in manchen Fällen wohl letztlich ein Verwaltungsgericht entscheiden. Denn im Rathaus schließt man eine Klagewelle von Anwohnern gegen das Ausbauprogramm zumindest nicht aus: Im nichtöffentlichen Teil der jüngsten Gemeinderatssitzung ging es ausführlich um rechtliche Fragen bei der Ersterschließung alter Provisorien und warum man davon ausgeht, entsprechende Prozesse zu gewinnen.

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