Süddeutsche Zeitung

Konzertkritik:Ranzig mit Niveau

"Voodoo Jürgens" beweist beim Ebersberger Kulturfeuer im Alten Speicher, dass es ein Durcheinander gibt, das perfekt zusammenpasst

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Wer hätte gedacht, dass Vooddoo Jürgens süße Kringellöckchen hat!? Als der Wiener am Montag die Bühne des Alten Speichers betritt, sind seine blonden Haare ein wenig länger als gewöhnlich: Der Pony seines Vokuhilas reicht beinahe bis zu den Augen. Lang genug jedenfalls, dass sich Löckchen formen können. Aber eigentlich ist der 34-Jährige ja nach Ebersberg gekommen, um zu musizieren, er ist schließlich Liedermacher.

Austropop nennt sich die Musikrichtung, der Voodoo Jürgens von Kennern zugeordnet wird. Nach den Bands Bilderbuch, Wanda und Granada ist Voodoo Jürgens wohl der bekannteste Vertreter dieses Genres. Dessen roter Faden ist die österreichische Herkunft, und das ist auch der einzige Faden. Nicht einmal Dialekt ist ein Muss, um in die Riege der Austropop-Vertreter aufgenommen zu werden, wie man an Bilderbuch sieht, die in hübschem Schulhochdeutsch singen.

Austropop ist also irgendwie ein Mischmasch: Da wird ziemlich viel ziemlich Unterschiedliches ziemlich wild durcheinandergeworfen. Auch bei Voodoo Jürgens ist alles von Widersprüchen durchzogen. Das fängt schon bei seiner Erscheinung an: ein bisschen ranzig, wenn ihm zum Beispiel die verschwitzten Kringellöckchen nach dem Konzert noch an der Stirn kleben und er seine Hände mit einer halb leeren Flasche Jack Daniel's spielen lässt. Wenn es wenigstens ein guter Whiskey wäre!

Gleichzeitig ist aber während der Show des 34-Jährigen und seiner vier Bandkollegen eine stilvolle Attitüde präsent: Alle tragen sie Hemden mit langen Ärmeln, Voodoo Jürgens während der ersten paar Lieder sogar noch ein Sakko darüber. Hemden mit kurzem Arm sind was für Bubis - der lange Arm gehört dem seriösen Mann! Und das sorgfältig abgelegte Sakko wird nach dem letzten Lied natürlich ordentlich vom Bühnenboden aufgeklaubt. Die auffällige Kette unter dem halboffenen Hemd von Voodoo Jürgens - ob gold oder silbern lässt sich im bunten Bühnenlicht nicht sicher ausmachen - gleicht dann aber einem harten Strich durch das anständige Bild der Musiker. Da ist es wieder, das Durcheinander.

Ähnlich ist es um die Reihenfolge der Lieder bestellt. Eine Setliste, die festlegt, wann welcher Song kommt, gibt es am Montag nicht. Immer wieder dreht sich Voodoo Jürgens zu seinem Schlagzeuger um, wechselt mit ihm ein paar Worte und stimmt dann die Töne des nächsten Liedes an. "Irgendwie ist das so einfach spannender", erklärt er nach dem Konzert. Die ersten paar Lieder seien meistens dieselben. Was danach dran sei - da schaue man dann halt einfach. Irgendwas kommt immer.

Und das, was kommt, ist ohnehin in jedem Fall außergewöhnlich. Außergewöhnlich gut! Das Eigentümliche an der Musik von Voodoo Jürgens ist, dass er eigentlich nicht so richtig singt. Seine Kunst gleicht mehr einem Sprechgesang, aber melodischer. Tanzbar. Beschwingt. Mit treibendem und klarem Beat. Obwohl seine Texte oft gar nicht beschwingt sind. Sein bekanntestes Lied aus dem Jahr 2016, das so etwas wie seinen Durchbruch markiert, heißt "Heite grob ma Tote aus" - das Ebersberger Publikum singt, klatscht und tanzt, als Voodoo Jürgens den Song gegen Ende seines leider etwas kurz geratenen Konzerts spielt. Nach einer Stunde und 15 Minuten ist nämlich schon Schluss.

Davor erzählt der Liedermacher noch in dem Song "Tulln", gewidmet seiner Geburtsstadt, von seiner Kindheit, als Zuhause "die Fetz'n geflogen" sind und der "Stadtpark-Fredl" mit 500 Schilling lockte, denn "wenn'st ihm beim Wichsen zug'schaut hast, dann hat er das gemocht". Bei "Tulln" schweigt seine Band - Kontrabass, Geige, Keyboard und Schlagzeug. Zu intim sei das Lied, um es mit anderen Musikern zu spielen, sagt Jürgens. Stattdessen spielt er lieber einige Akkorde mit seiner Gitarre auf einer Loop-Station ein.

Bei einem Konzert von Voodoo Jürgens geht es nicht nur um seine Musik. Das wird in Ebersberg deutlich. Es geht auch um seine Attitüde. Seine ganz besondere Art zu sprechen und zu singen. Seinen morbiden Humor. Seine Erscheinung, irgendwo zwischen verlottert, süß und schick. Irgendwie passt das einfach alles ziemlich gut zusammen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4067963
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 25.07.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.