Süddeutsche Zeitung

Konzertkritik:Viel Persönlichkeit

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Liedermacherin Sarah Lesch spielt im Glonner Marktblick

Von Clara Lipkowski, Glonn

Etwas später am Abend stützt ein Zuschauer sein Kinn auf die verschränkten Hände und schluckt schwer. Eine Frau hat glänzende Augen. Das Publikum im Marktblick starrt zur Bühne, etwa 80 Menschen sind komplett still. Und Sarah Lesch singt vom Kapitän.

Kurz vorher hat die Leipziger Liedermacherin mit ihrer Gitarre auf dem Schoß die Geschichte von Stefan Schmidt erzählt. Er hatte 2004 mit der Cap Anamur Flüchtlinge aus der Seenot gerettet, kam dafür in Italien vor Gericht und wurde noch während des Prozesses in Deutschland mit einem Preis ausgezeichnet. "Was ist denn das für eine Welt, in der man einen Preis erhält und gleichzeitig vor Gericht steht?", singt sie. Da ist Sarah Lesch an diesem Donnerstagabend in Glonn das erste Mal politisch, kritisiert, wie es soweit kommen konnte, dass man die Frage, ob Bootsflüchtlinge gerettet werden, überhaupt stellt. Die Zuhörer sind elektrisiert.

Zuvor hat sie über das Musizieren gesungen und wie es ist, verliebt zu sein. Alles auf Deutsch, oft gereimt, mal träumerisch, mal kräftig, mal zart, mal im Staccato. Dem Polit-Song "Kapitän" mischt sie die Mundharmonika unter und erzeugt eine melancholische Sehnsucht nach Meer und Weite. Der Applaus danach ist fast der lauteste an diesem Abend. Noch ein wenig enthusiastischer klatscht man hier nur nach "Das mit dem Mond". Es geht um Rotwein und Drama, und wie sich Lesch um ihr "eigenes, kleines, europäisches Ich" dreht, wie sie sagt. Nach vier Texthängern, Grinsen, Kopfschütteln und der erstaunten Frage: "Ohje, wie kann denn das sein?", schaut sie dennoch herausfordernd ins Publikum. Dieses feiert sie umso lauter. Sarah Lesch strömt Sympathie entgegen, trotz Patzer - oder wegen der Patzer?

Die Herzen der Zuhörer hat sie schon ziemlich zu Beginn gewonnen, mit einem grandiosen Einstieg. Aber dafür muss man ein wenig ausholen: Die zwei grellen Scheinwerfer sind - nach einer kurzen Ansage von Markus Steinberger, der sichtlich stolz ist, dass er Sarah Lesch in sein Café vor ein vergleichsweise kleines Publikum holen konnte - auf die Sängerin und den Gitarristen und Bassisten Lukas Meister gerichtet. Lesch plaudert ein bisschen Richtung Publikum. Dann erzählt sie, wie sie in ihrer früheren Wohnung in Tübingen am großen Küchentisch sitzt, Freunde sind zu Besuch, es wird Wein getrunken, viel zu viel, "und ihr wisst schon, noch mehr Blödsinn geredet". Ja, klar, denkt man. Irgendwer fing dann damals an, sie solle doch mal was singen. Nein, singen könne sie nicht, sagte sie, aber spielen, also zupfte sie die Gitarre damals, so wie jetzt, und natürlich sang sie dann auch, und man kann sich genau vorstellen, wie der Abend weiterging. Sie erwähnt noch, dass die Suppe vom Abendessen irgendwann auf den Tisch gestellt wurde. So redet und singt sie und das Publikum schwelgt mit ihr in der Erinnerung, als sei man dabei gewesen - dabei kennt man sich gerade einmal vielleicht drei Minuten. Wie konnte das so schnell geschehen?

Die 32-Jährige bezirzt ihr Publikum. Wenn sie singt, schließt sie die Augen, um sie am Ende eines Satzes ostentativ zu öffnen, sie neigt dann das Kinn und schaut in die Menge, sie weiß, dass da jederzeit jemand ist, der ihren Blick sucht. Und ja, da sind Zuhörer, die mit offenem Mund ein wenig verwirrt-fasziniert gucken, und solche, die verträumt dreinblicken. Vielleicht fasziniert von der Nähe, die sie schafft, ohne zu viel Nähe entstehen zu lassen.

Sarah Lesch nimmt die Zuhörer im Marktblick mit auf eine Reise des Geschichtenerzählens, erzeugt Lacher mit Punktlandung. Sie macht sich nicht viel aus kryptischen Sätzen. Im Gegenteil, sie nutzt banale Phrasen - "und sie dreht sich und dreht sich und Wodka macht Unsinn". Dazu eine glasklare Stimme, fast vibrato-los, je später es wird auch mal rotzig, wenn sie einem Freund einen Song "brechtet" - in der Manier von Bertolt Brecht komponiert. Tritt man nach dem intensiven Konzert in die kalte Nachtluft, ist man fast ein wenig erleichtert. So viel Persönlichkeit muss erstmal verdaut werden.

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Quelle:
SZ vom 08.09.2018
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