Süddeutsche Zeitung

Konzert:Wenn der Bogen zum Zauberstab wird

Der finnische Cellist Arto Noras liefert beim Kammermusikzyklus in Zorneding einen bestechenden Beweis seines Ausnahmekönnens, bestens begleitet von Oliver Triendl

Von Ulrich Pfaffenberger, Zorneding

Ein hochkarätiger Gast spielte sich beim sonntagabendlichen Konzert im Zornedinger Martinstadl in die Herzen des Publikums: Der finnische Cellist Arto Noras lieferte in Begleitung von Oliver Triendl am Flügel ein bestechendes Zeugnis seines herausragenden Rufs und seiner geschätzten Qualitäten. Derlei Konzerte verlangen einem interessierten Publikum in der Regel längere Anreisewege ab, als sie innerhalb des Landkreises anfallen. Womit der Kammermusikzyklus des Kulturvereins einmal mehr seinen Wert unter Beweis stellen konnte.

Schon bei der ausdrucksstarken Cello-Sonate Claude Debussys zu Beginn reagiert das Publikum mit großzügigem Applaus für das überaus melodische Spiel des Cellisten, zu dem die gelegentlichen Pizzicati einen lakonischen Kontrast liefern. Arto Noras ist einer jener Streicher, der die Töne nicht aus dem Korpus herausarbeitet, sondern sie mit dem Bogen wie mit einem Zauberstab hervorlockt, auf dass sie ihm freiwillig folgen und zu Willen sind. Diese Magie berührt jeden im Raum, auch Triendls Klavierspiel scheint verzaubert.

Die nachfolgenden "Trois Pièces" von Nadia Boulanger lassen auf zwei kurze poetische Sätze einen ausgiebigeren dritten, dramatischen folgen, in dem der Solist sich vom Interpreten zum Co-Kreator wandelt. Viel Farbe bringt er ins Spiel, arbeitet die feingliedrige Gestalt des Stücks plastisch und nahbar heraus. So intensiv geht er dabei zu Werke, dass schon diese drei kleinen musikalischen Gemmen genügt hätten, die Zuhörer erfüllt nach Hause gehen zu lassen.

Für ihr Bleiben belohnt werden sie mit dem dritten Opus des Abends, einer weiteren Cello-Sonate, diesmal aus der Heimat des finnischen Solisten, ihm von Joonas Kokkonnen auf die Hand und den Bogen geschrieben. Das kompakte, energiegeladene Werk beeindruckt den Zuhörer mit einer Körperlichkeit, wie man sie sonst nur bei Ballettmusiken findet. Eben weil Noras vom Komponisten genau jene Salti und Läufe geschenkt bekommen hat, die ihn technisch brillieren lassen, gerät sein Vortrag strahlend schön. Zumal sich aus der Anlage der Sonate immer wieder neue Vorlagen für einen angeregten Dialog mit dem Pianisten ergeben, den Triendl mit kunstvoller Leidenschaft aufnimmt und dabei trefflich die Aufgabe meistert, die Balance der beiden Parts zu wahren. Da haben sich zwei gefunden, die so gut aufeinander abgestimmt sind, dass ihr Spiel in den Takten zu Ende des zweiten Satzes fast die Zeit und den Atem stillstehen lässt, während sich die Idee von Musik in einem langsam ausdrehenden Wirbel verbreitet. Völlig zu Recht gibt es dafür schon zur Pause, genauso wie am Ende noch einmal, mit reichlich Bravi durchsetzten Applaus im erfreulicherweise gut besetzten Saal des Zornedinger Martinstadls.

Die "Mallinconia" von Jan Sibelius, geschrieben unmittelbar nach dem frühen Tod seiner Tochter, flicht das Band großer Poesie und intensiver Dialoge weiter, das diesen Konzertabend prägt. Die doppelte Perspektive des Stücks, der Blick des Trauernden auf sich selbst wie auf sein Kind, berührt durch den Widerstreit der Gefühle. Soll der Schmerz die Oberhand behalten oder dürfen die Sterne der Erinnerung leuchten? Frei wie die Gedanken schweben die Töne des Cellos über der Melodie, lassen Musiker und Instrument zu einer universalen Einheit jener Strahlkraft verschmelzen, wie sie nur die wirklich Guten hinbekommen.

Die abschließende A-Dur-Violinsonate César Franks, arrangiert für Cello und Klavier, erlebt zwei Solisten auf Augenhöhe. Zeigte sich Triendl schon zuvor als wertbeständiger Begleiter und inspirierter Partner, entsprechen sich hier nun beide Instrumente in den feinen Schattierungen eines gleitenden Lichterwechsels der Komposition. Unaufhaltsam und scheinbar mühelos entwickelt sich das letzte Stück dank des breitesten Spektrums an Ausdrucksformen und stilistischen Mitteln zum Maßstab, an dem das ganze Konzert gemessen werden darf: Extraklasse. Frank hat den beiden Parts kraftvolle und hochgradig emotional Momente mit auf den Weg gegeben, aber auch stille, gedankenreiche Takte, die Raum zur Reflexion geben und Impulse zu neuem Aufbruch. Dies ist eins der Stücke, die man als Freund inspirierender Kammermusik einmal gehört haben sollte. Wer's am Sonntag versäumt hat, tut gut daran, aufmerksam den Konzertkalender zu studieren. Mit Glück bekommt er noch eine annähernd gute Aufführung woanders zu hören, mit viel Glück.

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Quelle:
SZ vom 07.11.2017
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