Konzertkritik:Herzflimmern pur

Konzertkritik: Über ein volles Gotteshaus und stürmischen Applaus darf sich der Kammerchor "Con Moto" bei seinem Jubiläumskonzert in Grafing freuen.

Über ein volles Gotteshaus und stürmischen Applaus darf sich der Kammerchor "Con Moto" bei seinem Jubiläumskonzert in Grafing freuen.

(Foto: Christian Endt)

Ein Prost auf Brahms und den Kammerchor "Con Moto": Perlende Klänge durchfließen den Abend zum Jubiläum

Von Ulrich Pfaffenberger, Grafing

18 Walzer in einer halben Stunde. Da hat der liebe Johannes Brahms den Markt seinerzeit ganz schön ausgereizt. Wenn das Publikum sich aber auch sooo leicht mitreißen lässt. 150 Jahre und ein Jubiläumskonzert später zeigte sich am Sonntagabend in Grafing, dass diese Wirkung bis heute anhält. Hatte doch der Kammerchor Con Moto mit der Suite von Miniaturen im Dreiviertel-Takt seinen Auftritt zur Feier des 20-jährigen Bestehens in der Auferstehungskirche ausklingen lassen - und dafür vom Publikum im restlos besetzten evangelischen Gotteshaus stürmischen Applaus erhalten.

Über die literarische Qualität der Liebeslieder lässt sich nicht groß streiten. Für Poesie im Stile von "Wie des Abends schöne Röte möcht' ich arme Dirne glüh'n/Einem, einem zu gefallen, sonder Ende Wonne sprüh'n" fände sich im Verfilmungsfalle am Sonntagabend sicher auch ein guter Sendeplatz im ZDF. Ganz anders aber, wenn derlei gesungen wird. Da sind die Botschaften aus der Zeit und den bürgerlichen Salons heraus verstehbar, in der und für die sie entstanden, und das Ohr widmet sich ganz der Kunst des Komponisten, mit welchen Einfällen er den Klang zum Glühen und die Gefühle zum Kochen bringt.

Für den Con-Moto-Chor und seinen Leiter Benedikt Haag ein Glücksfall, dass sich der zunächst auf Solostimmen fixierte Brahms schließlich doch von seinem Verleger breit schlagen ließ, die Stücke auch für vielstimmige Aufführungen freizugeben. Denn die zwei, Komposition und Chor, sind wie füreinander geschaffen, vermutlich ist dieses Opus 52 sogar tief in der DNA des Ensembles verankert - und nun endlich, glücklich und gekonnt von Haag ans Tageslicht befördert. Es mag sich paradox lesen, doch: Der Chor singt die Lieder so, wie es sich für einen Chor gehört, aber man hört in Gedanken mit, wie es klänge, sängen da Solostimmen. Das ist große Kunst, die auf dem reichen Humus zwanzigjährigen Miteinanders gedeiht, und die gesangliche Ernte macht das Zuhören und Mitfühlen zu einem Erlebnis. Es ist gerade eine kleine Schwäche bei Walzer Nummer 17, aus der die Zuneigung und Ehrlichkeit sichtbar werden, die der Chor dem Werk zuteilwerden lässt: Allein die Tenöre sind hier gefordert, sie gehen gemeinsam an die Grenze dessen, was wohl seinerzeit in Wien ein strahlender Lohengrin oder Florestan in die gute Stube schmetterte, und stellen sich mutig der gesanglichen Herausforderung, so mutig, dass sie in den letzten Takten fast den Atem verlieren und man ihnen von Herzen Unterstützung wünscht, einen Helden, der hinter der Bühne hervortritt und sie hinüber trägt, denn "all überströmt sind dort die Wege, die Stege dir; so überreichlich tränte dorten das Auge mir". Herzflimmern pur. So kennt man den guten Brahms gar nicht.

Es sei denn, man war in diesem Jubiläumskonzert. Denn dort waren vor den Liebeswalzern ja schon die Zigeunerlieder zu hören, ebenfalls maßgeschneidert auf die Zusammensetzung dieses Chores, dem es gelingt, das Kunstlied von allem Künstlichen zu befreien, die Cardas-Albernheiten zu ignorieren, die "süße Lieb" zu entzuckern und den Sternenschein in den Augen der Angebeteten auf Blendfreiheit herunter zu regeln. Mit aller Erfahrenheit aus zwei Jahrzehnten Chorgesang, aus Dutzenden von Komponisten und Kompositionen dringen sie zum Kern der Melodien vor, legen die schlichte Schönheit Brahms'scher Liedkunst frei und die folkloristische Unbekümmertheit der Harmonien. Kein Zweifel: Da macht sich der Chor selbst ein Geschenk zum Jubiläum.

Dem noch eine zweite Gabe beigefügt ist: Gemeinsam mit Martina Hußmann saß Chor-Gründer Thomas Pfeiffer am Klavier und komplettierte zu vier Händen das Festtagsmenü mit den Ungarischen Tänzen 1, 5, 6 und 8. Temporeich und mit der Bereitschaft zur Improvisation in den gewagteren Passagen liefert das hervorragend aufeinander eingestimmte Duo eine fulminante Interpretation des Klassikers, frei von aller Routine, getragen von leidenschaftlicher Spielfreude. Lichtstark durchfluten sie das nüchterne Ambiente des Kirchenraums mit farbigen Kaskaden und stacheln das Publikum insbesondere mit einem dramatisch inszenierten sechsten Tanz zu herzhaften und wohlverdienten "Bravos" an. So groß ist die Kraft des Konzerts, dass es das Publikum sogar noch über die unvermeidlichen, gleichwohl erfreulich kompakten und geistreichen, bürgermeisterlichen und stellvertretend landrätlichen Grußworte hinwegträgt, bis dann weit in die Nacht hinein das Klingen der Gläser ein angemessenes Echo zum Klang der Stimmen liefert. Prost, Con Moto, mehr davon!

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