Süddeutsche Zeitung

Konzertlesung in der Grafinger Stadtbücherei:Coolness statt Halali

Ein Abend für den legendären Jazz-Trompeter Chet Baker

Von Anja Blum, Grafing

Einen wunderbaren Moment der Andacht hat das Ebersberger Jazzfestival am Montagabend erlebt. Im Fokus: der James Dean des Jazz, der Trompeter Chet Baker. Ihm in Wort und Ton zu huldigen, dazu hatte sich ein so beseeltes wie kompetentes Quartett in der Grafinger Stadtbücherei eingefunden. Der Musikjournalist Marcus A. Woelfle erzählte vom bewegten und bewegenden Leben Bakers, ein Trio aus John Marshall, Alex Jung und Johannes Ochsenbauer ließ den Geist des Ausnahmemusikers klanglich auferstehen. So verwandelten die Vier den gut besuchten Ort des Wortes in einen Tempel des Jazz, das Publikum lauschte feierlich-aufmerksam und spendete reichlich Applaus.

Weniger ist mehr - auf diese scheinbar simple Formel könnte man Chet Bakers Spiel bringen. Der höchst eloquente Woelfle findet dafür freilich viele schöne sprachliche Bilder, zum Beispiel vergleicht er die Melodien des Trompeters mit Eiskristallen und Schmetterlingen - so filigran, so perfekt und schlüssig seien sie. Dank Chet Baker, erklärt er, habe für die Trompete eine neue Ära begonnen: weg vom ewigen Halali, hin zur Coolness. Das Ausnahmetalent, 1929 in Yale geboren, habe weder laut gespielt, noch sonderlich schnell, auch mit hohen Lagen oder großem Volumen habe Baker nicht auftrumpfen können. Vielmehr habe ihm ein fehlender Schneidezahn zu seinem ganz eigenen Stil verholfen. Zudem, so Woelfle, sei der Trompeter musiktheoretisch wenig geschult gewesen, er habe stets nach Gehör musiziert. Worin also lag der Zauber des Chet Baker? Gerade in der Reduktion, in der schlichten, scheinbar mühelosen Leichtigkeit seines Spiels, das auch emotional eher zurückhaltend daherkam. "Dramatik gab es bei ihm, wenn überhaupt, nur in homöopathischer Dosierung", so der Autor. "Er spielte wie ein Engel." Ein melancholischer Engel.

Jedenfalls avancierte Baker, ausgestattet mit unerhörtem Talent, zarter Stimme und einem hübschen Gesicht, schnell zum Liebling der Kritiker und der Frauenwelt - doch wie so oft folgte dem kreativen Hoch ein tiefer menschlicher Fall, ein Leben voller Widersprüche, Skandale und Exzesse, eine Odyssee über Bühnen, durch Gefängnisse und Kliniken. "Baker war ein Junkie, ein Räuber, untreuer Gatte und liebloser Vater", fasst Woelfle die Biografie des Trompeters zusammen und begibt sich auf Spurensuche, unter anderem in dessen Kindheit - "eine verdrängte Tragödie". Der verehrte Vater, ein Gitarrist, habe seinen Traum vom Musikerleben nie verwirklichen können, trank und schlug den Sohn, "auch, wenn dieser mal wieder zu laut Trompete spielte". Die Mutter hingegen habe das Kind erdrückt mit ihrer Zuneigung. In dieser tragischen Melange vermutet Woelfle den Grund für Bakers "selbstzerstörerische Tendenzen", außerdem führt er Erwartungsdruck, Lampenfieber und Schuldgefühle an. All das habe der Trompeter mit Drogen zu kompensieren versucht. Wen wundert es da, dass die zitierten Zeitzeugen sehr unterschiedlich urteilen: Mal wird der Musiker als liebenswürdig, mal als Psychopath beschrieben.

Doch trotz seines krisenhaften Lebenswandels sei Baker als Musiker nicht gescheitert, ganz im Gegenteil, schwärmt Woelfle. Zwar habe man sich bei Konzerten mit ihm auf alles gefasst machen müssen - oft war er versumpft, verschwunden oder verhaftet - doch seine schöpferische Kraft sei nie versiegt. "Sein Spiel hat sich sogar ständig noch verbessert, trotz widrigster Bedingungen." Selbst als Baker 1966 derart verprügelt wird, dass er fortan ein Gebiss tragen muss, hört er nicht auf, Trompete zu spielen, sondern entwickelt einen noch weicheren Sound. "Der späte Baker war tröstlicher als je zuvor", sagt Woelfle. Mit 58 Jahren - "ein biblisches Alter für einen wie ihn" - stürzte Chet Baker aus einem Hotelzimmer in Amsterdam. Warum, ist bis heute ungeklärt, selbst Woelfle hat dieses Rätsel noch nicht gelöst.

Dem Trio des Abends gelingt das Kunststück, Chet Bakers Musik als Reminiszenz lebendig werden zu lassen, ohne dass die Stücke zu platten Imitaten geraten würden. In der für Baker typischen reduzierten Besetzung ohne Klavier und Schlagzeug zelebrieren diese erstklassigen Musiker die Melodien diverser Standards - "But not for me" von Gershwin etwa, das große "My funny Valentine" oder die Ballade "Everthing happens to me" - und veranschaulichen daran den einstigen Paradigmenwechsel durch Baker. So untermalt an diesem Abend die Musik das Wort nicht nur, sondern untermauert es zugleich, so dass diese Konzertlesung wahrlich eine gelungene Symbiose ist, und eine große Bereicherung von EBE-Jazz.

Wie einst Baker und seine Kollegen swingen Trompete, Gitarre und Bass hier ganz ohne Drums, und obwohl das Akkordinstrument fehlt, fliegt das Trio nur so durch den Quintenzirkel. Daran hat vor allem Alex Jung Anteil, ein begnadeter Gitarrist, dem der technisch brillante Johannes Ochsenbauer am Bass allerdings in nichts nachsteht. John Marshalls Trompete klingt ebenso lyrisch und feinfühlig wie jene Bakers, er phrasiert geschmeidig, weiß sich allerdings auch vom Idol des Abends abzusetzen: durch ein stellenweise harmonisch doch komplexeres, virtuoseres Spiel. Außerdem hätte Baker vermutlich weder Schlips getragen, noch Tee getrunken.

Am Ende bleibt vor allem das Staunen, über die Eleganz des Unausgesprochenen, die Baker so berühmt gemacht hat, über seine wenigen Töne, die direkt ins Herz treffen. Das letzte Wort hat denn auch die Trompete, mit dem Liebeslied "Let's get lost" im Ohr darf das Publikum nach Hause swingen.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2019
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