Süddeutsche Zeitung

Konzertkritik:Weihnachtsmusik ohne Zuckerguss

Peter Froundjian beschreitet beim Klavierzyklus unbekannte Pfade

Von RITA BAEDEKER, Ebersberg

Sogar am Heiligen Abend denken Engländer pragmatisch. Das zeigt der Text des altenglischen Weihnachtslieds "O Dame Get Up and Bake Your Pies". Darin fordert das Gesinde die Herrin des Hauses auf, den traditionellen Festkuchen zu backen. Der Komponist Sir Arnold Bax hat das Lied 1945 zu einem heiteren Klavierstück verarbeitet, ganz ohne Schmalz und Zuckerguss.

Die musikalische Bescherung, die Peter Froundjian, Pianist, Gründer und Leiter des Festivals "Raritäten der Klaviermusik" im schleswig-holsteinischen Husum, dem Publikum beim Klavierzyklus im leider nur zur Hälfte besetzten Alten Kino bereitet, klingt alles andere als süßlich. Froundjian hat ein dickes Notenbündel dabei, das Werke von 13 Komponisten aus dem 19. bis frühen 20. Jahrhundert enthält. Die Mischung reicht von originell und dissonant bis heimelig und heiter. Vor allem die Werke aus dem hohen Norden versetzen den Zuhörer in jene behagliche Stimmung, wie sie entsteht, wenn es draußen klirrend kalt ist, man drinnen am Kamin sitzt, einen Glögg trinkt und sich zur Hausmusik versammelt. Wie ein Detektiv hat sich der Pianist in Archive aufgemacht und Schätze zutage gefördert. Entstanden ist ein Programm "entlegener Klaviermusik", die Froundjian als "Meditationen über weihnachtliche Musik" bezeichnet. Und so spielt er die durchweg spätromantischen Stücke unaufgeregt, ohne Überschwang, aber doch eindringlich und feierlich.

Zwischen Hirtentanz, Wiegenlied und Schneegeriesel erblüht es, das Wunder der Heiligen Nacht. Mal eher schlicht und im Stil eines Glockenspiels wie bei Franz Liszt in seiner Sammlung "Der Weihnachtsbaum", aus dem Froundjian drei Sätze spielt. Mal gerät das Geschehen in Bethlehem mit reichlich Tastendonner zu einer dramatischen Klang-Kontemplation über das Jesuskind, wie in Olivier Messiaens dramatischem "Noël" aus seinem Zyklus "Vingt regards sur l'Enfant-Jésus". Und mal steht die ländliche Krippen-Idylle mit Ochs und Esel im Mittelpunkt, etwa in der zauberhaften "Pastorale" des Krakauers Ignaz Friedman, der die Hirten um die Krippe tanzen lässt.

Mit dem Motiv des bekanntesten Weihnachtsliedes spielte der dänische Komponist Carl Nielsen in seinem "Drommen om Glade Jul" ("Traum von Stille Nacht"), allerdings erklingt das Thema in dem variantenreichen Satz nur angedeutet. Nielsens nordische Kollegen spenden musikalischen "Weihnachtstrost" (Johann Peter Emilius Hartmann), verbreiten in einer Pastorale feierlichen Glanz (Gustav Helsted) und lassen "Schneeflocken" ("Snöflingor") tanzen wie Selim Palmgren.

Zwölf Miniaturen des Parisers Charles Koechlin mit dem Titel "Pastorales" bilden einen Zyklus an farbenreichen Klangimpressionen mit reicher, inniger Melodik. Und nachdem der Aufruf zum Kuchenbacken von Arnold Bax verklungen ist, spielt Froundjian Désiré-Émile Inghelbrechts bezaubernde "Pastourelles" - vom Klangbild "Nazareth" bis zum rustikalen Hirtentanz, der an das Kinderlied vom "Bi-Ba-Butzemann" erinnert; auch ein im brummigen Bariton angestimmtes Wiegenlied von Ochs und Esel, in dem das bekannte französische Weihnachtslied "Il est né, le divin enfant" ("es ist geboren, das göttliche Kind") anklingt, gehören zum Zyklus.

Peter Froundjian steigert im Verlauf des Konzerts Fülle und Farbigkeit der Gestaltung. Und legt nach heftigem Applaus noch zwei hübsche Geschenke unter den Weihnachtsbaum: Percy Graingers "Christmas Carol" von 1911 und den Walzer aus der "Weihnachtsbaum-Suite" von Wladimir Iwanowitsch Rebikow. Beide Stücke bilden einen festlichen Ausklang, der zurückführt auf bekanntere Pfade. Und vielleicht in die Küche, wo Teigschüssel und Plätzchenrezepte warten.

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Quelle:
SZ vom 12.12.2018
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