Konzertkritik:Kurz vor Herzstillstand

Klazz Brothers

Wandeln zwischen musikalischen Welten: die "Klazz-Brothers".

(Foto: Veranstalter)

"Klazz-Brothers" beweisen in Sonnenhausen ihre Klasse

Von Ulrich Pfaffenberger, Glonn

Was führt dazu, dass man sich berufen fühlt, ein Konzert, eine Interpretation über andere zu stellen? Nehmen wir den "Csárdás" von Vittorio Monti. Vielleicht haben wir ihn schon fünfzig Mal gehört, vielleicht hundert Mal. Der Umstand, dass wir beim 51. oder 101. Mal Freude empfinden, dass uns die Melodie trotz aller Vertrautheit überrascht, dass wir gespannt sind, mit welchem Einfall die Musiker den nächsten Takt würzen - aus all diesen Gründen dürfen wir uns verneigen, dürfen wir Beifall spenden, dürfen wir anderen empfehlen: Das solltest du dir auch anhören, das ist gut.

Was am Sonntagabend die große Reithalle auf Gut Sonnenhausen an Klängen erfüllte, war nicht gut. Es war von außerordentlicher Klasse. Nehmen wir Ludwig van Beethovens "Pathétique". Die kann man sich in allerlei großen und kleinen Interpretationen als meisterliche Klaviersonate anhören. Oder man gibt sich ihr hin in einer Herzrasen verursachenden Deutung der Leidenschaft, wie sie die Klazz-Brothers abliefern, zwei Sätze in karibisch-kubanischer Samba-Farbe, das Rondo dann in der zweiten Hausfarbe "Play Classics", die beherzten Rhythmen getrieben bis in den roten Bereich, die Themen mal geflüstert, mal gerufen. Da werden Punktierungen ausgereizt bis kurz vor dem Herzstillstand, da beschleunigt Bassist Kilian Forster die Tempi, bis das Blut kocht. Man würde Beethoven nicht unrecht tun, schriebe man: "Er hat das Stück genau für diesen Abend und dieses Trio komponiert."

Es ist gerade die Vielfalt im Ausdruck, die von Wissen und Stilsicherheit, von Einfühlungsvermögen und vom Mut zur eigenen Deutung kündet. Hier wird nicht einfach "angeeignet", hier hören wir wahrhaftigen Respekt. Etwa dann, wenn vier Stücke aus Schumanns "Kinderszenen" sich langsam entwickeln, voller Poesie, fast schon gedankenverloren, erfüllt von der tiefen, inneren Heiterkeit des erzählenden Betrachters, dem man ein Instrument gegeben hat, um die Bilder zu beleben, derer er sich erinnert. Wenn der Spannungsbogen aufbricht in einen fantasievoll intonierten Blues, in dem sich - wie später noch einmal bei "Summertime" - die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten mit der Vorfreude auf Kommendes paart und eine beherzte Aufbruchstimmung schafft, dann fühlt sich der Zuhörer erkannt, geborgen und begleitet. Solche Interpretationen nisten sich im Gedächtnis ein, ebenso wie der sehr naturalistische dritte Satz aus Beethovens "Sturm-Sonate", bei der Schlagzeuger Tim Hahn als Wettergott machtvoll über Sturm und Wind gebietet. Oder wie diese Hommage an Joseph Haydn, dessen "Symphonie mit dem Paukenschlag" das Trio in einem eigenen, von Uhrwerk und Zeitgang inspirierten Arrangement, die klügstmögliche Nachschöpfung zuteilwerden lässt.

Auch wenn alle drei Mitglieder auf gleich hohem Niveau musizieren, so verdient es doch Tobias Forster, eigens gewürdigt zu werden. Die Rückkehr des Gründungsmitglieds nach einer Solophase ist mitverantwortlich für die große Klasse des Ensembles. Was dieser Pianist aus Tastatur und Saitenapparat herausholt, das wird der angejahrte Blüthner von Sonnenhausen sein Lebtag nicht vergessen. Zweiter Frühling? Die inspirierte Lebendigkeit des Spiels, die Variationsbreite im Anschlag, das saftige Rollen im Bass und das schwerelose Trillern im Sopran, wie Forster es vorführte, gibt Kraft für eine halbe Ewigkeit. Als einzigem war ihm von den Kollegen, seiner Qualitäten bewusst, eine Solonummer zugestanden: Schuberts Lied "Auf dem Wasser zu singen", im Stile Liszts interpretiert, entwurzelte klassische Hörgewohnheiten und pflanzte eine revolutionäre Vorstellung in die Gedanken der Zuhörer, die künftige Besuche regulärer klassischer Konzerte großflächig unterwandern dürfte. Diese fünf Minuten Flügelschlag wiesen dem Glauben an die Kraft der Musik eine neue Richtung, sie machten aus "Über Wasser singen" ein "Über Wasser wandeln".

Es bot dieser Sonntag in Sonnenhausen eines jener Konzerte, bei dem jede einzelne Nummer für sich schon den ganzen Eintrittspreis wert ist. Bei dem man sich schon vor der ersten Zugabe in der Schuld der Musiker fühlt. Bei dem die Zeit verfliegt, während sich Herz und Geist füllen. Bei dem man einfach nicht anders kann, als begeistert in die Hände zu klatschen, mit den Füßen auf dem Holzboden zu trampeln und ungezügelt "Bravo" zu rufen - für eine herausragende Darbietung mehr als verdient und vom gut besuchten Haus mit Hingabe geliefert.

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