Süddeutsche Zeitung

Konzertkritik:Wo der Herzschlag tönt

Drinnen statt Draußen bei der Sommerserenade: Das "Symphonieorchester des Kulturvereins Zorneding-Baldham" lässt Klänge statt Sterne funkeln

Von Ulrich Pfaffenberger, Grafing

Kirchenraum statt Schlosshof. Eine gute Serenade muss einen solchen Umzug vertragen, ohne ihre Kraft zu verlieren. Beim Orchester des Kulturvereins Zorneding-Baldham durfte man sich darauf verlassen. Keine Frage, dass bei einem seiner Höhepunkte im jährlichen Konzertkalender die musikalische Energie den wetterbedingten Transfer aus dem Innenhof von Schloss Elkofen in die evangelische Kirche von Grafing erhalten bleibt? Keine Frage. Zeigt das Ensemble doch traditionsgemäß zu diesem Anlass seine besten Tugenden, so auch an diesem Samstagabend. Selbst das improvisierte Schlagzeugsolo eines Platzregens auf dem Kirchendach brachte das Orchester während der Symphonie Nr. 3 von Franz Schubert nicht aus dem Takt. Im Gegenteil, es schien weitere, belebende Kräfte freizusetzen.

Wie überhaupt dieses eine von insgesamt vier Werken gleich mehrerlei Lebendigkeit sicht- und hörbar machte. Vom Komponisten im bewegten Alter von 19 Jahren geschrieben, stecken die vier kompakten Sätze voller jugendlicher Frische, voller Sturm, Drang und Leidenschaft. Das widerzuspiegeln, dazu muss ein Orchester nicht nur aufgelegt sein, dafür tut es ihm auch gut, jugendliche Spielfreude in den eigenen Reihen zu haben. Die langjährige Arbeit von Dirigent Andreas Pascal Heinzmann bei der Integration nachwachsender musikalischer Kräfte macht sich bei einem solchen Stück mehr als bezahlt: Das Miteinander der Generationen an den Instrumenten belebt die Klangfarbe des Orchesters genauso wie es seine Fähigkeit zum dynamischen Spiel vertieft. Dabei kommt die kräftige Bläserfarbe des Opus den bestens aufgelegten Klarinetten, Oboen, Fagotten, Hörnern, Flöten und Trompeten prächtig zupass, macht die Töne luftig und rein, gibt dem Spiel mit den Kontrasten zu den Streichern das Funkeln eines Spiegelkabinetts. Was für ein Vergnügen!

Mit eleganter Leichtigkeit setzten Dirigent und Ensemble hier ihren souveränen Umgang mit kunstvollen Volten fort, den sie zuvor schon bei der Ouvertüre zu Rossinis "Il Signor Bruschino" hatten anklingen lassen. Der burleske Humor der italienischen Musikkomödie kam zwar im Kirchenraum etwas eingebremst zum Klingen - vielleicht hätte der Schlosshof hier mehr Gaudiraum geboten - ließ aber zweifelsfrei erkennen, wie offen dieses Orchester für Geist und Witz ist. Ein solcher Fünfminüter könnte dauerhafter Repertoire-Gast werden, jederzeit für Zugaben geeignet und in der Lage, auch ein reserviertes (oder vom Wetter frustriertes) Publikum aufzumuntern. Zur Pause jedenfalls hagelte es schon mal Applaus.

Mit einer feinfühligen Interpretation einiger instrumental gesetzter Stücke aus Glucks Oper "Orphée er Euridice" knüpften Heinzmann und sein Orchester danach nahtlos an ihren leidenschaftlichen Umgang mit kompositorischen Emotionen an. Sollte es irgendwo Zweifel daran geben, ob man in diesem Werk die Gesangs- durch Instrumentalstimmen ersetzen darf, ohne die Kraft des Ausdrucks zu mindern - dann darf die Grafinger Aufführung als Argument für ein "Ja" gelten. Wenn auch im einen oder anderen Moment das Klangbild etwas ins Zittern geriet, so zeigte das Orchester doch neue Stärken im lyrischen Ausdruck und in der Zuwendung zu den Fantasien des Komponisten. Aus den eigenen Reihen kamen zudem die Glanzpunkte des Abends mit den beiden Soli für Oboe bei der "Arie Amour" und für Flöte beim "Ballet des Hombres heureuses", beides Auftritte von großer Anmut und berührender Tiefe, körperloses Ballett sozusagen für fantasiebegabte Zuhörer.

Bei Mozarts "Kleiner Nachtmusik" zum Ausklang dann rückte eine Instrumentengruppe in den Mittelpunkt, die das Zeug dazu hat, den schon lange exzellenten Bläsern des Orchesters auf den Leib zu rücken: die Bässe und Celli. Grandios vollzogen sie an diesem Abend die Metamorphose von der Rhythmusgruppe dorthin, wo der musikalische Herzschlag tönt. So, wie sie den zweiten Satz der Serenade intonierten, ist die Vorgabe "Romanza" vollendet in die Tat umgesetzt - und darf sich darüber hinaus über eine charakteristische Ausprägung Zorneding-Baldhamer Provenienz freuen.

Trauten sich in diesem Moment die Geigen und Bratschen, das Rondo im vierten Satz dann noch ein Stück näher an den Swing zu rücken, hätte das verzückte Publikum wohl gar nicht mehr daran gedacht, welchen Zauber diese Musik im alten Schlosshof hätte entfalten können. Gleichwohl war der begeisterte Schlussapplaus absolut Open-Air-würdig.

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Quelle:
SZ vom 23.07.2018
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